Münchner Sicherheitskonferenz: Dialog auf bröckelndem Fundament
Globale Krisen spitzen sich zu, in München suchen Politiker:innen nach Wegen, um diese auf dem Weg des Dialogs zu entschärfen. Wie genau das aber passieren soll, darüber gibt es wenig Einigkeit. Und für neutrale Staaten wie die Schweiz bleibt der Spielraum eng.
Die wichtigste internationale Sicherheitskonferenz ist 60 Jahre alt geworden, aber zum Feiern war niemandem zumute. Die Kriege in der Ukraine und in Nahost, Dutzende bewaffnete Konflikte und humanitäre Katastrophen: Der momentane Zustand der Welt birgt Potenzial für verschärfende Spannungen und noch grössere globale Krisen. Unter diesen Vorzeichen lud die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) ein, um voranzutreiben, was in den letzten Jahren zu kurz kam: den Dialog.
«Frieden durch Dialog» ist das Motto der Münchner Sicherheitskonferenz, die massive Polizeipräsenz in der Innenstadt ein strenger Kontrast dazu: 5000 Polizisten wurden aufgeboten, um die Sicherheit der Gäste aus aller Welt zu gewährleisten – darunter den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski, einen der zurzeit vermutlich bestbewachten Politiker weltweit.
Das Bild entspricht dem europäischen Zeitgeist – die Aufrüstung läuft auf Hochtouren, ganz nach dem Motto: «Wer Frieden will, bereite sich auf den Krieg vor.» Die Stimmung ist gemäss der MSCExterner Link im Westen pessimistischer geworden, Eskalationspotenzial sieht sie jedoch weltweit. Denn um die regelbasierte Weltordnung – der Inbegriff des politischen Dialogs – steht es nicht erst seit dem russischen Grossangriff auf die Ukraine schlecht.
Das «Denken in relativen Gewinnen», dass die MSC als gefährliche und weltweite Entwicklung identifiziert, könne nur in einem Nullsummenspiel enden, bei dem alle verlieren. Folgende Punkte werden im Munich Security Report 2024Externer Link beschrieben:
– Die imperialen Ambitionen Russlands in Osteuropa, die bereits den Krieg in der Ukraine auslösten.
– Eine Eskalation der Gewalt im Indo-Pazifik, wo China seine maritimen Ansprüche zunehmend mit militärischem Druck verfolge.
– Der israelisch-palästinensische Krieg, der die ganze Region weiter destabilisieren könnte.
– Die zunehmende Instabilität in der Sahelzone, wo im letzten Jahr bereits eine Reihe von Militärputschen stattfanden.
– Die Fragmentierung der Globalisierung, die vor allem wirtschaftlich schwächere Staaten gefährde.
– Die global koordinierte Klimapolitik, die Opfer der geopolitischen Spannungen zu werden droht.
– Technologische Rivalitäten in den Bereichen Halbleiter und künstliche Intelligenz, die zu einer Fragmentierung des Technologiesektors führen könnten.
Wer war nicht in München?
Kann aber ein Dialog geführt werden, wenn Schlüsselakteure nicht anwesend sind? Explizit nicht eingeladen waren Russland, Iran und Nordkorea – gewissermassen die neue «Achse des Bösen», zumindest aus Sicht des Westens. Diese Sicht wird aber längst nicht überall geteilt. Ein Anschauungsbeispiel lieferte die frühere kenianische Verteidigungs- und Aussenministerin Raychelle Omamo, die in einer Diskussionsrunde über die Rolle Russlands in Afrika unmissverständlich klar machte: Wer mit afrikanischen Staaten auf Augenhöhe und mit ehrlichen Absichten interagiere, werde als Freund betrachtet.
Wenige hundert Meter vom Hotel Bayrischer Hof, wo die MSC traditionell stattfindet, richtete sich am zweiten der drei Konferenztage eine Demonstration gegen die «Nato-Sicherheitskonferenz» – das war zwar etwas verkürzt, aber nicht ganz falsch. Der russisch-ukrainische Krieg stand in München im Zentrum, nicht zuletzt, weil im Westen vermehrt um die Unterstützung für die Ukraine gerungen wird. Und eine mögliche erneute Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA das westliche Lager zu destabilisieren droht. Einen Vorgeschmack gab der republikanische Senator Pete Ricketts, der die isolationistischen Tendenzen seiner Partei erläuterte: Die Abriegelung Grenze zu Mexiko sei wichtiger als die Unterstützung für die Ukraine.
Dieses Jahr markiert das 75-jährige Bestehen der westlichen Militärallianz, welcher der Krieg in der Ukraine neues Leben eingehaucht hat. Wie es mit der NATO weitergehen wird, ist jedoch unklar: Zwar hat die anfängliche Geschlossenheit nach dem Überfall auf die Ukraine etwas nachgelassen, gleichzeitig vertieft und verfestigt sie sich jedoch weiter, mit den Erhöhungen der Verteidigungsbudgets der Mitgliedsstaaten und mit der engeren Anbindung von befreundeten Staaten in Europa und darüber hinaus.
Die Neutralität spielt auf der Nebenbühne
In Zeiten der Konfrontation kommen Neutrale seit jeher unter Druck. Im Selbstverständnis der neutralen Staaten kann man eine Rolle als vermittelnde Rolle spielen – häufig allerdings sieht man sich schnell mal mit dem Vorwurf des Opportunismus konfrontiert.
Welch geringen Stellenwert die Neutralität an der MSC hatte, wurde am einzigen Programmpunkt zum Thema sichtbar – mit Vertreter:innen Irlands, Österreichs, Malta und des IKRK: Dieses fand zeitgleich mit Wolodimir Selenskis Auftritt statt, kurz nach der Unterzeichnung der Sicherheitsabkommen zwischen Deutschland und Frankreich mit der Ukraine. Entsprechend spärlich fiel die Aufmerksamkeit für die Neutralen aus.
Diese bekräftigten im Dialog untereinander einige Leitlinien ihrer Neutralität: Den Druck aushalten und Wege zur Vermittlung zwischen den Lagern ausloten. Wichtiger als beliebt zu sein, sei es nützlich zu sein, so der Tenor. Klar ist aber auch: Die neutralen Staaten Europas suchen grösstenteils die Annäherung zur NATO. Wie der an der Konferenz anwesende Schweizer Staatssekretär Markus Mäder im Gespräch sagte, liege ein natürliches Interesse für eine Zusammenarbeit in der Verteidigung vor.
Lesen Sie hier unser Interview mit Markus Mäder:
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Markus Mäder: «Es besteht ein natürliches Interesse an einer Zusammenarbeit zwischen der NATO und der Schweiz»
Und was macht die Schweiz?
Anders als die meisten europäischen Staaten war die Schweiz nicht auf Ministerebene präsent. Das wurde zuhause kritisiertExterner Link, denn immer wieder fällt der Vorwurf der Trittbrettfahrerei. Unvergessen bleibt die Aussage des amerikanischen Botschafters in Bern, die Schweiz sei das Loch im NATO-Donut und profitiere unverhältnismässig vom Verteidigungsring der sie umgebenden Allianz.
Für dieses Jahr ist eine Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz angekündigt, wobei jedoch noch kaum Zusagen kommuniziert wurden – vor allem nicht von Staaten ausserhalb des Westens, die den Krieg als eine westliche Angelegenheit betrachten und sich zu distanzieren versuchen. Russland selbst hat mehrfach betont, dass die Schweiz nicht als zuverlässige Vermittlerin in Frage komme, da sie durch die Übernahme der westlichen Sanktionen ihre Neutralität aufgegeben habe.
Auch wenn die Schweiz an der MSC nicht dafür werben konnte, berief sich immerhin der ukrainische Präsident Selenski in seiner Rede darauf: In der Schweiz könne die Welt entscheiden, wie sie die regelbasierte Ordnung wieder herstellen wolle. In der Schweiz wird man das gerne gehört haben. Ob allerdings alle anderen das so sehen, ist fragwürdig.
Die Voraussetzung für Dialoge in den aktuellen Krisen ist – das hat die MSC gezeigt – immer weniger gegeben. Exemplarisch dafür stand die Pressekonferenz des palästinensischen Premierministers Mohammed Schtajjeh. Während drei Tagen wurde viel über den weiterhin wütenden israelisch-palästinensischen Krieg gesprochen, konkrete Resultate wurden nicht präsentiert – und die Pressekonferenz, die letzte an der MSC, wurde abgesagt.
Editiert von Mark Livingston
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