Markus Mäder: «Es besteht ein natürliches Interesse an einer Zusammenarbeit zwischen der NATO und der Schweiz»
Die Schweiz strebt eine vertiefte Zusammenarbeit mit der NATO an. Staatssekretär Markus Mäder erklärt im Gespräch, weshalb das im beiderseitigen Interesse sei.
Anfang Jahr wurde das schweizerische Verteidigungsdepartement um das Staatssekretariat Sicherheitspolitik SEPOS ergänzt. Dieses wird geleitet von Markus Mäder. Der Historiker und Brigadier vertrat die Schweiz an der Münchner Sicherheitskonferenz 2024, wo wir ihn zum Gespräch trafen.
SWI swissinfo.ch: Der Bundesrat möchte eine weitere Annäherung an die NATO und die militärischen Strukturen der Europäischen Union. Was muss man sich darunter vorstellen?
Markus Mäder: Wir möchten den sicherheitspolitischen Dialog mit der NATO stärken. Insbesondere möchten wir die Interoperabilität, sprich die Zusammenarbeitsfähigkeit der Armee, weiter stärken. Damit wir in der Lage sind, mit unseren Nachbarstaaten besser zu koordinieren – in jeglichen Situationen. Sollte die Lage weiter eskalieren und die Politik sich für eine weiterführende Zusammenarbeit in der Verteidigung entscheiden, hätten wir die Voraussetzungen dafür.
Ich würde insofern lieber von einer Vertiefung der bestehenden Kooperation mit der NATO sprechen. Den institutionellen Rahmen dafür verändern wir nicht, das ist weiterhin die Partnerschaft für den Frieden (PfP). Die Regierung möchte eine Vertiefung innerhalb dieses Rahmens.
Inwiefern ist das auch im Interesse der NATO? Was hat die Schweiz anzubieten?
Die NATO ist ja nicht ein amorphes oder anonymes Gebilde. Sondern besteht aus Staaten, die grösstenteils unsere Nachbarn sind: Staaten, mit denen wir Werte teilen, mit denen wir auch in vielen anderen Politikbereichen eng zusammenarbeiten. Insofern besteht auf beiden Seiten ein natürliches Interesse zur Zusammenarbeit, eben auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Es liegt zudem im Grundinteresse unserer Nachbarn, dass die Schweiz sicherstellt, dass mitten in Europa – im Herzen der NATO und der EU – kein Sicherheitsvakuum entsteht. Dass wir also eine verantwortungsvolle Sicherheitspolitik betreiben. Das umfasst auch, dass die Schweiz eine glaubwürdige, starke und verlässliche Armee hat, die in der Lage ist – wenn beide Seiten das wollen – kooperieren zu können.
Darüber hinaus können wir viel Expertise anbieten: Etwa bei der Luftwaffe, der ABC-Abwehr (Massnahmen gegen atomare, biologische und chemische Kampfmittel, Anm.d.Red.) oder der Beseitigung von Kampfmitteln. Es gibt bereits eine effektive operationelle Zusammenarbeit bei der Ausbildung, im Informations- und Erfahrungsaustausch. Ich denke also, auch die NATO und ihre Mitgliedstaaten haben durchaus ein Interesse an einer Vertiefung.
Irland und Malta, ebenfalls neutrale Staaten, vertiefen ihre Beziehungen zur NATO auch. Täuscht der Eindruck oder sieht man eine generelle Annäherung neutraler Staaten in Europa an die NATO?
Alle in Europa realisieren, dass es eine reale Bedrohung gibt, die über den Krieg in der Ukraine hinausgeht. Die Grundsätze der europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung wurden vom völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands erschüttert. Und das betrifft alle.
Deshalb sind wohl auch die neutralen Staaten in Europa zum Schluss gekommen, dass es noch mehr Zusammenarbeit braucht. Ich kann natürlich nicht für die anderen sprechen, aber sie verfolgen wohl eine ähnliche Logik wie wir: Die Bedrohungslage hat zugenommen, man will die eigene Verteidigungsfähigkeit stärken und gleichzeitig die internationale Kooperation vertiefen.
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Hat der Druck auf die neutralen Staaten zugenommen? Christoph Heusgen, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, wünscht sich, dass die Schweiz bei der Munitionsabgabe an die Ukraine «direkt oder indirekt mehr tun» würde.
Der Druck hat nicht zugenommen, aber er bleibt bestehen. Jedes Land hat seine eigene Geschichte, seine eigene Politik. Wichtig ist, dass unsere europäischen Partner sehen, dass die Schweiz sich bemüht und versucht, Anpassungen zu machen, wo dies nötig ist. Unser Parlament eruiert momentan, ob unser Kriegsmaterialgesetz flexibler gestaltet werden kann. Dafür braucht es Geduld, wie in jeder Demokratie.
Das SRF-Interview mit Christoph Heusgen an der Münchner Sicherheitskonferenz können Sie hier hören:
Der Schweiz wird in Sicherheitsfragen oft Trittbrettfahrerei vorgeworfen. An der Konferenz, die immerhin als die Wichtigste in sicherheitspolitischen Fragen gilt, ist sie nicht auf Ministerebene repräsentiert – ein unglückliches Zeichen?
Bundespräsidentin Amherd hatte diese Woche zahlreiche wichtige Sitzungen in Bern (Gegenstand sind u.a. Budgetdiskussionen zur Armee, Anm.d.Red.) und nächste Woche steht die Detailberatung der Legislaturplanung an. Sie vertritt dort den Bundesrat. Zudem hat sie bereits am Word Economic Forum (WEF) und auf ihren Besuchen im Ausland Staatschefs und Verteidigungsminister getroffen. Das wird im Ausland sicher verstanden. Wir haben in den letzten Jahren immer auf Ministerebene teilnehmen können, und ich bin überzeugt, dass das auch in Zukunft wieder so sein wird.
Worum haben sich Ihre Gespräche in München gedreht? Ging es auch um die geplante Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz?
Grundsätzlich ging es um die Frage, was wir aus einem solchen Anlass für unsere eigenen Sicherheitsinteressen herausziehen können. Daneben habe ich begonnen, mein eigenes Netzwerk aufzubauen. München ist eine gute Gelegenheit, um Kontakte zu knüpfen, aber weniger geeignet für stundenlange vertiefte Gespräche.
Der aktuelle Munich Security ReportExterner Link beschreibt eine Abnahme der weltweiten Zusammenarbeit und Dialogfähigkeit. Zumindest im Westen kann davon nicht die Rede sein: Wir sehen eine Vertiefung innerhalb der NATO und auch mit ihren Partnerstaaten. Beobachten Sie eine zunehmende Blockbildung, die mit dem Angriff auf die Ukraine eingesetzt hat?
Die Mehrheit der Staaten hat ein Interesse an einer regelbasierten Ordnung – das ist für ihre Sicherheit weiterhin das Beste. Es gibt aber auch staatliche und nichtstaatliche Akteure, die genau das Gegenteil anstreben. Letztlich gibt es nichts gratis. Man muss sich für seine Interessen einsetzen.
Im Bericht wird ein zunehmender Pessimismus im Westen festgestellt. Wie haben Sie die Stimmung an der Konferenz wahrgenommen?
Einer der Redner hat es folgendermassen ausgedrückt: Letztes Jahr war sehr viel Optimismus da – vielleicht zu viel. Und dieses Jahr ist sehr viel Pessimismus da – vielleicht auch davon zu viel.
Wir müssen realistisch bleiben: Herausforderungen und Bedrohungen, wie wir sie jetzt haben, lassen sich nicht in kurzer Zeit überwinden. Es braucht einen langen Atem, Zusammenarbeit und Geschlossenheit, um das Völkerrecht und all die damit zusammenhängenden Grundsätze zu verteidigen. Dazu ist selbstverständlich auch der sogenannte Globale Süden wichtig: Die regelbasierte Weltordnung hängt davon ab, dass alle eingebunden werden. Dafür setzt sich die Schweiz ein.
Sie leiten das neugegründete Staatssekretariat für Sicherheitspolitik SEPOS. Warum braucht es das überhaupt?
Die sicherheitspolitischen Herausforderungen werden immer komplexer, unberechenbarer, volatiler. Das bedingt, dass wir uns entsprechend aufstellen.
Das Staatssekretariat hat die Aufgabe, kohärente Konzepte für eine gesamtheitliche und vorausschauende Sicherheitspolitik zu liefern und gleichzeitig die bestehenden Instrumente besser zu koordinieren. Das stösst übrigens auf grosses Interesse bei meinen ausländischen Homologen.
Die Sicherheitspolitik wird also auch für die Schweiz wichtiger?
Absolut. Generell ist die geopolitische Lage schwieriger geworden, das betrifft auch die Schweiz. Wir reagieren damit, indem wir zwei Pisten ausbauen: zum einen die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit, insbesondere unserer Armee. Zum andern mit der Intensivierung unserer Kooperation mit unseren natürlichen sicherheitspolitischen Partnern. Das ist primär Europa.
Lesen Sie hier unseren Bericht von der Münchner Sicherheitskonferenz 2024:
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Editiert von Mark Livingston
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