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Schweizer Kaffeehändler in Guatemala: Korrupt oder Korruptionsopfer?

Ein Mann wird in Handschellen abgeführt
Ulrich Gurtner, Geschäftsführer der Kooperative Fedecocagua, die über 20'000 Kaffee produzierende Kleinbäuerinnen und -bauern vereint, wurde am 24. März 2023 in Guatemala-Stadt verhaftet, in Handschellen abgeführt und ins Gefängnis gesteckt. SRF

Der Schweizer Ulrich Gurtner sitzt angeklagt wegen Geldwäscherei und Steuerhinterziehung in Guatemala im Gefängnis. Sein Engagement für lokale Kaffeekleinbäuerinnen und -bauern war den Behörden des zentralamerikanischen Landes seit langem ein Dorn im Auge. Kenner:innen der Region betrachten die Anklage als vorgeschoben.

Die Anklage gegen Ulrich Gurtner wurde bereits vor über einem Jahr erhoben. Ein formelles Verfahren gegen den 68-Jährigen wurde aber noch nicht eröffnet. Gurtners Unterstützerinnen und Unterstützer halten die Vorwürfe für konstruiert und politisch motiviert.

Wer ist wirklich korrupt – Gurtner oder das guatemaltekische Justizsystem?

Wer ist Ulrich Gurtner?

Der Winterthurer Unternehmer arbeitet seit Jahrzehnten als Kaffeehändler in Guatemala, nachdem er als Fussballer für seinen Heimatverein FC Winterthur gekickt hatte und als gelernter Bankkaufmann in der Schweiz tätig war.

Gurtner wurde erstmals in den 1980er-Jahren von seinem damaligen Arbeitgeber, dem Rohstoffhändler Gebrüder Volkart, nach Guatemala geschickt.

Doch die guatemaltekischen Behörden hätten ihn zur Rückkehr gezwungen, nachdem er sich geweigert habe, Schmiergelder an lokale Beamte zu zahlen, sagte er im April dem Magazin Beobachter. «Ich hätte nicht mehr in den Spiegel schauen können.»

1988 kehrte er in das zentralamerikanische Land zurück, nachdem er im Auftrag der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung die Kaffeekooperative Fedecocagua wiederbelebt hatte.

Laut Schweizer Medienberichten entwickelte Gurtner ein Fairtrade-System, um die Bäuerinnen und Bauern von korrupten Kaffee-Oligarchen zu befreien, die deren Gewinne abgeschöpft hatten.

Laut dem Beobachter unterstützt die Kooperative Fedecocagua inzwischen mehr als 20’000 lokale Familien mit insgesamt rund 120’000 Menschen. Unter Gurtners Leitung stieg der Jahresabsatz von 25’000 auf 650’000 Kaffeesäcke. Zu den Kunden gehören Starbucks und Nespresso.

Was ist schiefgelaufen?

Guatemala erlebte während eines Bürgerkriegs jahrzehntelang Gewalt und Unruhen. Der Krieg wurde 1996 nach einer UNO-Intervention beendet. Doch Ungleichheit und Korruption sind nach wie vor Teil des politischen und sozialen Systems.

In den letzten vier Jahren ist Guatemala auf dem weltweiten Korruptionswahrnehmungs-Index von Transparency International um mehrere Plätze zurückgefallen und liegt nun auf dem 154. von 180 Plätzen.

«Die Mächtigen Guatemalas fürchten Menschen und Organisationen, die der indigenen Bevölkerung zu einem würdigen Leben verhelfen», sagte der ehemalige Schweizer Botschafter in Guatemala, Thomas Kolly, am 8. Juli gegenüber dem Tages-Anzeiger.

2009 wurde Gurtner wegen Geldwäscherei und Steuerhinterziehung angeklagt. «Die Anklage gegen Gurtner und die Genossenschafter war nicht haltbar, aber es wurde sichtbar, dass sie den mächtigen Kreisen des Landes ein Dorn im Auge waren», sagte der Schweizer Filmemacher Ruedi Leuthold, der einen Dokumentarfilm über Gurtner gedreht hat, gegenüber der Winterthurer Zeitung.

Gurtner wurde damals von einem UNO-Sondertribunal gegen Straflosigkeit freigesprochen. Dieses Gericht wurde inzwischen des Landes verwiesen.

Gurtner sitzt auch im Verwaltungsrat der Entwicklungsbank Banrural, die Kredite aus dem Ausland an einheimische Bäuerinnen und Bauern weiterleitet. Eine ideale Position, um finanzielle Korruption im System zu erkennen.

«Ich musste auf die Vorgänge hinweisen, sonst hätte ich mich mitschuldig gemacht», sagte er letztes Jahr der Neuen Zürcher Zeitung.

Im März 2023 tauchte der Vorwurf der Geldwäscherei wieder auf, im Juni dieses Jahres folgte die Anklage wegen Steuerhinterziehung. Seither sitzt Gurtner entweder im Gefängnis oder steht unter Hausarrest.

Ex-Botschafter Kolly ist überzeugt, dass Gurtner unschuldig ist: «Das steht absolut ausser Zweifel», sagte er dem Tages-Anzeiger.

Wie geht es weiter?

Das undurchsichtige guatemaltekische Justizsystem bietet wenig Anhaltspunkte für die zukünftige Ausrichtung des Strafverfahrens.

Die Situation wurde durch die Wahl des neuen guatemaltekischen Präsidenten Bernardo Arevolo im vergangenen Jahr noch komplizierter. Er kam im Januar an die Macht, nachdem Versuche der Oppositionsparteien und von Teilen der Justiz gescheitert waren, die Wahl für ungültig und seine Partei für illegal zu erklären.

Zwei Männer
Ulrich Gurtner mit einigen Mitgliedern der Genossenschaft Fedecocagua, die ihn bei einer Anhörung mit der Staatsanwaltschaft nach seiner Verhaftung im März 2023 unterstützen. SRF

Die Schweiz hat am 10. April die Sanktionen der Europäischen Union gegen fünf hohe Beamte der guatemaltekischen Staatsanwaltschaft übernommen. Diese Personen «haben versucht, den friedlichen Machtwechsel zu untergraben. Ihre Handlungen bedrohen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit», so die Schweizer RegierungExterner Link.

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten teilte SWI swissinfo mit, es stehe in Kontakt mit den guatemaltekischen Behörden und biete Gurtner als Schweizer Bürger «im Rahmen des konsularischen Schutzes» Unterstützung an.

Und die Kaffeebäuerinnen und -bauern?

Die guatemaltekische Staatsanwaltschaft hat auch die Gelder der Kooperative Fedecocagua eingefroren, als letztes Jahr erstmals Anklage erhoben wurde.

Roger Denzer, der heutige Schweizer Botschafter in Guatemala, sagte damals in einem Interview mit der Rundschau des Schweizer Fernsehens SRF, dass die Kontosperrung für die Familien der Kooperative verheerende wirtschaftliche Folgen hätte.

Und ohne Gurtner an der Spitze der Kooperative Fedecocagua sehen viele Kaffeebäuerinnen und Kaffeebauern einer düsteren Zukunft entgegen.

Editiert von Balz Rigendinger, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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