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So lobbyieren Schweizer Firmen in Brüssel – und am WEF

Ursula von der Leyen
Die EU ist der grösste Wirtschaftsraum der Welt. Die EU-Kommission (im Bild die Präsidentin Ursula von der Leyen) ist naturgemäss wichtig für alle möglichen Lobbys. Keystone / Laurent Gillieron

Eine Auswertung des EU-Transparenzregisters zeigt, dass sich die oberste Ebene der EU nicht in Paris oder Berlin am meisten mit Lobbyvertretenden trifft, sondern am WEF in Davos.

Am 21. Januar 2025 hielt die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine vielbeachtete Rede, mit der sie auf US-Präsident Donald Trumps Voten bei der Amtseinführung reagierte. Die Bühne, die von der Leyen dafür wählte, war das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos. Das WEF ist ein jährliches Fixum im Kalender der Kommissionspräsidentin.

Und sie kommt nicht als einzige:  Viele EU-Kommissarinnen und Kommissare zeigen sich Jahr für Jahr in Davos. Die meisten machen dabei keine grossen Ansprachen, sondern treffen sich mit Lobbyist:innen.

Eine Auswertung des Transparenzregisters der EU-Kommission zeigt, dass sich die oberste politische Ebene der Kommission in keinem anderen Ort ausserhalb Brüssels so oft mit Interessenvertreter:innen trifft wie in Davos.

Über den Zeitraum der ersten von der Leyen-Kommission, von 2020 bis 2024, trafen sich die Kommissarinnen und Kommissare, sowie deren Mitarbeitenden öfter in Davos mit Lobbyist:innen als in Paris und Berlin zusammen.

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Die Auswertung ist möglich, weil die EU-Kommission seit 2014 alle diese Treffen auf ihrer Webseite öffentlich registrieren muss. Zu solchen Lobbytreffen gehört der Austausch mit Firmen, Verbänden, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Denkfabriken und anderen Privatakteuren. Treffen mit Diplomatinnen und Diplomaten, Regierungs- oder Parlamentsmitgliedern werden nicht dazu gezählt.

Ohnehin dürfen sich die Kommissarinnen und Kommissare nur mit Interessenvertreter:innen treffen, die sich im EU-Transparenzregister registriert haben.

Die Treffen mit den Kommissarinnen und Kommissaren, sowie deren Teams sind nur eine Form der Lobby-Vertretung in der EU. Viele Unternehmen versuchen über ihre nationalen Regierungen Einfluss zu nehmen oder bringen sich in ihren Branchenverbänden ein.

Zudem haben Unternehmen die Möglichkeit, sich in Expertengruppen der Kommission einzubringen und an Konsultationen der Kommission teilzunehmen.

Die Musik spielt in Brüssel

Auch wenn Davos für die EU-Kommission die wichtigste Lobbyingstadt ausserhalb Brüssels ist – der Bündner Bergort ist kein Vergleich mit Brüssel selbst. Lobbying ist in Brüssel allgegenwärtig und schwer durchschaubar.

Dennoch werfen die öffentlich einsehbaren Daten der Kommissionstreffen ein interessantes Licht darauf, wer in Brüssel die lauteste Stimme hat.

46% aller Treffen der von der Leyen-Kommission fanden in Brüssel statt und 48% aller Treffen fanden virtuell statt. Auf Davos und den Rest der Welt fallen bloss die verbleibenden zirka 6% der Treffen mit der EU-Kommission.

Auch in Brüssel sind Akteure aus der Schweiz aktive Player. Eine Auswertung des Transparenzregisters zeigt nämlich, dass Organisationen mit Hauptsitz in der Schweiz am achtmeisten Einzeltreffen mit der von der Leyen-Kommission hatten.

(Spitzenreiter Belgien (4375 Einzeltreffen), Hauptsitzland der meisten europäischen Verbände, wurde in der untenstehenden Grafik der Leserlichkeit halber weggelassen.)

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Auf den ersten Blick sieht das sehr günstig aus für die Schweiz. So hatten hatten Interessenvertreter:innen aus der Schweiz doppelt so viele Einzeltreffen mit der politischen Führungsebene der Kommission wie deren Kolleginnen und Kollegen aus Österreich.

Dennoch ist dies nicht zwingend eine Erfolgsgeschichte des Schweizer Firmenlobbyings. Wieder spielt nämlich das WEF eine Hauptrolle.

In einer Rangliste der Interessenvertreter:innen, die sich am meisten mit den Kommissarinnen und Kommissaren und/oder deren Kabinettsmitgliedern trafen, liegt das WEF insgesamt an achter Stelle. 70 Einzeltreffen gab es zwischen Vertreter:innen der Organisation und der obersten Führungsebene der Kommission.

Ein Blick in das Transparenzregister zeigt auch die Themen, die an diesen Treffen hauptsächlich besprochen wurden: die Reaktion auf die Pandemie, die Klimapolitik und die Weiterbildungspolitik (im EU-Sprech: Skills Agenda).

Damit ist das WEF die Schweizer Organisation mit den meisten Kommissionstreffen.

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Neben dem WEF sind es vor allem internationale Organisationen, die ihren Sitz in der Region Genf haben, die im Brüsseler Lobbying mitmischen. Bei diesen Treffen mit Akteuren aus der Schweiz geht es also nicht direkt um Schweizer Interessen – und auch nur beschränkt um Unternehmensinteressen.

Das Schweizer Unternehmen mit der stärksten Lobbypower in Brüssel nach dieser Auswertung ist die Dow Europe GmbH – die Europa-Filiale des US-Chemiekonzerns Dow.

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Neben Dow haben auch eBay, Corteva, Indigo und Chemours einen US-Hauptsitz, dem der jeweilige schweizerische Hauptsitz untergeordnet ist. Unternehmen mit starkem schweizerischen Wiedererkennungswert – zum Beispiel, weil sie Arbeitgeber mit vielen Beschäftigten in der Schweiz sind – hatten keine grosse Lobbyaktivität in Brüssel.

Mit zwei Ausnahmen vielleicht: Die Zahlen für Nestlé und für die UBS liegen de facto etwas höher, als es die Auswertung zeigt. Neben ihren zehn Einzeltreffen sassen Nestlé-Vertreter:innen noch bei 15 Treffen mit der EU-Kommission mit im Raum.

Die UBS verfolgt ihre Interessen in Brüssel auch mithilfe des Swiss Finance Council, der sechs Treffen mit der ersten von der Leyen-Kommission hatte. Ursprünglich vertrat der Swiss Finance Council die Interessen von UBS und Crédit Suisse. Zwischenzeitlich hat die UBS die Crédit Suisse übernommen.

Die Bilateralen III werden einiges verändern

Offen bleibt, wie sich der Trend in Zukunft weiterentwickelt. Von der Juncker-Kommission zur von-der-Leyen-Kommission gab es eine Reduktion der Anzahl Treffen zwischen EU-Kommission und Interessenvertreter:innen um 19%, zeigt eine Auswertung von Table.BriefingsExterner Link. Zudem haben NGOs im Vergleich zu Unternehmensvertreter:innen leicht an Bedeutung gewonnen.Externer Link

Aber für das neue Mandat setzt die Kommissionspräsidentin voll auf die Karte „Wettbewerbsfähigkeit“. Sie will die EU wieder attraktiver machen für Unternehmen, bürokratische Hürden abbauen und den Binnenmarkt stärker integrieren. Gut möglich, dass dies auch zu einem intensiveren Kontakt zu Unternehmensvertreter:innen führen wird.

Ob Schweizer Unternehmen zusätzlichen Bedarf sehen werden, sich in Brüssel einzubringen, dürfte wiederum vom Erfolg oder Misserfolg der kürzlich ausgehandelten Bilaterale III abhängen. Durch die dynamische Rechtsübernahme in den Marktzugangsabkommen, dürfte es auch für Schweizer Unternehmen interessanter werden, sich in Brüssel einzubringen.

Ziemlich sicher ist nur eines: Das WEF in Davos wird für die EU-Kommission ein wichtiger Fixpunkt bleiben. An der diesjährigen Ausgabe nahmen 10 von 27 EU-Kommissarinnen und Kommissare den Weg nach Davos auf sich.

Editiert von Benjamin von Wyl

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