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Solidarität «soweit es die wirtschaftliche Lage zulässt»

Ein Mädchen schaut durchs Fenster und wartet auf Essen
Eine Palästinenserin wartet am 1. Juli 2018 in einem Lebensmittelabgabezentrum der UNO im Al-Shati-Flüchtlingslager in Gaza auf Hilfe. Durch einen Rückgang der Flüchtlingszahlen nahmen 2018 vielerorts die Ausgaben für die Entwicklungshilfe ab. Reuters / Mohammed Salem

Die Schweiz wird ihr Ausgabeziel für die Entwicklungshilfe in der Periode 2016-2020 verpassen. Der internationale Vergleich zeigt: Die Schweiz ist kein Einzelfall, es geht aber auch anders.

Die Schweiz legt in regelmässigen Abständen ihre Strategie für die internationale Zusammenarbeit fest. Die aktuelle Periode neigt sich mit diesem Jahr dem Ende zu. Klar ist: die Entwicklungshilfausgaben für die Jahre 2016-2020 blieben hinter dem angestrebten Richtwert zurück.

Angesicht der durch die Covid-Pandemie angespannten Finanzlage schraubt der Bund für die kommende Periode 2021-2024 die Erwartungen bereits vorsorglich zurück.

Wie positioniert sich die Schweiz damit im internationalen Vergleich?

Die wichtigste Vergleichsgrösse, um die Ausgaben für die Entwicklungshilfe verschiedener Länder gegenüberzustellen, ist die sogenannte öffentliche Entwicklungshilfe, die von der OECD klar definiert ist.

Damit wagen wir den Vergleich: Welche Länder geben besonders viel oder wenig für die Entwicklungshilfe aus? Wo steht die Schweiz und welche Tendenzen zeichnen sich ab? Wie sich zeigt, ist die Schweiz nicht das einzige Land, das sich damit schwertut, den eigenen Absichtserklärungen gerecht zu werden.

Die öffentliche Entwicklungshilfe (ADP) beschreibt Beiträge, die dazu bestimmt sind, die Empfängerländer in ihrer sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung zu unterstützen. Die Berechnung erfolgt nach internationalen Standards, die vom Entwicklungshilfeausschuss (DAC) der OECD definiert und kontrolliert werden. Die Beiträge können sowohl in Form von Zuschüssen als auch in vergünstigten Darlehen vergeben werden, wobei Zuschüsse in der Berechnung der Höhe der Ausgaben stärker gewichtet werden.

«Das sind tatsächlich gut vergleichbare Zahlen über die Geberländer hinweg. Diejenigen, die nicht DAC Mitglieder sind, sind damit natürlich schwer zu vergleichen», schätzt die Professorin für Entwicklungspolitik Katharina Michaelowa die Datenlage ein.

Grosse Länder, hohe Ausgaben

Betrachtet man die totalen Ausgaben für die öffentliche Entwicklungshilfe, stehen grosse, wohlhabende Volkswirtschaften an der Spitze. Allen deutlich voraus: Die USA. Deutschland, Grossbritannien, Japan und Frankreich heben sich ebenfalls klar von den dahinterliegenden Ländern ab.

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In relativen Zahlen stehen kleine wohlhabende Länder an der Spitze

Dass grosse, reiche Länder mehr für die Entwicklungshilfe ausgeben können, ist soweit wenig überraschend. Um Länder trotz unterschiedlicher wirtschaftlicher Möglichkeiten besser zu vergleichen, berechnet die OECD die öffentliche Entwicklungshilfe als Anteil des Bruttonationaleinkommens.

Diese Berechnungsmethode führt zu einer komplett anderen Rangfolge.

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Die USA stehen nach relativen Ausgaben deutlich schlechter da und auch Japan rutscht einige Plätze nach hinten. Die höchsten Ausgaben haben gemessen am Bruttonationaleinkommen neben Grossbritannien vor allem kleine, wohlhabende Länder. Als ebenfalls kleines und reiches Land schafft es die Schweiz knapp in das vordere Drittel, wenngleich der Abstand zu den ausgabenfreudigsten Ländern recht deutlich ist.

Viele Absichtserklärungen, wenig Handlung

Was an den Ausgaben relativ zum BNE besonders auffällt: nur gerade fünf Länder erreichen das von der UNO angestrebte Ausgabeziel von 0.7% des BNE für die Entwicklungshilfe. Dies, obwohl das Ziel seit den 1970ern besteht und von den beteiligten Ländern regelmässig bestätigt wird.

Das sorgt sogar bei Expertin Michaelowa für Kopfschütteln: «Das finde ich tatsächlich eine Kuriosität. Die Länder bestätigen auf internationaler Ebene immer wieder, dass sie dieses Ziel erreichen wollen, de facto passiert dann aber nichts.» Doch weshalb stimmt man einem Ziel zu, von dem alle wissen, dass es nicht eingehalten werden wird? Michaelowa findet das erstaunlich, hat aber doch eine Erklärung: «Offensichtlich traut man sich nicht, gegenüber den Entwicklungsländern in diesen internationalen Gremien davon Abstand zu nehmen und zu sagen: Wir kriegen das nicht hin.»

Das EDA bestätigt auf Anfrage, hinter dem 0.70%-Ziel zu stehen, relativiert aber sogleich: «Dieses Bekenntnis stellt keine rechtliche Verpflichtung dar; es handelt sich vielmehr um ein langfristiges Ziel.» Wie langfristig das Ziel genau ist, lässt das EDA offen: «Angesichts der aktuellen Finanzlage des Bundes erscheint das Erreichen des 0.7-Prozent-Ziels in den nächsten Jahren nicht als realistisch.»

Auch bei den Zwischenzielen hapert es

Neben dem UNO-Ziel haben verschiedene Länder eigene Ziele, an denen sie sich orientieren. Schweden und Norwegen etwa gehen deutlich weiter, als dies von der UN gefordert wird und streben ein Ausgabeziel von 1% an. Grossbritannien hält an 0.7% als Zielgrösse fest, plant aber nicht, in nächster Zeit darüber hinaus zu gehen.

In der Schweiz legt das Parlament regelmässig fest, wie hoch die öffentliche Entwicklungshilfe sein soll. Das angestrebte Ziel für die Periode 2016-2020 liegt mit 0.5% des BNE deutlich unter dem UNO-Ziel. Das sei möglich, indem man dies auf UNO-Ebene als Zwischenziel auf dem Weg zu den 0.7% darstelle, erklärt Michaelowa. Andere Länder würden das ähnlich handhaben.

Das hält die Schweiz nicht davon ab, auch dieses 0.5%-Ziel zu verfehlen. Sie steht damit aber nicht alleine da. «Das sind Zwischenziele, aber selbst damit, diese Zwischenwerte tatsächlich mittelfristig zu überschreiten, tun sich die Länder oft schwer», führt Michaelowa aus. Im Falle der Schweiz dürfte das auch damit zusammenhängen, wie dieses Ziel von offizieller Seite her interpretiert wird. «Die APD-Quote ist ein internationales Messinstrument. Sie wird im Nachhinein berechnet und basiert auf den tatsächlichen Ausgaben. Sie ist deshalb kein finanzpolitisches Steuerungsinstrument,» heisst es aus dem EDA.

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Asylkosten als Entwicklungshilfe

Dass die Schweiz ihre Ziele für die Periode 2016-2020 verpasst, hat vor allem mit den Asylkosten zu tun. Die Asylkosten kann man sich zumindest teilweise an die öffentliche Entwicklungshilfe anrechnen lassen, auch wenn diese Regelung umstritten ist. Michaelowa formuliert die Kritik so: «Ich denke, die Öffentlichkeit geht von so etwas nicht aus. Man erwartet nicht, dass das in den Entwicklungshilfezahlen steckt.»

Generell sind die Asylkosten in den meisten Geberländern zurückgegangen, die Schweiz ist insofern kein Ausnahmefall. In Ländern mit kleinerem absolutem Budget würden diese Schwankungen jedoch stärker ins Gewicht fallen, so Michaelowa.

Die Ausgaben für die öffentliche Entwicklungshilfe müssen trotz einbrechenden Asylkosten nicht zwingend zurück gehen, wie der Fall Norwegen beweist. Durch den Fokus auf bilaterale Programme in Afrika sorgte der kleine nordische Staat sogar dafür, dass das Budget für die Entwicklungshilfe trotz rückläufiger Asylzahlen in den letzten Jahren angestiegen ist.

Flüchtlinge am Warten
Reuters / Adnan Abidi

«Bis wohin reicht unsere Solidarität?»

Die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise werden sich auf die Entwicklungshilfe auswirken. Das EDA lässt kaum Zweifel aufkommen, dass der Fokus aktuell wohl eher auf den finanziellen Problemen im Inland liegen wird. Der Bundesrat orientiere sich am Richtwert von 0.5%, «soweit es die wirtschaftliche Lage zulässt». Für die kommende Periode 2021-2024 lässt es die wirtschaftliche Lage wohl nicht zu, denn das EDA rechnet mit einer Quote von 0.45%.

Hilfsorganisationen zeigen sich über diese Entwicklung besorgt. Die entwicklungspolitische Arbeitsgemeinschaft Alliance Sud hält in einer Medienmitteilung fest, dass auch bei einer stabilen Quote die totalen Beiträge abnehmen können, wenn das BNE einbricht. Das Hilfswerk Caritas fordert als Reaktion auf die Covid-Krise gar eine Zielquote von 1%.

Laut Michaelowa seien die armen Länder sowieso schon schlimm von der Krise betroffen: «Wenn man dann von allen Seiten – das wird nicht nur die Schweiz sein – die Mittel streicht, weil man sie zuhause für Subventionen braucht, dann lässt man diese Länder ganz schön im Regen stehen.» Sie könne nachvollziehen, dass einige Unternehmen im Inland Unterstützung bitter nötig haben. «Es ist dann immer eine Frage, wie weit man seinen Blick richtet. Wenn man andere Teile der Welt einbezieht, dann ist die Not halt noch extremer. Letztlich stellt sich die Frage: Bis wohin reicht unsere Solidarität?»

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