Trotz Sanktionen: Die Schweiz ist für den Iran die bevorzugte Vermittlerin mit den USA
Die Vermittlungsdienste der Schweiz seien zweckmässig und effektiv, sagt Mahmoud Barimani, Botschafter des Irans in der Schweiz. Und er verrät, wie sich sein Land eine Rückkehr zum Frieden im Nahen Osten vorstellt.
Seit dem Geiseldrama in der US-Botschaft in Teheran 1980 vertritt die Schweiz die amerikanischen Interessen im Iran und erleichtert so die diplomatischen und konsularischen Beziehungen.
Die Schweiz vertritt ausserdem die iranischen Interessen in Ägypten und Kanada und tat dies bis vor kurzem auch in Saudi-Arabien.
Die jüngsten Annäherungen zwischen den rivalisierenden Staaten, die regionale Akteure wie Oman und Katar sowie China vermittelt hatten, haben jedoch dazu geführt, dass die Rolle der Schweiz als Vermittlerin an Bedeutung verloren hat.
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Die Schweiz verliert zwei Schutzmachtmandate
Verschärft haben sich derweil die Spannungen zwischen dem Iran und Israel. Dies besonders nach den Angriffen des Irans auf Israel am 13. April, die eine Reaktion war auf die Angriffe Israels auf die iranische Botschaft in Syrien zwölf Tage zuvor.
SWI swissinfo.ch: Beginnen wir mit den iranischen Angriffen auf Israel am 13. April. Die USA bestreiten, dass sie vom Iran über die Schweizer als Vermittlerin eine 72-stündige Vorankündigung erhalten haben. Der Iran behauptet jedoch, dass eine Benachrichtigung erfolgt sei. Können Sie den Widerspruch auflösen?
Mahmoud Barimani: Ich muss zunächst sagen, dass der israelische Angriff auf unser Botschaftsgelände rechtswidrig war und gegen das Völkerrecht, die UN-Charta, das Wiener Übereinkommen von 1961 und das New Yorker Übereinkommen von 1973 verstossen hat.
Die israelischen F-35-Flugzeuge zielten auf die Konsularabteilung unserer Botschaft und die Residenz des Botschafters in Damaskus. Zuvor hatte Israel bereits iranische Wissenschaftler ermordet und sich an Spionage und anderen feindlichen Aktivitäten im Iran beteiligt.
In den letzten sieben Monaten wurden über 20 unserer wichtigsten Militärberater in Syrien angegriffen, die sich dort auf Einladung der syrischen Regierung aufhielten.
Wir hatten keine andere Wahl, als auf den Botschaftsangriff zu reagieren, und wir taten dies, nachdem wir die Amerikaner über die Schweizer Botschaft frühzeitig informiert hatten.
Wir zielten auf die Militärbasen ab, von denen die israelischen Angriffe ausgegangen waren, wobei wir darauf achteten, dass keine Zivilisten zu Schaden kamen. Unsere Reaktion fand in einem begrenzten Rahmen statt. Jede weitere israelische Militäraktion müsste mit einer stärkeren Reaktion beantwortet werden.
Abgesehen von der Übermittlung der Botschaft an die USA, hatte die Schweiz während des Angriffs noch eine andere Kommunikationsrolle?
Die Schweiz ist seit über vier Jahrzehnten im Rahmen ihres Schutzmachtmandats mit der Wahrnehmung unserer Interessen in den USA betraut.
Sie hat die Nachrichten zwischen uns und den USA pünktlich und korrekt übermittelt. Ihre Rolle bei der Erleichterung der Kommunikation war zweckmässig und effektiv.
Das Schweizer Aussenministerium hat die iranischen Angriffe auf Israel verurteilt und erklärt, dass diese die Risiken für die Region erheblich erhöhen würden. Wie haben Sie angesichts des Mandats der Schweiz für den Iran darauf reagiert?
Die Frage nach der Stellungnahme der Schweiz sollte an die Schweizer Regierung gerichtet werden.
Die israelische Aggression gegen unsere diplomatischen Einrichtungen sollte von allen verurteilt werden, da die Unverletzlichkeit der diplomatischen Einrichtungen ein Grundprinzip des Völkerrechts ist.
Die Aggression wurde von der Schweizer Regierung denn auch verurteilt. Wäre eine europäische Botschaft Ziel eines Angriffs gewesen, so hätte der britische Aussenminister David Cameron mit Nachdruck reagiert. Die gleichen Massstäbe sollten auch für den Iran gelten.
Berichten zufolge fanden im Januar im Oman direkte bilaterale Kontakte zwischen den USA und dem Iran statt, bei denen es um einen möglichen Waffenstillstand im Gazastreifen ging, wobei Vermittlerstaaten aussen vor blieben. Können Sie das bestätigen?
Neben dem Schweizer Kanal nutzen wir gelegentlich Zwischenhändler wie Oman und andere in der Region des Persischen Golfs. Wir prüfen diese Möglichkeiten, wenn sie dem Frieden und der Stabilität in der Region dienen.
Können Sie diese direkten Kontakte bestätigen, oder laufen sie immer über Vermittler:innen?
Sie laufen generell via Vermittler:innen.
Sie haben die Rolle der Schweiz als Vermittlerin in den letzten vier Jahrzehnten als effektiv bezeichnet. Glauben Sie, dass die Schweiz immer noch gute Arbeit leistet, oder nimmt ihr Einfluss ab?
Vertrauen und Zuversicht waren im Laufe der Jahre die Schlüsselfaktoren zwischen uns. Die Schweiz hat sich als vertrauenswürdig erwiesen. Sie vermittelt Botschaften präzise.
Unsere Zusammenarbeit hat sich weiter gefestigt, und wir glauben, dass wir auf dem richtigen Weg zu einer stärkeren Kooperation sind. Aus diesem Grund haben wir der Schweiz auch das Schutzmachtmandat für Saudi-Arabien und Kanada anvertraut.
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Am 10. März haben der Iran und Saudi-Arabien ihre Absicht bekundet, unter chinesischer Vermittlung wieder diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Können Sie bestätigen, dass Teheran infolgedessen das Mandat der Schweiz zur Vertretung ihrer Interessen in Saudi-Arabien mit Wirkung vom August 2023 gekündigt hat?
Ja, das Mandat wurde letztes Jahr nach der Annäherung mit Saudi-Arabien beendet.
Im September 2023 spielten sowohl Katar als auch die Schweiz eine Rolle bei einem iranisch-amerikanischen Gefangenenaustausch. Können Sie die Beteiligung der Schweiz näher erläutern?
Katar spielte eine Schlüsselrolle, aber auch die Schweiz hat ihren Beitrag geleistet. Schweizer Beamte, darunter der Leiter der Abteilung Naher Osten und Nordafrika des Aussenministeriums und ihr Botschafter in Teheran, waren während des Gefangenenaustauschs in Doha anwesend.
Glauben Sie, dass angesichts des von China vermittelten Abkommens zwischen Saudi-Arabien und dem Iran die Rolle der Schweiz in der Region schwächer wird?
Nein. China hat bei der Annäherung eine wichtige Rolle gespielt, was aber die Rolle der Schweiz insgesamt nicht schmälert. Die Schweiz hat nach wie vor den Schutzauftrag für uns in den USA und in Kanada.
Wir begrüssen jede Initiative der Schweiz, die zu regionalem Frieden und Stabilität führt. Jeder Akteur hat seine Rolle, und die Schweiz spielt weiterhin eine wichtige Rolle.
Die Schweiz hat verschiedene UN- und EU-Sanktionen gegen den Iran unterstützt. Wie wirkt sich das auf ihre Rolle als Vermittlerin aus?
Wir sind mit diesen Positionen unzufrieden und haben unsere diesbezüglichen Einwände bei der Schweizer Regierung deponiert.
Was sagen Sie zu den Vorwürfen, der Iran destabilisiere die Region, indem er Gruppen wie die Hamas, die Hisbollah und die Houthis unterstütze?
Das sind Behauptungen. Wir setzen uns für regionale Stabilität und Deeskalation im Nahen Osten ein, wie unsere Bemühungen in den letzten Monaten gezeigt haben.
Um die regionale Stabilität und Zusammenarbeit am Persischen Golf zu verbessern, haben wir Initiativen vorgelegt, namentlich den regionalen Dialog und den Nichtangriffspakt.
Das Vorgehen des israelischen Regimes im Gazastreifen, wo über 35’000 Menschen getötet wurden, ist Völkermord und ein Kriegsverbrechen.
Die eigentliche Ursachen des Konflikts sind die Besatzung und die Aggression, nicht die Handlungen des Irans. Die Öffentlichkeit ist sich dessen bewusst. In Europa und weltweit finden Demonstrationen gegen diese Grausamkeiten statt. Anschuldigungen gegen den Iran ändern nichts an der Realität vor Ort.
Das «Hormuz Peace Endeavor» (Hope) wurde von Präsident Hassan Rouhani auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2019 vorgestellt.
Die Initiative zielt darauf ab, eine Koalition aus Ländern des Persischen Golfs, darunter Iran, Irak, Saudi-Arabien, Kuwait, Katar, Oman, Bahrain und möglicherweise Jemen zu bilden, um die kollektive Sicherheit zu sichern.
Hope setzt auf Nichtangriff, Nichteinmischung und Achtung der Souveränität. Ziel ist es, die Energieversorgung zu sichern und die freie Schifffahrt in der Strasse von Hormuz zwischen dem Persischen Golf und dem Golf von Oman zu gewährleisten. Gleichzeitig soll die Initiative den Frieden und das gegenseitige Verständnis zwischen den Staaten der Region fördern.
1974 schlug der Iran eine Initiative für einen Nahen Osten ohne Massenvernichtungswaffen (MVW) vor. Dieser Vorschlag, der von Ägypten unterstützt und bei den Vereinten Nationen registriert wurde, zielte darauf ab, in der Region eine Zone zu schaffen, die frei von nuklearen, chemischen und biologischen Waffen ist.
Diese Initiative sollte ausserdem die Abrüstung fördern und langfristig zu Frieden und Stabilität in der Region beitragen.
Welche Massnahmen sind notwendig, um eine weitere Eskalation des Konflikts in der Region zu verhindern?
Ein sofortiger Waffenstillstand und humanitäre Hilfe für die Bedürftigen sind unerlässlich. Der Grenzübergang Rafah (zwischen dem von der israelischen Armee kontrollierten Gazastreifen und der ägyptischen Grenze) sollte geöffnet werden.
Die Menschen sollten in ihre Häuser zurückkehren, und es könnte ein Gefangenenaustausch stattfinden. Und darauf muss der Wiederaufbau des Gazastreifens folgen. Ohne die Berücksichtigung dieser Grundsätze können Stabilität und Frieden nicht erreicht werden.
Vor der islamischen Revolution von 1979 waren die Beziehungen zwischen dem Iran und Israel enger. Glauben Sie, dass sich die Beziehungen wieder bessern könnten? Würde eine Ein-Staat-Lösung oder eine Zweistaatenlösung die Voraussetzungen für die Anerkennung Israels durch den Iran schaffen?
Wir erkennen das israelische Besatzungsregime nicht an. Damit sie selbst über ihre Zukunft entscheiden können, schlagen wir ein Referendum und Wahlen vor. Daran können sowohl die ursprünglichen Palästinenser, die 1948 vertrieben wurden, als auch die vor Ort lebenden Menschen – Muslime, Juden und Christen – teilnehmen.
Die Zweistaatenlösung hat sich nicht als sinnvoll und machbar erwiesen, ganz zu schweigen von der Ablehnung dieser Lösung durch die Regierung von [Israels Premierminister Benjamin] Netanjahu. Unser Standpunkt ist, dass es eine demokratische Lösung mit einem Referendum geben muss.
In letzter Zeit haben der Iran und Russland ihre Beziehungen verstärkt. Als Reaktion darauf teilte Israel Russland seine «roten Linien» in Bezug auf die Aktivitäten des Irans in Syrien mit. Wie nimmt der Iran diese diplomatischen Schritte wahr?
Unsere Beziehungen zu Russland sind unabhängig von den Meinungen anderer. Wir sind auf Einladung der syrischen Regierung in Syrien und leisten wie gewünscht militärische Beratungsdienste. Die von Ihnen erwähnten roten Linien ändern nichts an unseren Entscheidungen.
Sie ignorieren also die Mitteilung Israels über rote Linien?
Ja, wir treffen unsere eigenen Entscheidungen unabhängig von der Haltung Israels, da wir das israelische Regime nicht anerkennen.
Editiert von Virginie Mangin/ts, Übertragung aus dem Englischen: Marc Leutenegger. SWI swissinfo.ch hat dieses Interview bei einem Treffen im Mai 2024 geführt.
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