Trumps Wirtschaftskrieg: Europa und die Schweiz suchen die Nähe zu den Mercosur-Staaten

Während Washington Zollmassnahmen ankündigt, wendet sich Europa anderen Handelspartnern zu. Die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) drängt, angeführt von der Schweiz, auf die Unterzeichnung Freihandelsabkommens mit den Mercosur-Staaten und folgt damit dem Beispiel der EU.
Die Absicht von Donald Trump, Europa mit neuen Zöllen zu bestrafen, ist in aller Munde. Der US-Präsident behauptet, die EU habe die USA lange über den Tisch gezogen und einseitig von ihr profitiert.
Dabei überzeichnetExterner Link er den Handelsbilanzüberschuss der EU gegenüber den USA. Dieser liegt tatsächlich bei nur bei rund 3%.
Laut Eurostat-Daten sind die USA das wichtigste Ziel für europäische Warenexporte. Umgekehrt liegen sie bei den Einfuhren in die EU an zweiter Stelle – nach China und vor dem Vereinigten Königreich und der Schweiz.
Es drohen zweistellige Einbrüche des globalen BIP
«Die EU und die USA müssen zusammenarbeiten, um den Multilateralismus und eine auf Regeln basierende internationale Ordnung zu verteidigen», liess die Europäische Kommission kürzlich in einer Pressemitteilung verlauten.
Gleichzeitig hat die EU ihre handelspolitischen Schutzinstrumente gestärkt, darunter eines zur Zwangsbekämpfung, das als letztes Mittel gegen Handelserpressung durch Drittländer eingesetzt werden kann.
Eigentlich unterhält die Welthandelsorganisation (WTO) ein Streitbeilegungssystem, dieses gilt aber nicht für Fälle wirtschaftlicher ErpressungExterner Link, warnte das Europäische Parlament.
Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala hatte bereits im Januar in einer Debatte auf dem WEF in Davos dazu aufgerufen, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Die Welt habe in der Geschichte hart daran gearbeitet, die Zölle zu senken, und dieser Ansatz habe den globalen Handel zum Nutzen aller Länder angekurbelt.
«Wenn wir Vergeltungsmassnahmen ergreifen, egal ob es sich um Zölle von 25% oder 60% handelt, und in die Situation der 1930er-Jahre zurückfallen, werden wir zweistellige Einbussen beim globalen BIP erleben. Das ist katastrophal», sagte die nigerianische Wirtschaftswissenschaftlerin.
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Die EU will die Nebeneffekte der US-Zölle nutzen
Es sei klar, dass ein Zollkrieg gewisse Produkte verteuern dürfte, heisst es von der EU zur aktuellen Lage. Aber diese Massnahmen könnten die betroffenen Länder auch ermutigen, ihre Beziehungen zu Europa als Gegengewicht zu Washington zu stärken.
Noch unbeeindruckter zeigte kürzlich sich die Schweizer Bundespräsidentin und Finanzministerin Karin Keller-Sutter. «Die Schweiz wird nicht unter den Folgen des Handelsstreits zwischen den USA und der EU leiden», sagte sie beim G20-Treffen in Kapstadt Ende Februar.
Gerade entsteht die grösste Freihandelszone der Welt
Während Trump seine «Karten» ausspielt, bemüht sich der «alte Kontinent» um eine Diversifizierung, mit klaren Avancen in Richtung Südamerika.
Die Europäische Kommission und Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay – die dem Gemeinsamen Markt des Südens (MERCOSUR) angehören – gaben im Dezember 2024 den Abschluss der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen bekannt. Nach mehr als zwei Jahrzehnte dauernden Verhandlungen.

Nun beginnt ein komplizierter Ratifizierungsprozess, um die grösste Freihandelszone der Welt zu bilden. Die EU umfasst einen Markt von 450 Millionen Menschen, die Bevölkerung der Mercosur beläuft sich auf 280 Millionen.
«Dieser Vertrag ist nicht nur eine wirtschaftliche Chance, sondern auch eine politische Notwendigkeit», sagte die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen im Dezember in MontevideoExterner Link mit Blick auf die aktuelle Weltlage.
Schweiz könnte ihr Freihandelsabkommen noch dieses Jahr abschliessen
Wirtschaftspolitik ist auch Geopolitik, und die Schweiz ist eine der gewieftesten Akteurinnen in diesem Bereich. Sie hat auf dem Weg zu ihrem eigenen Abkommen mit den Mercosur-Staaten grosse Fortschritte gemacht, indem sie die Verhandlungen der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) leitet, die sie mit Norwegen, Island und Liechtenstein bildet.
«Die Verhandlungen könnten in der ersten Jahreshälfte abgeschlossen, das Abkommen in der zweiten Jahreshälfte unterzeichnet werden», sagte Nicolas Bideau, Sprecher des Schweizer Aussenministers Ignazio Cassis dazu.

Cassis und Bideau waren vom 3. bis 7. Februar nach Paraguay, Brasilien und Bolivien gereist, um die Verhandlungen zu beschleunigen. Bolivien ist erst im Juli 2024 dem Mercosur-Block beigetreten.
Im Gegensatz zu Brüssel verhandelt die EFTA direkt mit der Regierung in La Paz, im Bemühen, sich diesem Land im «Lithium-Dreieck», zu dem auch Argentinien und Chile gehören, anzunähern.
Wichtigster Handelspartner der Schweiz in Lateinamerika bleibt Brasilien, wo sie zu den fünf grössten Investorenländern gehört. Brasilien hat dieses Jahr den Vorsitz in der BRICS-Staatengruppe, die von Donald Trump ebenfalls mit Zöllen bedroht wird.
Der Schweizer Aussenminister Cassis vereinbarte mit seinem brasilianischen Amtskollegen Mauro Vieira, die Verhandlungen so schnell wie möglich abzuschliessen.
In der Schweiz gibt es nicht nur Zuspruch
«Für die Exportnation Schweiz sind neue Freihandelsabkommen von grosser Bedeutung. Das globale Handelssystem gerät wegen der immer wieder aufflammenden Handelskonflikte unter Druck. Jedes neue Abkommen trägt stückweise dazu bei, die Rahmenbedingungen für unsere Firmen zu verbessern», sagt Jan Atteslander, Mitglied der Geschäftsleitung von EconomiesuisseExterner Link, dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft.
Das Mercosur-Abkommen könnte sich bald zu den Freihandelsabkommen gesellen, welche die Schweiz bereits auf bilateraler Ebene oder im Rahmen der EFTA abgeschlossen hat, zuletzt mit Indien, dem Kosovo und Thailand. Mehr in diesem Artikel:

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Wer profitiert von Freihandelsabkommen mit der Schweiz?
Kritischere Töne kommen vom Schweizer Bauernverband. Sprecherin Sandra Helfenstein sagt: «Wir erwarten von der Schweizer Regierung, dass ein Abkommen zwischen Mercosur und der Schweiz als Mitglied der EFTA die Besonderheiten unserer Landwirtschaft berücksichtigt: hohes Kostenniveau, hohe Produktionsanforderungen, Topographie usw.»
Nach Abschluss und Unterzeichnung des Abkommens würde in der Schweiz der Ratifizierungsprozess im Parlament beginnen. Theoretisch wäre dann auch ein fakultatives Referendum möglich.

Was könnte die Ratifizierung dieses Mal verhindern? «Die rote Linie für mich und weitere Mitglieder der SVP ist, dass Bauern nicht geopfert werden», sagt der Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor.
«Für die Verbraucher steht noch eine andere Frage auf dem Spiel: Der Agrarsektor der Mercosur-Länder unterliegt nicht denselben Regeln wie der unsere, was die Verwendung bestimmter Produkte betrifft.»
Für die Mercosur-Staaten eilt das Abkommen nicht
Cédric Dupont, Professor am Institut für Internationale Studien der Universität Genf, sagt: «Die Schweiz erhebt bereits einseitig keine Zölle auf Waren, so dass die Mercosur-Staaten nicht viel zu gewinnen haben, es sei denn, die Schweiz macht Zugeständnisse im Bereich der Landwirtschaft. Aber die gibt es offenbar nicht: Die Schweiz schützt ihre wichtigsten landwirtschaftlichen Sektoren.»
Wenn der politische Wille in beiden Gruppen vorhanden wäre, stünden Mercosur und EFTA kurz vor der Unterzeichnung ihres Freihandelsabkommens, ist er überzeugt.
«Aber dieser ist in den Mercosur-Staaten derzeit nicht sehr ausgeprägt.» Es sei schwierig einzuschätzen, welche politische Priorität die Mercosur-Staaten dem Abkommen einräumten, das viel weniger wichtig sei als das mit der EU.
Für Dupont ist indes klar, dass das Abkommen insbesondere für die Schweiz an Bedeutung gewonnen hat, obschon das Handelsvolumen mit den Mercosur-Staaten im Vergleich zu jenem mit Europa, China und den USA noch gering ist.
Kleiner Markt mit grosser Kaufkraft
Oscar Eduardo Fernández-Guillén, Spezialist für lateinamerikanische Integration, in Buenos Aires sagt, das Abkommen mit der EFTA sei von «relativer Bedeutung» für die Mercosur-Staaten. Verglichen mit der EU sei die EFTA mit 15 Millionen Menschen ein kleiner Markt. «Aber es handelt sich um Länder mit einem der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt.»
Der EFTA-Markt macht 1% des gesamten Handels der Mercosur-Staaten aus, während China 30% ausmacht. Dennoch ist jede Verhandlung wichtig, da die Abkommen klare Spielregeln für die Wirtschaftsbeziehungen aufstellen.
Nicht nur für den Handel, sie enthalten auch Regeln für Investitionen, wie Dupont und Fernández-Guillén übereinstimmend sagen.
Mercosur wird durch Partikularinteressen gelähmt
«Das Problem der Mercosur-Staaten besteht darin, dass ihre externe Verhandlungsagenda ohne supranationale Instanzen in den Händen der rotierenden Vorsitzenden liegt, in diesem Semester von Argentinien», sagt Fernández-Guillén.
Das führe dazu, dass kurzfristige politisch-ideologische Ziele und nicht langfristige regionale Ziele verfolgt würden, weshalb «Mercosur seit 2000 eingeschlafen ist.»
Darüber hinaus versucht Donald Trump, die Region neu zu ordnen, in der China, gegen das er ebenfalls einen Handelskrieg führt, bereits eine starke Position hat.
«Wir laufen Gefahr, Zeuge eines Kampfes zwischen Lulas Brasilien, das eine pro-russische und pro-chinesische Position vertritt, und Mileis Argentinien zu werden, das eine pro-amerikanische Position verteidigt», kommentiert Michel Celi Vegas, Präsident des in Genf ansässigen Zentrums für Austausch und Zusammenarbeit für Lateinamerika (CECAL).
Neue Entwicklungschancen als Reaktion auf Trump
In jedem Fall habe Trumps Handelskrieg Auswirkungen auf die Inflation und die Realeinkommen, was Mächte wie die EU oder Länder mit einem hohen Pro-Kopf-Einkommen wie die EFTA-Länder dazu veranlasse, nach Alternativen zu suchen – um ihre Abhängigkeit von den USA zu reduzieren, sagt Fernández-Guillén.
Die daraus resultierenden Abkommen münden in Investitionen, die sich in der Ansiedlung von Unternehmen, Produktionsprozessen und der Schaffung von Arbeitsplätzen in Schwellenländern niederschlage.
Editiert von Marc Leutenegger

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