Tun westliche Länder genug, um den illegalen Müllhandel zu bekämpfen?

Der grenzüberschreitende illegale Abfallhandel ist ein Milliardengeschäft. Obwohl er eine Bedrohung für Gesundheit und Umwelt darstellt, wird er auch in Ländern mit strengen Abfallvorschriften wie der Schweiz nicht ausreichend verfolgt.
Ein altes Auto gegen ein neueres Modell auszutauschen ist in der Schweiz nichts Bemerkenswertes. Ein alltäglicher Vorgang. Man geht davon aus, dass das Altfahrzeug auf einem Schweizer Schrottplatz sein Ende findet.
Denn in der Schweiz gibt es strenge Regeln für die Abfallentsorgung. Sie stuftExterner Link Fahrzeuge am Ende ihres Lebens als «kontrollpflichtigen Abfall» ein. Entsorgungsfirmen brauchen eine Bewilligung, um sie entgegenzunehmen. Sie können die Altfahrzeuge zur Entsorgung exportieren: in einen der 27 EU-Mitgliedstaaten oder innerhalb der OECD, einer internationalen Organisation von 38 vorwiegend wohlhabender Länder.
Gleichzeitig gehen beim Bundesamt für Umwelt (BAFU) jedes Jahr zwischen 150 und 300 Meldungen über illegale Abfallexporte ein, die am Zoll entdeckt wurden. Das meiste davon sind gebrauchte Fahrzeuge, gefolgt von Altreifen und Elektronik, bestimmt für andere europäische Länder und Afrika.
Dieser Artikel ist die Antwort auf die Frage eines Lesers von SWI swissinfo.ch, der wissen wollte, ob es stimmt, dass grosse Mengen an Abfall aus der Schweiz, wie z.B. Gebrauchtwagen, in Afrika landen. Wenn Sie eine Frage zum Schweizer Handel oder zur Diplomatie haben, die wir beantworten sollen, können Sie einen Kommentar in unserer Debatte zu diesem Thema hinterlassen.
Und das dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein. Im Jahr 2023 exportierte die Schweiz offiziell über 460’000 Tonnen Abfall und importierte 77’000 Tonnen. Weltweit queren jedes Jahr rund 180 Millionen Tonnen MüllExterner Link regulär die Grenzen. Doch rund ein Drittel der in der EU produzierten Abfälle werden illegal gehandelt, schätzt die Generaldirektion UmweltExterner Link der EU-Kommission. Für die Schweiz gibt es keine entsprechenden Schätzungen.
«Der illegale Handel mit Abfällen wird zu wenig überwacht», sagt Amanda Cabrejo le Roux, stellvertretende Leiterin des Programms Green Corruption am Basel Institute on Governance. Ihn aufzudecken sei schwierig, vor allem wegen der schieren Menge an Containern, die rund um den Globus unterwegs sind. Nur 2-10% der mehr als 90 Millionen ContainerExterner Link, die jedes Jahr in den Häfen der EU ankommen, werden inspiziert. In anderen Teilen der Welt seien die Kontrollquoten wahrscheinlich noch geringer.
Dies erschwere nicht nur die Datenerfassung, sagt Cabrejo le Roux. Es macht es auch leicht, die Regeln zu umgehen. Daher gilt der Abfallhandel als ein Verbrechen mit geringem RisikoExterner Link, das potenziell Milliarden einbringt.
Organisierte Kriminalität
«Geld ist, wie auch bei anderen Arten illegalen Handels, der Hauptgrund für das Schattengeschäft mit dem Müll», sagt Serena Favarin, Kriminologin an der Università Cattolica del Sacro Cuore in Mailand und Forscherin bei Rechercheinstitut Transcrime. In den 1990er Jahren stieg das Bewusstsein über die Umweltschäden und negativen Folgen für die Gesundheit durch den Abfall.
In der Folge haben zahlreiche Länder angefangen, die Vorschriften für die Entsorgung zu verschärfen. Skrupellose Unternehmen jedoch suchten nach Wegen, sich vor den Kosten für eine ordnungsgemässe Abfallbehandlung oder -entsorgung zu drücken.

«Sie vergraben den Abfall weiterhin illegal», so Favarin. «Oder sie verschiffen ihn in Drittländer, in denen die Vorschriften weniger streng sind und die Entsorgung billiger ist.»
Auch kriminelle Organisationen mischen mit: Sie sammeln grosse Abfallmengen in einem Land, um sie in ein anderes Land zu transportieren. Oder sie schleusen sich in seriöse Unternehmen ein, um öffentliche Aufträge für die Abfallentsorgung zu erhalten, nur um dann die Vorschriften zu umgehen, sagt Favarin.
Um durch den Zoll zu kommen, fälschen die Täter:innen Dokumente und oder kennzeichnen ihre Exporte absichtlich falsch. «Auf dem Dokument steht dann etwa, dass es sich um Papier zum Recyceln handelt, während der Inhalt in Wahrheit Bleibatterien oder etwas ähnlich Giftiges ist», so Cabrejo le Roux.
In einigen Fällen profitieren aber nicht nur die kriminellen Unternehmen, sondern auch der informelle Sektor in den Zielländern. Gebrauchtwagen etwa können weiterverkauft oder ihre Teile zur Herstellung anderer Produkte ausgebaut werden, so Favarin. Bis zu zwei Drittel eines Autos können laut BAFUExterner Link für die Herstellung von Plastik, Textilien, Gummi, Glas und Metall verwendet werden.
Gefahr für die Gesundheit
Viele Aktivist:innen bezeichnenExterner Link diesen Handel als «Abfallkolonialismus». Die Industrienationen würde andere Länder ausnutzen, argumentieren sie: Indem sie ihnen ihren unerwünschten Müll schickten, obwohl es dort an geeigneten Abfallentsorgungseinrichtungen mangelt.
«Wird Abfall nach Afrika exportiert, ist das Dumping», sagte Semia Gharbi, Präsidentin der tunesischen Nichtregierungsorganisation Association of Environmental Education for Future Generations. «Wir wissen zum Beispiel, dass nur 9% der Kunststoffe unter den besten Bedingungen recycelt werden», so Gharbi. «Das bedeutet, dass der Rest nicht wiederverwendet wird.»

Unbehandelter Abfall birgt zahlreiche Gefahren für Gesundheit und Umwelt. Werden etwa Altfahrzeuge unsachgemäss entsorgt, können gefährliche Flüssigkeiten und andere Schadstoffe austreten. Deshalb zielt das Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer EntsorgungExterner Link darauf ab, den Handel mit dieser Art von Abfällen einzuschränken.
Auch die Schweiz hat die Konvention unterzeichnet. In Afrika verbietet zudem die Bamako-KonventionExterner Link die Einfuhr von gefährlichen Abfällen auf den Kontinent.
Doch alte Autos können der Gesundheit und der Umwelt auch schaden, wenn sie weiterhin auf den Strassen unterwegs sind. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) berichtetExterner Link, dass Millionen gebrauchter Fahrzeuge von «schlechter Qualität» in Niedriglohnländer gelangen – hauptsächlich illegal aus dem Westen. Diese Fahrzeuge «tragen erheblich zur Luftverschmutzung bei und behindern die Bemühungen zur Eindämmung der Auswirkungen des Klimawandels», schreibt das UNEP.
Selbst wenn die Behörden in den Zielländern illegale Abfalltransporte entdecken, ist eine Rückführung ins Ursprungsland oft unmöglich, da die Händler:innen die Herkunft ihres Mülls zu verschleiern versuchen, schreibt das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC)Externer Link. «Als Resultat endet der meiste Abfall auf illegalen Mülldeponien, im Meer oder wird im Freien verbrannt.»
Als auf den Philippinen riesige Mengen illegalen Mülls entdecktExterner Link wurden, sorgte dies landesweit für Empörung: Denn in dem Land gibt es weniger als 300 offizielle Mülldeponien für eine Bevölkerung von 117,3 Millionen.
«Das reicht kaum für die inländische Abfallproduktion», sagt Gregorio Rafael Bueta, Rechtsberater bei der Nichtregierungsorganisation EcoWaste Coalition und Dozent an der Ateneo de Manila University School of Law. «Deswegen gibt es viele illegale Deponien.» Die Abfälle sickerten dann in die Flüsse und das Trinkwasser auf dem Land und in den Städten.

Die zahlreichen Arbeiter:innen im informellen Sektor, darunter Frauen und Kinder, «sind diejenigen, die den Müll durchsieben und dabei den gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt sind, abgesehen von den Auswirkungen auf ihre Würde als Menschen», so Bueta. Informelle Müllarbeiter:innen kommen mit giftigen Chemikalien in Kontakt und sind anfälligExterner Link für Verletzungen und Atemwegserkrankungen.
Wachsendes Bewusstsein
Das Bewusstsein für den illegalen Handel mit Abfällen nimmt langsam zu. Die Weltzollorganisation räumt einExterner Link, dass mehr Daten benötigt werden, um das Problem besser verstehen und angehen zu können. Sowohl das UNODC als auch das UNEP dokumentieren globale Trends im Abfallhandel und schulen Zollbeamte beim Ausfindig machen von illegaler Ware.
Die EU hat 2024 eine neue VerordnungExterner Link über das Verschiffen von Abfällen und eine Richtlinie über UmweltkriminalitätExterner Link eingeführt, die unter anderem die Ausfuhr von Kunststoffen in Länder ausserhalb der EU verbietet und härtere Strafen für Abfallkriminalität vorsieht.
Diese Massnahmen seien wichtig, so Favarin, aber sie verdeutlichten auch ein «Ungleichgewicht»: zwischen jenen Ländern, die strenge Vorschriften, Vollzug und Strafen haben, und jenen, die dies nicht haben.
Das Ungleichgewicht erschwere die Bekämpfung des illegalen Handels. Die Strafen seien oft «unverhältnismässig niedrig im Vergleich zu den potenziellen Umwelt- und Gesundheitsschäden, die den Zielländern zugefügt werden», schreibt das UNODC in einem BerichtExterner Link über den Abfallhandel von Europa nach Südostasien.
In der Schweiz sieht das GesetzExterner Link für die illegale Ein- oder Ausfuhr von Abfällen Haftstrafen von bis zu drei Jahren vor. Von 25 Anklagen gegen illegalen Abfallhandel im Jahr 2023 endeten allerdings nur 15 mit einer Verurteilung – alle mit Geldstrafen zwischen 200 und 8000 Franken.
Um das Problem in den Griff zu bekommen, «reicht es nicht, ein paar faule Äpfel loszuwerden», so Cabrejo le Roux. Stattdessen schlägt sie vor, über gesetzliche Regulierungen sicherzustellen, dass bei der Vergabe von Aufträgen für die Hausmüllentsorgung keine unangemessene Beeinflussung ausgeübt wird, die zu Korruption führen könnte. Zudem sollten die Kapazitäten für Inspektionen an Mülldeponien, Häfen und Grenzen verstärkt werden.
Auch reiche Länder müssten ihre derzeitigen Praktiken überdenken, sagt sie. «Sollen westliche Länder ihren Abfall wegschicken oder sollten sie versuchen, ihn auf eine nachhaltigere Weise zu entsorgen?» Die UNO geht davon ausExterner Link, dass die weltweite Menge an festen Siedlungsabfällen von 2,1 Milliarden Tonnen im Jahr 2023 auf 3,8 Milliarden im Jahr 2050 ansteigen wird.
Auf den Philippinen machen Aktivist:innen Druck für ein Verbot aller Abfallimporte, so wie es China, einst der weltweit grösste Importeur von Plastikmüll, im Jahr 2019 eingeführt hatExterner Link. Zudem fordern sie, dass die Regierung das Ban AmendmentExterner Link zum Basler Übereinkommen unterzeichnet, das den OECD- und EU-Staaten den Export von gefährlichen Abfällen untersagt
«Das wäre ein Signal», so Bueta, «dass wir nicht die Müllhalde der Industrieländer sind.»
Edited von Lindsey Johnstone; Übertragung aus dem Englischen: Meret Michel/me

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