Unverständnis über Schweizer Rückzug aus Bangladesch bei Hilfsorganisationen und Ex-Botschafter

Nach über 50 Jahren beendet die Schweiz ihre bilaterale Zusammenarbeit mit Bangladesch. Bei Partnerorganisationen und Fachleuten ist das Unverständnis über diesen Entscheid gross. Auch, weil das Land vom USAID-Stopp betroffen ist.
Die Schweiz gibt in den nächsten vier Jahren 431 Millionen Franken weniger für die Entwicklungszusammenarbeit aus. Das hatte das Parlament beschlossen. Dieses Geld will die Regierung unter anderem bei der bilateralen Zusammenarbeit einsparen. Bis 2028 zieht sich die Schweiz aus den drei Partnerländern Bangladesch, Sambia und Albanien zurück.
Viele westliche Länder sparen in der internationalen Zusammenarbeit, darunter auch Schweden oder Frankreich. Kürzlich bekundeten die Niederlanden, die Entwicklungshilfe um einen Drittel zu kürzen und nur noch «im eigenen Interesse» einzusetzen. Vom Einfrieren und der wahrscheinlichen Einsparung Dutzender Milliarden US-Entwicklungshilfe sind auch bereits die Menschen im grössten Flüchtlingslager der Welt in Bangladesch betroffen. Der Schweizer Rückzug erfolgt langsamer.
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René Holenstein, ehemaliger Schweizer Botschafter in Bangladesch, kritisiert das Schweizer Vorgehen trotzdem: «Die Schweiz stellte die Regierung Bangladeschs vor vollendete Tatsachen – und das in einer Zeit, in der das Land von den USA fallengelassen wurde.» (Der USAID-Stopp der amerikanischen Regierung betrifft auch Bangladesch.) Das stehe im Widerspruch zu den Grundsätzen der partnerschaftlichen Zusammenarbeit, wie sie etwa in der von der Schweiz mitunterzeichneten Paris-Erklärung von 2005Externer Link verankert sind.
Immerhin: Die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) plant in den Bereichen Klima, Migration und Humanitäre Hilfe in Bangladesch zu bleiben. Die zukünftige Ausrichtung in diesen Bereichen werde aktuell erarbeitet, heisst es seitens des Aussendepartements. Insbesondere beim Klimaschutz und der Migration werde die Schweiz in Bangladesch in Zukunft vermehrt einen regionalen Ansatz verfolgen.
«Natürlich ist es notwendig, dass die Schweiz im humanitären Bereich in Bangladesch bleibt», sagt Holenstein. Es sei jedoch keine nennenswerte Leistung. «Die Bangladeschis sind sehr selbstbewusste Menschen. Sie wollen vom Norden nicht lediglich als humanitärer Notfall behandelt werden, sondern auf Augenhöhe verhandeln.»
Die Schweiz reduziert die bilaterale Entwicklungshilfe
Dazu habe die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit beigetragen. Mit ihren langfristig angelegten Programmen und einem Fokus auf Nachhaltigkeit, sei sie sozusagen die «DNA der Schweizer Entwicklungspolitik», meint Holenstein. Doch genau dort baut die Schweiz seit dem Amtsantritt von Aussenminister Ignazio Cassis 2017 kontinuierlich ab: Die Anzahl Schwerpunktländer sind in dieser Zeit von 46 auf 34 verringert worden und der Anteil der bilateralen Entwicklungshilfe um rund 10% zurückgegangen.
Damit stelle die Schweiz ihre politischen Eigeninteressen vor die aussenpolitischen. «Aus Bangladesch kommen keine Geflüchteten zu uns», sagt Holenstein. Im Gegensatz zu Nordafrika, wo die Schweiz die Zusammenarbeit sogar ausbaut. Diese Ausrichtung schade nicht zuletzt der Schweizer Reputation im Ausland.
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Für Bangladesch erhöhe sich ausserdem das Risiko neuer Abhängigkeiten – beispielsweise von China. Das südasiatische Land im indischen Ozean ist für China von strategischer Bedeutung. Forschende am College of William and Mary im US-Bundesstaat Virginia schätzenExterner Link, dass China seit dem Jahr 2000 in Bangladesch 138 Entwicklungsprojekte finanziert hat. Dabei seien insgesamt fast 21 Milliarden US-Dollar geflossen. China werde sich in Bangladesch vornehmlich auf Infrastrukturprojekte konzentrieren. Bisherige Schwerpunkte der Schweiz, darunter Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz oder Demokratieförderung, würden hingegen kaum zum Fokus der Chinesen gehören.
«Mit ihren bilateralen Entwicklungsprogrammen hat die Schweiz dazu beigetragen, dass es funktionierende Schulen gibt, dass landwirtschaftliche Lieferketten funktionieren, KMUs gefördert und die Rechte der Bürger:innen gestärkt werden», sagt Holenstein. Die lokale Bevölkerung sei nun das Hauptopfer dieses Entscheids.
«Ein deutliches Zeichen, das die Schweiz sendet»
Dass ausgerechnet bei Bangladesch gespart wird, überrascht auch die Partnerorganisationen der Schweiz, die vor Ort tätig sind. «Ich sehe keine Gründe, die für einen Rückzug aus dem Land sprechen», sagt Talha Paksoy, Programmverantwortlicher in Bangladesch beim Hilfswerk Solidar Suisse. Die aktuelle politische Instabilität, die hohe Inflation und die Jugendarbeitslosigkeit stelle das Land vor grosse Herausforderungen. Zusammen mit der katastrophalen humanitären Situation bei den Rohingya-Flüchtlingslager an der Grenze zu Myanmar und den Folgen des Klimawandels, die das Land hart treffen, sei Bangladesch insgesamt ein «sehr gebeuteltes Land».

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Die Schweizer Regierung begründet ihren Entscheid mit den «tatsächlichen Bedürfnissen vor Ort»Externer Link. Doch dies treffe in Bangladesch nicht zu, wie auch das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) auf Anfrage schreibt: «Trotz der Ambitionen von Bangladesch, bis 2026 die Kategorie der Least developed countries zu verlassen, leben im Land Millionen von Menschen in extremer Armut, deren prozentualer Anteil an der Gesamtbevölkerung in den letzten Jahren gestiegen ist.»
Das SRK und andere angefragte Nichtregierungsorganisationen (NGOs) geben noch keine Einschätzung der konkreten Folgen des Schweizer Rückzugs ab. Über das Jahr 2028 hinaus wurden bei den meisten ohnehin noch keine von der Deza mitfinanzierten Projekte bewilligt.
Eine Ausnahme bildet das Projekt CALL, das lokale Aktionen für den Klimaschutz fördert. Es wird von einem Verbund aus neun Schweizer NGOs umgesetzt, die in Bangladesch tätig sind. Das Projekt ist erst im November 2024 gestartet und wurde ursprünglich auf zehn Jahre geplant. Aktuell gesichert sei die Finanzierung jedoch nur für zwei Jahre. Da CALL aber in die Bereiche fällt, in denen die Deza präsent bleiben will, wird es womöglich weitergeführt. Dies ist zum aktuellen Zeitpunkt jedoch noch unklar.
Talha Paksoy von Solidar Suisse sieht noch ein anderes Problem: «Je mehr Länder die Finanzierung für die Entwicklungshilfe jetzt herunterfahren, desto mehr führt das zu einem Kaskadeneffekt.» Vor allem wenn es die Schweiz tue, das Gastgeberland zahlreicher UNO-Organisationen und mit einer langen, humanitären Tradition. «Das ist schon ein deutliches Zeichen, das die Schweiz in die Welt sendet», findet Paksoy.
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Die Lage ist vor allem für die Rohingya schwierig
Barbara Hintermann, Direktorin des NGO Terres des hommes in Lausanne (Tdh), sieht die internationale Solidarität überall am Wackeln. «Es ist beschämend», sagt Hintermann. Bestenfalls könne man mittelfristig diese Krise dazu nutzen, das System der Entwicklungshilfe effizienter zu gestalten. Tatsächlich kritisieren viele in der Branche den bürokratischen Apparat der UNO-Organisationen und die enormen Anforderungen der Geldgeber.
Und auch aus den Empfängerländern selbst kommt der Wunsch nach mehr Emanzipation von westlicher Hilfe, auch bekannt unter dem Schlagwort Lokalisierung. «Da hätte es aber andere Wege gegeben, eine Reform anzustossen, als zahlreiche Menschen in eine Notlage zu bringen», sagt Hintermann. Kurzfristig gehe es jetzt darum, das Schlimmste zu verhindern.
Vor diesem Hintergrund wendeten sich einige Schweizer NGOs und Kirchenverbände mit einem offenen BriefExterner Link an Bundesrat Ignazio Cassis. Sie schreiben: «Wir bitten Sie, sich im Namen der Schweiz dafür stark zu machen, dass die wohlhabenden Länder ihre Verantwortung gegenüber den ärmsten Menschen der Welt wahrnehmen und die Entwicklungszusammenarbeit nicht weiter ausgehöhlt wird.»
Auch Martin Swinchatt, der Tdh-Ländervertreter in Bangladesch, kann den Entscheid, die bilaterale Kooperation mit dem südasiatischen Land zu beenden, nicht nachvollziehen. Im Vergleich dazu, was der von der US-Regierung beschlossene sofortige Zahlungsstopp an die Entwicklungshilfe für Bangladesch bedeute, seien die Folgen jedoch eher zu bewältigen.
«Zahlreiche Aktivitäten in den Rohingya-Flüchtlingslager sind von dem Einfrieren der US-Gelder betroffen», sagt Swinchatt. Dazu gehören die psychologische Unterstützung von Kindern, die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser oder Sanitäts- und Hygiene-Massnahmen zur Prävention von Seuchen und Krankheiten. Auch wurden bisher 80 Mitarbeitende von Tdh entlassen. «Die Schweiz lässt den betroffenen Organisationen immerhin vier Jahre Zeit, sich neu auszurichten», sagt Swinchatt.
Editiert von Benjamin von Wyl
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