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Warum Länder internationale Adoptionen verbieten

Illustration: Ein Kind, Geld und ein Mensch mit schwarzer Kaputze
Illustration: Kai Reusser / SWI swissinfo.ch

Die Schweiz plant ein Verbot internationaler Adoptionen, nachdem in der Vergangenheit fragwürdige Praktiken aufgedeckt wurden. Andere Länder, die internationale Adoptionen verbieten, behaupten, sie täten dies zum Wohl des Kindes, aber manchmal geht es nur um Machtpolitik.

Auslandsadoptionen sollen in der Schweiz künftig verboten werden. Das hat der Bundesrat im Januar bekannt gegebenExterner Link, nachdem er zwei Jahre zuvor einräumen mussteExterner Link, dass es zwischen den 1970er und 1990er Jahren zu erheblichen Verfehlungen bei internationalen Adoptionen gekommen war.

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Kinder in einer Favela in Peru, 2002

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Tausende Kinder wurden von Schweizer:innen illegal adoptiert

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Kinder wurden zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren in betrügerischer Weise Schweizer Adoptiveltern übergeben. Die Behörden waren darüber informiert.

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Um dies in Zukunft zu verhindern, würde es nicht reichen, das bestehende Adoptionsverbot zu revidieren, kommt der Bundesrat zum Schluss.

Ein Bericht der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW)Externer Link dokumentierte 2023 im Auftrag des Bundesamts für Justiz (BJ) das systematische Behördenversagen auf Bundes- und Kantonsebene: Mehrere tausend Kinder aus Bangladesch, Brasilien, Chile, Guatemala, Indien, Kolumbien, Südkorea, Libanon und Rumänien waren in jener Zeit illegal in die Schweiz gebracht worden.

Manche durch Kinderhandel, bei anderen wurden die Papiere gefälscht. Manchmal fehlten Informationen über ihre Herkunft oder die schriftliche Einwilligung der leiblichen ElternExterner Link. In Chile und Brasilien, so der Bericht, wurde in manchen Fällen gar die Geburtsurkunde des Kindes gefälscht.

«Es gibt immer Schlupflöcher»

Doch das Adoptionsverbot könne nicht verhindern, dass künftig keine Kinder mehr adoptiert würden, sagt Philip Jaffé vom UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes gegenüber SWI swissinfo.ch. «Es ist vielleicht nicht mehr möglich, ein Kind einfach aus dem Ausland holen», sagt er. «Aber Adoptionen wird es weiterhin geben. Denn das Schweizer Recht deckt nicht ab, was in anderen Ländern passiert.»

Er vergleicht die Auslandsadoptionen mit dem Thema Eizellenspende, die bis vor Kurzem nicht erlaubt war in der Schweiz: Ein Verbot in der Schweiz könne eine Frau nicht daran hindern, nach Spanien zu gehen und dort auf diese Weise schwanger zu werden.

«Es gibt immer Schlupflöcher», sagt Jaffé. In der Schweiz würden etwa Kinder leben, die in Kalifornien legal von einer Leihmutter geboren wurden, obwohl Leihmutterschaft in der Schweiz verboten ist.

«Wenn ein Paar in ihren Siebzigern mit einem Baby, das sie legal adoptiert haben, an der Schweizer Grenze auftaucht, kann man nicht viel tun. Die Behörden werden ihnen das Kind nicht wegnehmen.»

Portrait von Philip Jaffé
Philip Jaffé, UNO-Kinderrechtsausschuss Keystone / Martial Trezzini

Deswegen findet Jaffé das Schweizer Adoptionsverbot etwas «scheinheilig». In den Achtzigerjahre seien 1000 Kinder jährlich aus dem Ausland adoptiert worden. «Jetzt, wo wir nur noch 30 Fälle pro Jahr haben, verbieten wir sie.»

Portrait Joelle Schickel
Joëlle Schickel-Küng, Co-Leiterin Fachbereich Internationales Privatrecht, BJ Screenshot SRF

Beim Bundesamt für Justiz (BJ) ist man sich der Grenzen des Adoptionsverbots bewusst. Laut Joëlle Schickel-Küng, Co-Leiterin des Fachbereichs Internationales Privatrecht im BJ, zielt die Regelung auf Situationen ab, in denen künftige Adoptiveltern in der Schweiz leben und die Adoption eines Kindes beantragen, das im Ausland lebt.

«Es geht nicht um Fälle, in denen Personen, die im Ausland leben und dort ein Kind adoptieren, und dann später als Familie in die Schweiz ziehen», so Schickel-Küng gegenüber SWI swissinfo.ch. Auch wenn Kinder von einer Leihmutter im Ausland geboren und dann in die Schweiz gebracht würden, betrachten die Behörden dies in der Regel nicht als Auslandsadoption.

Die dunkle Seite internationaler Adoptionen

In den vergangenen Jahren wurden in zahlreichen europäischen Ländern Skandale im Zusammenhang mit internationalen Adoptionen aufgedeckt. Immer wieder kam es vor, dass Kinder ihren leiblichen Eltern unter Vorspiegelung falscher Tatsachen weggenommen wurden, während Vermittler:innen und Beamt:innen illegale Zahlungen erhielten.

«Kaum jemand engagiert sich aus reiner Herzensgüte für internationale Adoptionen», sagt Jaffé. «Das viele Geld, das dabei im Spiel ist, macht ethisches Handeln fast unmöglich.»

Internationale Adoptionen bergen ein hohes Korruptionsrisiko. Deswegen sei es höchst zweifelhaft, ob der Prozess jemals wirklich sauber ablaufen könne. «Das war das Ziel des Haager Übereinkommens. Und obwohl es in einigen Ländern wie Brasilien besser funktioniert hat als in anderen wie Weissrussland oder Peru, gibt es immer noch Probleme.»

Das Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption wurde 1993 beschlossen. Doch viele Länder haben sie noch immer nicht ratifiziert, was die Umsetzung des Abkommens erschwert. Die Schweiz ist dem Haager Übereinkommen 2003 beigetreten.

Im Januar veröffentlichte der UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes in PeruExterner Link einen Bericht, wonach jeden Monat zwischen 700 und 800 Kinder im Alter von 12 bis 17 Jahren verschwinden.

«Man kann sich nur vorstellen, was mit ihnen geschieht», sagt Jaffé. Einige würden tot aufgefunden, andere verschleppt, manche würden sexuell missbraucht, wieder andere unter fragwürdigen Umständen adoptiert.

«In einem Land, das dem Kinderschutz keine Priorität einräumt und vor solchen Problemen die Augen verschliesst, gibt es keine Garantie, dass Adoptionen ethisch korrekt verlaufen.»

Vorspielen falscher Tatsachen

In den letzten Jahren haben immer mehr europäische Länder angefangen, die Verfehlungen im Zusammenhang mit internationalen Adoptionen aufzuarbeiten und Massnahmen zu ergreifen.

Die niederländische Regierung verbot Externer Linkinternationale Adoptionen 2024 mit sofortiger Wirkung, nachdem ein Bericht von 2021Externer Link zahlreiche Verstösse festgestellt hatte. Laufende Verfahren dürfen noch abgeschlossen werden, neue Anträge sind aber nicht mehr möglich. Bis 2030 will das Land internationale Adoptionen auslaufen lassen.

Im selben Jahr stoppte auch Dänemark Externer Linkinternationale Adoptionen. Seine einzige Adoptionsagentur, Danish International Adoption, stellte ihre Arbeit einExterner Link, nachdem ein Bericht über Adoptionen aus SüdkoreaExterner Link in den 1970er und 1980er Jahren diese als systematisch illegal bezeichnete.

In Norwegen deckten Medienberichte auf, dass Kinder aus den Philippinen mit falschen Geburtsurkunden verkauft worden seienExterner Link. Trotz Empfehlungen für eine vorübergehende Aussetzung hat die Regierung beschlossen, die Adoptionen fortzusetzen, solange die Ermittlungen laufen.

Die belgische Region Flandern verbot 2023 Adoptionen aus Gambia, Haiti und MarokkoExterner Link. 2019 gab es Berichte über illegale Praktiken bei Adoptionen aus Äthiopien. In der Folge beauftragte die Regierung ein Experten:innen-Komitee damit, internationale Adoptionen aus allen Herkunftsländern zu überprüfen.

Das Vereinigte Königreich Grossbritannien führt schon seit mehreren Jahren eine Liste mit LändernExterner Link, bei denen internationale Adoptionen entweder verboten oder eingeschränkt sind. Demnach sind Adoptionen aus Kambodscha zum Beispiel bereits seit 2008 verboten.

Doch es gibt auch Herkunftsländer, die gegen internationale Adoptionen vorgehen. So hat etwa Äthiopien diese 2018 vollständig verbotenExterner Link. Es war das Resultat einer Debatte, die 2013 ihren Anfang nahm: Damals wurde in den USA ein Paar für den Tod ihrer 13-jährigen äthiopischen Adoptivtochter verurteilt worden.

Adoptions-Powerplay

In diesen Fällen haben die Länder strengere Regeln oder Einschränkungen eingeführt, weil sie über Menschenhandel, Missbrauch oder ethische Verstösse im Adoptionsprozess besorgt sind.

Andererseits gibt es Herkunftsländer, die internationale Adoptionen aus politischen Gründen verbieten und sie manchmal sogar als diplomatisches Verhandlungsinstrument oder als Form der Vergeltung gegenüber westlichen Ländern einsetzen.

Die Vorgeschichte: Nicolae Ceaușescu war besessen davon, die Geburtenrate zu erhöhen, verbot Abtreibungen und bezeichnete Embryonen sogar als «Staatseigentum». Dies führte dazu, dass etwa 100’000 Waisenkinder unter unmenschlichen Bedingungen lebten.

Nach Ceaușescus Tod dokumentierten Journalist:innen des deutschen Nachrichtenmagazins Der SpiegelExterner Link die entsetzliche Situation von Kindern, die ausgesetzt worden waren, die krank und unterernährt waren.

1990 hob Rumänien das Verbot von Abtreibungen auf und erlaubte internationale Adoptionen. Innerhalb der ersten drei Monate wurden fast 1500 Kinder ins Ausland zu neuen Familien gebracht – ohne ordnungsgemässe Verfahren.

Im Jahr 2004 verbot die Regierung die internationale AdoptionExterner Link als Bedingung für den künftigen Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union.

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Adoptionsverbot als Reaktion auf Sanktionen

In Russland ist seit 2013 das Dima-Yakovlev-GesetzExterner Link in Kraft, das US-Bürger:innen die Adoption russischer Waisenkinder verbietet. Das Gesetz ist nach einem russischen Jungen benannt, der aufgrund der Nachlässigkeit seiner Adoptiveltern in den USA starb. Das Gesetz ist die russische Antwort auf den Magnitsky ActExterner Link, der Sanktionen gegen Personen vorsieht, die Washington für Menschenrechtsverletzungen in Russland verantwortlich macht.

Seit 1993 sollen laut Wjatscheslaw Wolodin, Sprecher der russischen Duma, mehr als 100’000 russische Kinder von Ausländer:innen adoptiert worden sein.

Rund zehn Jahre nach dem Dima-Yakovlev-Gesetz verschärfte Russland die Regeln nochmals mehrfach. Im Jahr 2022 unterzeichnete der russische Präsident Wladimir Putin ein Gesetz, das es Ausländer:innen verbietet, die Dienste von Leihmüttern in Russland in Anspruch zu nehmen.

2023 trat ein Gesetz zum Verbot der Geschlechtsumwandlung in Kraft, das es Ausländer:innen, die ihr Geschlecht geändert haben, untersagt, russische Kinder zu adoptieren.

Seit 2024 ist es Staatsangehörigen aus allen Ländern, in denen Geschlechtsumwandlung gesetzlich erlaubt ist – sei es durch medizinische Eingriffe oder durch Änderung offizieller Ausweisdokumente – verboten, russischen Waisenkinder zu adoptieren. Dieses Verbot gilt auch für die Schweiz.

Russische Parlamentsabgeordnete argumentieren, dass die neuen Vorschriften russische Adoptivkinder davor schützen würden, sich im Ausland einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen. In rund 90 Ländern ist laut dem Equaldex-Index Externer Linkeine Geschlechtsumwandlung derzeit verboten, etwa im Irak, Saudi-Arabien oder Afghanistan.

Wladimir Kara-Murza
Wladimir Kara-Murza swissinfo.ch

«Kinder als menschliche Schutzschilde zu benutzen, ist eine Taktik von Terroristen – und vom Regime Wladimir Putins», sagt Wladimir Kara-Murza, ein ehemaliger politischer Gefangener und Aktivist, der sich gegen das russische Adoptionsverbot wehrt, gegenüber SWI swissinfo.ch. «Seit 2012 ist dies die offizielle Staatspolitik der russischen Behörden.»

Dies sei das Vermächtnis von Wladimir Putin, so Kara-Murza. «In künftigen Geschichtsbüchern wird im Kapitel über die Ära Putin auch stehen, dass sich der Kreml als Reaktion auf die westlichen Sanktionen gegen seine korrupten Beamt:innen am Westen wiederum mit russischen Waisenkindern gerächt hat», sagt er. «Es gibt keine treffendere moralische Anklage gegen dieses Regime.»

Ungeachtet der Einschränkungen bei internationalen Adoptionen haben die russischen Behörden seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine ukrainische Kinder entführt, illegal nach Russland gebracht und dort zur Adoption freigegeben, wie eine Studie der Yale School of Public HealthExterner Link zeigt.

Sarah McCarthy
Sarah McCarthy 2013 Getty Images

Die Dokumentarfilmerin Sarah McCarthy beleuchtet in ihren Filmen das Schicksal von Kindern in Putins Russland. McCarthy’s The Dark Matter of LoveExterner Link etwa erzählt die Geschichte eines der letzten russischen Kinder, das in die USA adoptiert wurde, bevor Putin Adoptionen dorthin verbot.

«Derzeit sind 20’000 ukrainische Mütter von ihren Söhnen und Töchtern getrennt», sagt McCarthy gegenüber SWI swissinfo.ch im Vorfeld einer Vorführung ihres Films After the RainExterner Link in Genf. «Kinder sind keine Verhandlungsmasse, die man gegen Territorium eintauschen kann.»

Während der Ein-Kind-Politik Chinas von 1979 bis 2015 wurden mehr als 160’000 chinesische Kinder international adoptiert, um das Bevölkerungswachstum zu kontrollieren und die Armut zu verringern.

Im Jahr 2016 beendete die Regierung diese Politik und erlaubte Familien, mehr als ein Kind zu bekommen.

Im September 2024 kündigten die chinesischen Behörden das Ende der internationalen Adoptionsprogramme mit nur wenigen Ausnahmen an.

Der jüngste Wandel in der internationalen Adoptionspolitik Chinas kann auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden. Die Regierung beruft sich auf die Angleichung an das Haager Übereinkommen, das der Inlandsadoption Vorrang vor der internationalen Adoptionsvermittlung einräumt. China ist dem Übereinkommen 2005 beigetreten.

China ist zudem mit einer demografischen Krise konfrontiert – die Anzahl der Geburten ist von 18,83 Millionen im Jahr 2016 auf 9,02 Millionen im Jahr 2023 gesunken, weshalb die Regierung zögert, ausländische Adoptionen zuzulassen.

Es könnte aber auch einen anderen Grund geben: Laut The GuardianExterner Link haben Familien in den USA 82’674 Kinder aus China adoptiert – die höchste Zahl aller Länder. „Die Kommunistische Partei Chinas ist bereit, Kinder als Schachfiguren in einem grösseren geopolitischen Spiel zu benutzen“, so die US-Zeitung.

In diesem Fall ist die Adoption – ähnlich wie in Russland – zu einem «diplomatischen Druckmittel» in den Beziehungen zwischen den Ländern geworden.

Editiert von Balz Rigendinger; Übertragung aus dem Englischen: Meret Michel / me

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