Was ein Wahlsieg von Trump oder Harris für die Schweiz bedeuten würde
Die Schweiz schaut mit Hochspannung auf die bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen. Denn das Wahlergebnis dürfte sich auch auf das bilaterale Verhältnis der Schweiz zu den USA auswirken. Fragen rund um die Aussen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik stehen im Vordergrund.
Schweizer Diplomat:innen sagen in der Regel, dass die Parteizugehörigkeit eines US-Präsidenten für die Schweiz kaum von Bedeutung ist. «Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern waren immer ausgezeichnet», erklärte der Schweizer Botschafter Jacques Pitteloud, bevor er im Sommer 2024 Washington DC nach fünfjähriger Amtszeit in Richtung Belgien verliess. Und dies unabhängig davon, ob im Weissen Haus ein Präsident der demokratischen oder republikanischen Partei das Sagen hatte.
Aber die bevorstehende US-Wahl stellt diese traditionelle Auffassung in Frage. «In ganz Europa denken die Länder ernsthaft darüber nach, was eine zweite Präsidentschaft von Donald Trump für die Aussen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik bedeuten würde», erklärt Laura von Daniels, Leiterin der Forschungsgruppe Amerika beim Deutschen Institut für Internationale Politik und SicherheitExterner Link.
Die beiden Kandidierenden, der Republikaner Donald Trump und die Demokratin Kamala Harris, haben nicht nur unterschiedliche Regierungsstile, sondern in den Bereichen Handel und Sicherheit auch sehr unterschiedliche politische Vorstellungen.
Die Art und Weise, wie die beiden den internationalen Handel und die transatlantischen Beziehungen gestalten werden, wird sich direkt auf die Schweiz auswirken. Obwohl die Schweiz nicht Mitglied der NATO ist, ist sie für ihre Sicherheit auf das Verteidigungsbündnis angewiesen. Die EU und die USA sind zudem die wichtigsten Handelspartner des Landes.
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Sister Republics: Was die Geschichte der USA und der Schweiz verbindet
Aurèle Cotton, Policy Fellow beim Schweizer Think Tank ForausExterner Link, ist der Meinung, dass die Schweiz angesichts des offenen Wahlausgangs mehr tun müsse, um sich auf das Szenario einer Trump-Wahl am 5. November vorzubereiten: «Wir erwarten, dass die ‹America-First-Politik›, die wir in seiner ersten Amtszeit gesehen haben, seine aussenpolitische Agenda erheblich beeinflussen wird, sowohl in Bezug auf die sicherheitspolitischen als auch in Bezug auf der wirtschaftlichen Aspekte.»
NATO auf US-Führung angewiesen
Während seiner Amtszeit im Weissen Haus zwischen 2017 und 2021 kritisierte Trump regelmässig die NATO-Länder, deren Verteidigungsausgaben unter dem Ziel von 2 ProzentExterner Link ihres Bruttoinlandprodukts (BIP) lagen, darunter Deutschland, Italien und Frankreich. Die USA hingegen geben fast 3,5 Prozent ihres BIP für die Verteidigung aus. Insbesondere kommen die USA mit ihrem Beitrag für rund 70 Prozent des NATO-Budgets auf.
Im laufenden Wahlkampf hat der ehemalige Präsident angedeutet, dass die USA unter seiner Führung die NATO-Verbündeten nicht um jeden Preis schützen würde. Auf einer Wahlkampfveranstaltung in South CarolinaExterner Link sagte Trump: «Ich würde (die Russen) ermutigen zu tun, was immer zur Hölle sie wollen.»
«Selbst wenn es nur Worte sind, haben sie Auswirkungen auf die Abschreckungsfähigkeit der NATO», so Cotton. Trump sehe die NATO als eine Belastung für die US-Steuerzahler:innen und als Subventionierung der europäischen Sicherheit durch die USA.
Die NATO ist jedoch auf die Führungsrolle der USA angewiesen. Laura von Daniels sagt in dieser Hinsicht: «Die meisten Sicherheitsexperten sind sich einig, dass es ohne die politische Führung der USA und ihre Fähigkeit, alle Mitglieder zu einer Einigung über bestimmte Strategien oder Sachfragen zu bringen, kein verlässliches Sicherheitsbündnis ist.»
Cotton weist darauf hin, dass das Wettrennen zwischen Trump und Harris just in eine Zeit fällt, in der die Schweiz ihren Neutralitätsansatz überdenkt und eine engere militärische Zusammenarbeit mit der NATO in Erwägung zieht: «Die Schweiz hat also kein Interesse an einer schwächeren NATO.»
Die Annäherung an das westliche Verteidigungsbündnis ist Teil der offiziellen Schweizer Strategie, die eigene Verteidigungsfähigkeit nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine durch internationale Kooperationen zu stärkenExterner Link.
Die Europäer:innen misstrauen auch Trumps Behauptung, dass er im Falle seiner Wahl schnell ein Abkommen mit Russland abschliessen würde, um den Ukraine-Krieg zu beenden. Um dieses Ziel zu erreichen, könnte Trump nach Ansicht von Analyst:innen die Ukraine zwingen, bestimmte Bedingungen zu akzeptieren, etwa das Abtreten von Territorien an Russland oder ein Verzicht auf eine EU-Mitgliedschaft.
«Wenn die USA die Ukraine zu erheblichen einseitigen Zugeständnissen zwingen sollten, könnte dies einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, der gegen alle Prinzipien verstösst, die der EU und der Schweiz am Herzen liegen – wie die territoriale Integrität eines Landes und die UN-ChartaExterner Link», analysiert Cotton.
Das Risiko sei, dass solche Zugeständnisse Russland ermutigen könnten, weitere aggressive Schritte zu unternehmen, vielleicht sogar in den baltischen Staaten. Er fügt hinzu: «Wir sind Teil der europäischen Sicherheitsarchitektur, so dass solche Szenarien auch schädliche Folgen auf unsere eigene Sicherheit haben würden.»
Unter Kamala Harris dürften die Beziehungen zwischen den USA und Europa nach Ansicht von ExpertenExterner Link wahrscheinlich kooperativer bleiben und dem europäischen Sicherheitsbedürfnis entsprechen, so wie es unter dem scheidenden Präsidenten, dem Demokraten Joe Biden, der Fall war.
«Harris hat mehrfach erklärt, dass sie die transatlantischen Sicherheitsbeziehungen ausdrücklich unterstützt, dass sie die NATO als Organisation schätzt und dass sie die Zusammenarbeit mit den Verbündeten für einen wichtiges Bestandteil der amerikanischen Aussen- und Sicherheitspolitik hält», so Laura von Daniels.
Während ihres Besuchs in der Schweiz im vergangenen Juni anlässlich der Ukraine-FriedenskonferenzExterner Link auf dem Bürgenstock unterstrich Harris das «unerschütterliche Bekenntnis der USAExterner Link, der Ukraine beizustehen». Sie fügte hinzu, es liege im eigenen Interesse Amerikas, «Diktatoren die Stirn zu bieten und an der Seite von unseren Verbündeten und Partnern zu stehen».
Zölle als Sorge für Schweizer Unternehmen
Während Harris und Trump in Bezug auf die transatlantischen Beziehungen nicht einer Meinung sind, gibt es einen grundsätzlichen parteiübergreifenden Konsens in Bezug auf China. Es wird als Notwendigkeit gesehen, diesen strategischen Rivalen in die Schranken zu weisen. Wie sich diese Rivalität auf die US-Verbündeten in Europa auswirkt, ist jedoch davon abhängig, wer im Weissen Haus sitzt.
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Rivalität USA-China: Was die Schweiz tun kann
«Trump hat sich für eine vollständige wirtschaftliche Abkopplung von China ausgesprochen; und er erwartet, dass andere Länder dasselbe tun», sagt US-Expertin Laura von Daniels. Unter Harris hingegen würden die USA und die EU ihrer Meinung nach «intensive Debatten führen, was zu tun ist und wie und in welchen Bereichen eine Strategie zur Risikominderung umgesetzt werden soll».
Die Schweiz führt derzeit Gespräche mit China, ihrem drittwichtigsten Handelspartner (hinter den EU und USA) über eine Optimierung des seit 2014 geltenden Freihandelsabkommens. Die Schweiz hat auch die von der EU, den USA und anderen westlichen Ländern verhängten Sanktionen nicht übernommen, die gegen China wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen gegen die uigurische Bevölkerung erlassen wurden.
«Unter Trump besteht das Risiko, dass die Schweiz marginalisiert wird, weil unser Land aus seiner Sicht einen Sonderstatus gegenüber China hat», meint Aurèle Cotton.
Schweizer Unternehmen sind in Sorge, weil Trump während seiner Wahlkampagne davon sprach, saftige Zölle von 10 oder sogar 20 Prozent auf importierte Waren zu erheben. Das ist von grosser Bedeutung, weil die USA den grösste Exportmarkt der Schweiz darstellen. «Einfuhrzölle sind eines der wichtigsten politischen Rezepte von Trump», sagt Cotton. Es würde die Schweizer Exporteure genauso treffen wie diejenigen anderer Länder. Die Auswirkungen würden jedoch je nach Branche unterschiedlich ausfallen.
«Unsere Exportwaren sind anspruchsvoll, hochwertig und teuer», erklärt Cotton. «Die Margen, um Zölle innerhalb der bestehenden Kostenstruktur abzufedern, sind bei vielen Schweizer Unternehmen sehr gering.»
Eine Alternative wäre, die Kosten auf die Verbraucher:innen abzuwälzen, was wiederum die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Exporteure beeinträchtigen würde. Andererseits ist es gemäss Cotton schwierig für ein Land wie die USA, hochwertige Schweizer Güter zu ersetzen, so dass es kaum möglich sei, die Gesamtauswirkungen der Zölle zu beurteilen.
Eine grössere Sorge ist laut Cotton die Frage, wie sich mögliche Vergeltungsmassnahmen anderer Handelspartner wie der EU im Fall eines Handelskriegs mit den USA auf die Schweiz auswirken könnten.
Als die Trump-Administration 2018 einen Zoll von 25 Prozent auf importierten Stahl und einen Zoll von 10 Prozent auf Aluminium einführte, erliess die EU Vergeltungszölle auf US-Waren. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Schweiz.
Harris ist offen für Verhandlungen mit Verbündeten
Harris hat Trumps Vorschlag kritisiert, erneut Zölle zu erheben. Sollte sie gewählt werden, wäre Europa nach Ansicht von Laura von Daniels jedoch gut beraten, auf der Hut zu sein. «Es gibt einen gewissen Wettbewerb zwischen der EU als Binnenmarkt und der US-Wirtschaft. Ich halte es durchaus für möglich, dass Harris ebenfalls zu unilateralen Massnahmen greifen könnte.»
Allerdings sei es unwahrscheinlich, dass Harris ihren Partnern ohne Vorwarnung Handelsschranken auferlegen werde: «Ihr Grundansatz ist es, mit Verbündeten zu verhandeln und eine breitere Gruppe von Ländern zusammenzubringen, um politische Massnahmen umzusetzen, weil dies effizienter und aus Sicht der USA weniger kostspielig ist.»
Biden selbst hat sich für diesen Ansatz ausgesprochen. So hat seine Regierung beispielsweise Ausfuhrbeschränkungen für Spitzentechnologien eingeführt, um Gegenspieler wie China an der Entwicklung von Geräten zu hindern, die die Sicherheit der USA gefährden könnten. Allerdings ergriff die Administration Biden diesen Schritt erst nach der Konsultation internationaler PartnerExterner Link, um sicherzustellen, dass die Massnahmen aufeinander abgestimmt waren.
Sollte Harris als Präsidentin diese Art der Zusammenarbeit anstreben, wäre das eine gute Nachricht für die Schweiz. «Weil die Schweiz ein regelbasiertes Handelssystem mit einer starken Rolle der Welthandelsorganisation bevorzugt, hat unser Land kein Interesse an einer Zersplitterung des Handels oder der Zunahme von Handelsbarrieren», meint Cotton.
Tatsächlich bemüht sich die Schweiz seit mehreren Jahren um den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit den USA, weil es den Schweizer Exporteuren laut dem Analysten «einen besseren Marktzugang und einen grossen Wettbewerbsvorteil gegenüber den EU-Exporteuren verschaffen würde». Während die Regierung Biden Freihandelsabkommen als «Relikt des 20. Jahrhunderts» bezeichnete, waren die USA unter Trump offenExterner Link für ein solches Abkommen. Die beiden Länder nahmen sogar Sondierungsgespräche auf.
«Dahinter steckte eine gute Dynamik», sagt Cotton. «Ob dieser Schwung in einer zweiten Trump-Präsidentschaft zurückkehren würde, ist aber eine offene Frage.»
Editiert von Lindsey Johnstone/vm. Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob/jg
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