Was ist UNIFIL und wie trägt die Schweiz zur Friedenssicherung bei?
Im aktuellen Krieg Israels gegen die Hisbollah im Libanon geraten die UNO-Friedenstruppen UNIFIL immer wieder unter Beschuss. Wie hat sich ihre Rolle seit ihrer Gründung 1978 verändert - und welche Rolle spielt die Schweiz bei der Friedenssicherung im Nahen Osten?
Was ist die UNIFIL?
Die im Südlibanon stationierte United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) ist heute eine 10’000 Einsatzkräfte starke Friedenstruppe. Sie wurde im März 1978 vom UNO-Sicherheitsrat nach dem ersten Einmarsch Israels in den Libanon als Reaktion auf palästinensische Angriffe aus dem Libanon ins Leben gerufen.
Das ursprüngliche Mandat der UNIFIL bestand darin, den Abzug der israelischen Streitkräfte aus dem Libanon zu überwachen, Frieden und Sicherheit wiederherzustellen und die libanesische Regierung dabei zu unterstützen, die Autorität im Südlibanon zurückzugewinnen.
Die UNIFIL setzt sich in erster Linie aus Angehörigen nationaler Militär- und Polizeidienste zusammen, die für die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen (UNO) eingezogen wurden. Ein kleiner Prozentsatz besteht aus Zivilpersonen.
Zu den europäischen Ländern, die einen Beitrag zur UNIFIL leisten, gehören Italien, Frankreich, Spanien und Irland. Italien ist mit fast 900 Soldat:innen der grösste westliche Truppensteller im Einsatz. Indonesien leistet mit 1231 Soldat:innen den grössten Beitrag zur Mission.
Wie hat sich der Auftrag der UNIFIL verändert?
Die UNIFIL stand im Lauf der Jahrzehnte vor grossen Herausforderungen. Die Änderungen ihres Mandats spiegeln die militärischen Entwicklungen zwischen Israel und Libanon wider.
Im Juni 1982 startete Israel eine zweite Invasion in den Libanon. In der Folge besetzte das Land den Südlibanon und kontrollierte das Gebiet bis ins Jahr 2000 mit Unterstützung der christlich dominierten südlibanesischen Armee (SLA).
Die vom Iran unterstützte Hisbollah-Miliz entstand im Widerstand gegen die israelische Besetzung und wurde zu einer mächtigen politischen und militärischen Kraft im Libanon.
Im April 2000 kündigte Israel seinen vollständigen Rückzug aus dem Libanon an. Einen Monat später waren die israelische Armee (IDF) und die SLA-Truppen abgezogen, woraufhin die UNO die so genannte Blaue Linie festlegte, um den Rückzug zu garantieren und das Ende der Besatzung zu markieren.
Im Oktober desselben Jahres bestätigte der UNO-Sicherheitsrat diese Entwicklung mit der Resolution 1310 und ermutigte den libanesischen Staat, seine Präsenz im Süden, der als Hochburg der Hisbollah gilt, zu verstärken.
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2006, nach einem Krieg zwischen Israel und der Hisbollah, verabschiedete der UNO-Sicherheitsrat die Resolution 1701, die das Mandat der UNIFIL deutlich erweiterte.
Die Truppen wurden auf 15’000 Einsatzkräfte aufgestockt, zusammen mit 15’000 Soldat:innen der libanesischen Armee, die im Südlibanon stationiert wurden.
Zudem wurde eine maritime Task Force eingerichtet, welche die libanesische Marine bei der Überwachung der Küstengewässer und der Verhinderung unerlaubter Waffenlieferungen unterstützen sollte.
Was ist der Unterschied zwischen UNIFIL und UNTSO?
Die UNIFIL operiert im Rahmen der Organisation der Vereinten Nationen für die Überwachung des Waffenstillstands (UNTSO), die Militärbeobachter:innen zur Unterstützung von Friedensoperationen bereitstellt und an der die Schweiz aktiv beteiligt ist.
Die UNTSO wurde 1948 gegründet und war die erste friedenserhaltende Mission der UNO. Sie besteht aus rund 150 unbewaffneten Militärbeobachter:innen und mehr als 200 zivilen Mitarbeiter:innen.
Die UNTSO-Beobachter:innen unterstützen die UNIFIL im Südlibanon und die Disengagement Observer Force der Vereinten Nationen (UNDOF) auf den syrischen Golanhöhen, die Israel im Sechstagekrieg 1967 besetzte und bis heute kontrolliert.
Darüber hinaus unterhält der UNTSO Verbindungsbüros in Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon und Syrien, um den Dialog und die regionale Zusammenarbeit zu fördern.
Vor welchen Herausforderungen steht die UNIFIL heute?
Anfang Oktober dieses Jahres startete Israel eine Bodenoffensive im Südlibanon mit dem erklärten Ziel, dass die 60’000 aus dem Norden evakuierten Bewohner:innen zurückkehren können.
Die Hisbollah und Israel liefern sich seit Beginn des Gazakriegs im Oktober 2023 einen anhaltenden, grenzüberschreitenden Beschuss. Seit der Eskalation zum offenen Krieg Ende September wurde die UNIFIL allein im Oktober dreissig Mal zum Ziel von Angriffen – zwei Drittel davon schreibt die UNO-Truppe Israel zu.
Am 29. Oktober schlug eine Rakete, die wahrscheinlich von der Hisbollah oder einer ihr nahestehenden Gruppe abgefeuert wurde, im Hauptquartier der UNIFIL in Nakura im Südlibanon ein.
Acht Angehörige der Friedenstruppen, alles österreichische Soldat:innen, erlitten leichte Verletzungen, als die Rakete in einer Fahrzeugwerkstatt einschlug und einen Brand auslöste.
Am 7. November wurden sechs malaysische Friedenssoldaten bei einem israelischen Drohnenangriff verwundet, als sie in einem UNO-Bus einen Kontrollpunkt der libanesischen Armee passierten.
In einem nahegelegenen Auto wurden drei Menschen getötet und drei Angehörige der libanesischen Armee verletzt. Am nächsten Tag teilte die UNIFIL mit, dass Soldat:innen der israelischen Armee mit Baggern und Bulldozern einen Zaun und eine Betonstruktur an einer ihrer Basen zerstören hätten.
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Die UNIFIL betrachtet solche Aktionen als vorsätzlich. Im Oktober warf sie den israelischen Streitkräften vor, gegen die Resolution 1701 des UNO-SicherheitsratsExterner Link verstossen zu haben, in der das Ende der früheren Feindseligkeiten zwischen Israel und der Hisbollah festgelegt wurde.
Die UNIFIL verwies auf die zahlreichen Vorfälle, bei denen israelische Angriffe auf ihr Personal gerichtet waren, was zu Verletzungen, Störungen des Betriebs und Schäden an der Infrastruktur führte.
Israel weist die Vorwürfe zurück, dass es absichtlich UNO-Friedenstruppen angreife. Premierminister Benjamin Netanjahu sagte am 14. Oktober in einer VideoerklärungExterner Link, die UNIFIL solle «vorübergehend aus der Schusslinie gehen».
Nach Angaben der UNIFIL hat die israelische Armee die UNO-Mission wiederholt aufgefordert, ihre Stellungen entlang der Blauen Linie zu räumen, und hat UNO-Stellungen absichtlich beschädigt.
UNO-Generalsekretär António Guterres warnte letzten Monat, dass Angriffe auf die UNFIL +ein Kriegsverbrechen darstellen könnten+. Die Friedensmission erklärt, dass sie trotz des Drucks, der auf sie und die truppenstellenden Länder ausgeübt wird, vor Ort bleiben will.
Welche Rolle spielt die Schweiz bei der UNO-Friedenssicherung?
Die Schweiz ist weder an der UNIFIL-Mission im Libanon noch an der UNDOF-Mission auf den Golanhöhen direkt beteiligt.
«UNTSO/ONUST ist die einzige Mission im Nahen Osten, in der Schweizer Militärangehörige im Einsatz sind», schreibt Daniel Seckler, Kommunikationschef von Swissint, dem Kompetenzzentrum der Schweizer Armee für internationale Friedenseinsätze, via E-Mail auf Anfrage von SWI swissinfo.ch.
Swissint hat den Auftrag, den friedenserhaltenden Auftrag der Schweiz im Ausland zu erfüllen, wie er in der Bundesverfassung und im Militärgesetz festgehalten ist. Dieser Auftrag ist eine der drei Kernaufgaben der Schweizer Armee.
Seit 1990 entsendet die Schweiz unbewaffnete Militärbeobachtende und Verbindungsoffiziere zu UNO-Friedenssicherungseinsätzen in aller Welt.
Gegenwärtig beteiligen sich fast 300 Männer und Frauen – von Gefreiten bis zu Generalmajor:innen – in 18 Ländern an solchen Missionen.
Die Schweiz hat im Rahmen der UNTSO Militärpersonal an folgenden Standorten stationiert: Israel (3 Mitglieder des Personals, darunter der Missionschef), Syrien (6), Libanon (3) und Ägypten (1). In Jordanien, das ebenfalls zum Einsatzgebiet der UNTSO gehört, ist kein Schweizer Personal im Einsatz.
Der Beitrag der Schweiz zur UNTSO erreichte im Oktober 2021 einen Meilenstein, als UNO-Generalsekretär Guterres den Schweizer Generalmajor Patrick Gauchat zum Missionschef der UNTSO ernannte. Dies war das erste Mal, dass ein Schweizer Offizier eine UNO-Friedensmission leitete.
Editiert von Lindsey Johnstone/ds/livm, Übertragung aus dem Englischen: Meret Michel/cr/me
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