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Wie das ärmste Land Europas 120’000 Ukrainer:innen integriert

Kein Land hat im Verhältnis zur Bevölkerung so viele ukrainische Flüchtlinge aufgenommen wie die Republik Moldau. Bei der Unterstützung der Ukrainer:innen spielen internationale Organisationen eine wichtige Rolle. Zu Besuch bei einem Partnerprojekt des Schweizerischen Roten Kreuzes im Norden des Landes.

«Psychologische Unterstützung ist wichtiger als andere alltägliche Dinge», sagt Anna Antipova. Antipova arbeitet als Psychologin mit ukrainischen Geflüchteten und ist selbst aus der Ukraine geflüchtet. Angestellt ist sie bei Casmed in einem Projekt, das vom Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) mitgetragen wird.

Auch Spendengelder der Glückskette – jenes Hilfswerk, das wie SWI swissinfo.ch zur SRG gehört – sind Casmed zugutegekommen.

Ukraine umgibt Moldau von drei Seiten

Bis zu Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 lebte Antipova in Odessa. Odessa erreicht man von Balti im Norden Moldaus mit dem Auto in 4,5 Stunden. Von Moldaus Südgrenze nach Odessa sind es nur 50 Kilometer. Die Ukraine liegt südlich, nördlich, östlich und nordwestlich von Moldau. Fast eine Million Ukrainer:innen sind auf ihrer Flucht seit Beginn des russischen Angriffskriegs ins Nachbarland Moldau eingereist.

«Tausende passierten auf der Flucht die Grenze von Moldau», erinnert sich Natalia Postolachi. Postolachi ist Direktorin von Casmed. Casmed ist ein Zusammenschluss mehrerer Nichtregierungsorganisationen (NGOs) im Norden von Moldau.

Bis 2022 unterstützte Casmed benachteiligte, ältere Moldauer:innen medizinisch. Seither hat sich das Tätigkeitsfeld erweitert.

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123’730 ukrainische Flüchtlinge aktuell in Moldau

Postolachi erklärt: «Wir verstanden, dass wir Solidarität zeigen und den Flüchtlingen so viel Unterstützung zeigen müssen, wie wir können. Mit der Hilfe von internationalen Gebern, wie dem Schweizerischen Roten Kreuz, konnten wir Tausenden Unterstützung anbieten.»

Das Schweizer Aussenministerium betont, dass ein Grossteil der Unterstützung im Rahmen der Internationalen Zusammenarbeit sowohl Moldauer:innen als auch Flüchtlingen aus der Ukraine in Moldau zu Gute kommt. Die Schweizerische Entwicklungszusammenarbeit DEZA unterstützt 2024 Projekte, von denen Ukrainer:innen in Moldau profitierten,  mit insgesamt etwa 5,9 Millionen Schweizer Franken. Darunter sind 120’000 Franken für Unterstützung in rechtlichen Belangen, 1 Million Franken für den Zugang zu «hochwertigen Gesundheitsdienstleistungen», 1,24 Millionen für die Arbeitsmarktsintegration, Mittel in ähnlicher Dimension wurden  für eine «Soziale Kohäsions- und Friedensinitiative» und für ein Förder- und Inklusionsprogramm für Frauen verwendet.

Das SRK hat 2022 2,5 Millionen Franken in Moldau eingesetzt. In den Folgejahren waren es jeweils um die zwei Millionen. 2024 werden knapp 40% dieses Geldes „für die Konsequenzen des Konflikts in der Ukraine ausgegeben“. Neben dem SRK sind auch weitere zivilgesellschaftliche Schweizer Akteure in Moldau tätig, darunter die Hilfsorganisation HelvetasExterner Link, die auch Ukrainer:innen unterstützt.

Für die Mehrheit der Flüchtenden war die Republik Moldau ein Durchgangsland. Doch viele blieben: 123’730 Flüchtlinge aus der Ukraine lebten gemäss den Zahlen der UNO-Flüchtlingsagentur UNHCR Ende September 2024 in Moldau. Das sind um die 5% der Gesamtbevölkerung.

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Internationale Unterstützung für das kleine Moldau

Kein anderes Land hat im Verhältnis zu seiner Bevölkerung so viele Ukrainer:innen aufgenommen wie das 2,5 Millionen-Einwohner:innen-Land Moldau.

Für eines der ärmsten Länder Europas stellt es eine Herausforderung dar, so viele Menschen zu unterstützen und zu integrieren. Internationale Geldgeber und PartnerorganisationenExterner Link spielen eine grosse Rolle.

Über 215 Millionen Dollar wendeten alleine UNO-AgenturenExterner Link für die Ukrainer:innen in Moldau auf. Aus der Schweiz sind neben der Internationalen Zusammenarbeit der DEZA, auch die Hilfsorganisation Helvetas und das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) präsent.

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Ukrainer:innen erst «schockiert» über Lebensstandard

Manche geflüchtete Ukrainer:innen habe die mangelhafte Infrastruktur in den ruralen Teilen von Moldau «schockiert», so Postolachi. «80% der Dörfer auf dem Land haben keine richtige Infrastruktur, etwa fliessendes Wasser», sagt Postolachi.

Vor der russischen Invasion war die Republik Moldau arm im Vergleich zu Ukraine. «Mit der Zeit verstanden die Flüchtlinge sehr gut, was unsere Solidarität trotz unserer Armut bedeutet.»

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Obwohl ihnen hier ein tieferer Lebensstandard als in Ländern wie beispielsweise der Schweiz begegnet, bleiben Ukrainer:innen in Moldau. Dafür gibt es Gründe.

Warum Ukrainer:innen in Moldau bleiben

«Sie fühlen sich sehr wohl in unserer Umgebung», sagt Postolachi, «Die Gesellschaft ist ihnen vertrauter als anderswo in Europa. Und manche von ihnen haben Wurzeln in Moldau.» Doch, so Postolachi, gerade Teile der schon lange in Moldau ansässigen ukrainischen Minderheit würden den Flüchtlingen kritisch begegnen.

Autos mit ukrainischen Nummern gehören in Moldau zum Strassenbild – sogar in der abtrünnigen Region TransnistrienExterner Link, wo russische Flaggen wehen. Die relative Nähe zur Ukraine ermöglicht es, zum Teil Verwandte zu besuchen und zu unterstützen.

Postolachi sagt, Casmed habe die Unterlagen zwar auf Ukrainisch übersetzen lassen, aber vor allem werde Russisch nachgefragt.

Natalia Postolachi
Natalia Postolachi ist die Direktorin der Nonprofit-Organisation Casmed. Vera Leysinger / SWI swissinfo.ch

Die russische Sprache erleichtert das Ankommen

84% von über 4’500 vom UNHCR interviewten Ukrainer:innen in Moldau sprechen (unter anderem) Russisch. In Polen ergab dieselbe Befragung, dass dort nur 51% der Ukrainer:innen Russisch können.

In Teilen der Ukraine, etwa in der Region Odessa, wird bis heute Russisch gesprochen. Russisch ist auch in Moldau eine wichtige Sprache. Obwohl die Amtssprache Rumänisch ist, bleibt Russisch in der Region Balti die meistgesprochene Sprache. Wie die Ukraine war auch Moldau einst Teil der Sowjetunion.

Die UNHCR-BefragungExterner Link zeigt auch, dass der Bildungsstand der Flüchtlinge in Moldau niedriger ist, als unter jenen, die nach Polen oder nach Tschechien geflohen sind: So verfügen nur 3% der befragten Ukrainer:innen in Moldau über einen Bildungsabschluss auf Master-Stufe oder höher. In Polen sind es 19%, in Tschechien 17%.

Viele Ukrainer:innen im Rentenalter

Mehr als ein Viertel der nach Moldau Geflüchteten sind bereits im Rentenalter. In Polen gehören hingegen nur 14% der Menschen aus der Ukraine in diese Altersgruppe, in Tschechien 12%.

Der höhere Anteil Rentner:innen unter den Ukrainer:innen in Moldau hängt wohl unter anderem mit der geografischen Nähe zusammen.

Die ursprüngliche Expertise von Casmed liegt in der Betreuung älterer Menschen. Das SRK arbeitete schon lange mit Casmed zusammen, als die russische Invasion begonnen hat und Moldau zum Ankunftsland für Flüchtlinge geworden ist.

Heute unterstützt Casmed Ukrainer:innen bei der Wohnungssuche, bietet praktische Berufsausbildungen, Rumänischkurse und mit psychologischer Betreuung.

Anna Antipova
«Psychologische Unterstützung ist wichtiger als andere alltägliche Dinge», sagt Anna Antipova. Vera Leysinger / SWI swissinfo.ch

Die Bedeutung von psychologischen Angeboten

Die Psychologin Anna Antipova ist Vollzeit bei Casmed angestellt. Die Arbeit gehe ihr nicht aus. Zumal Antipova sich ein hohes Ziel gesetzt hat: Sie will nicht nur ihren Patient:innen helfen, im Hier und Jetzt zu bestehen,  sondern ihnen auch Ressourcen geben, mit der Situation umzugehen, wenn sie wieder zurück in der Ukraine sind. Und sie will ihnen Instrumente mitgeben, für Andere da zu sein.

Denn viele Flüchtlinge, Antipova selber auch, haben Verwandte oder Partner in der Ukraine, die keinen Zugang zu Therapieangeboten haben. Auch solchen, die in andere europäische Länder geflüchtet sind, fehlt oft der Zugang zu Mental Health-Unterstützung.

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Manche nach Moldau geflüchtete Ukrainer:innen erleben die Situation als temporär. Sie lassen ihre Kinder weiterhin online am Unterricht zuhause teilnehmen. Doch viele stellen sich darauf ein, dass sie in Moldau bleiben. Sie schicken ihre Kinder in die Schule, nutzen die Berufsausbildungsangebote und besuchen Rumänischkurse.

Das Schweizerische Rote Kreuz steigt bei Casmed aus

Sie stellen sich darauf ein, Teil dieser Gesellschaft zu werden, weil es ungewiss ist, wann der Krieg endet und wie die Situation danach sein wird. Sie stellen sich aber auch darauf ein, dass ihre Kinder in fünf oder zehn Jahren ihre Zukunft in Moldau sehen werden.

Auf Ende Jahr wird das Schweizerische Rote Kreuz seine Unterstützung für Casmed einstellen und stattdessen stärker mit dem Moldauer Roten Kreuz kooperieren. Casmed-Direktorin Postolachi gibt sich optimistisch. Sie macht aber deutlich, dass ihrer Organisation eine herausfordernde Zeit voller Ungewissheiten erlebt.

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Editiert von David Eugster

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