Wie ein Schweizer Anwalt «Goldene Pässe» vermittelte – bis die EU einschritt

Christian Kälin, ein Schweizer Anwalt in London, hat den globalen Handel mit Staatsbürgerschaften zum erfolgreichen Geschäftsmodell gemacht. Nun hat der Europäische Gerichtshof eines der von seiner Firma mitentwickelten Programme für rechtswidrig erklärt.
«Wenn Europa beschliesst, rückwärts zu gehen, soll es rückwärts gehen. Aber der Rest der Welt geht vorwärts, und da gibt es nur eine Richtung», sagte Christian Kälin, Vorsitzender von Henley & Partners, einer in London ansässigen Beratungsfirma, die Programme zum Verkauf von Pässen und Aufenthaltsgenehmigungen in mehr als 40 Ländern entwickelt und vermarktet.
Anfang dieses Monats hat der Europäische Gerichtshof Maltas Programm zur Vergabe der Staatsbürgerschaft gegen Investitionen für rechtswidrig erklärt. Dieses Programm ermöglichte es Personen, gegen eine einmalige Investition von 600’000 Euro (563’000 Schweizer Franken) und den Kauf oder die Miete einer Immobilie einen maltesischen Pass – und damit die EU-Staatsbürgerschaft – zu erwerben.
Der EuGH erklärte, das gemeinsam mit Henley entwickelte Programm habe «den Erwerb der Staatsangehörigkeit zu einer rein kommerziellen Transaktion» gemacht.

Dies war ein schwerer Schlag für Henley und die gesamte globale Investitionsmigrations-Branche. Das Unternehmen rühmt sich, das Wachstum im Bereich der kostenpflichtigen Pässe vorangetrieben zu haben, obwohl diese Programme in der Kritik stehen, Korruption und den Fluss schmutziger Gelder zu begünstigen.
Henley verteidigt die Programme. Kälin argumentiert, dass der Prozentsatz der «Personen, die sich als schändlich herausstellen» sei «minutiös». Das Unternehmen wurde ausserdem in mindestens einem Land der politischen Manipulation beschuldigt, was es jedoch zurückweist.
Laut Angaben der maltesischen Regierung verdiente Henley in den acht Jahren bis Ende 2023 mehr als 55 Millionen Euro durch das maltesische Staatsbürgerschaftsprogramm. In Malta und St. Kitts erhielt das Unternehmen zusätzlich zu den Zahlungen der Antragsteller:innen eine Gebühr von der jeweiligen Regierung für jeden erfolgreichen Antrag.
In einem Interview mit der «Financial Times» bezeichnete Kälin das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) als «politische Entscheidung», spielte jedoch die Auswirkungen auf sein Geschäft herunter: «Für die Branche in Europa ist das natürlich nicht sehr gut… Global spielt das überhaupt keine Rolle.»

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Seit Jahrzehnten bieten Länder Staatsbürgerschaften oder Aufenthaltsprivilegien im Austausch gegen einmalige Investitionen an. Die Europäische Kommission und Transparenzaktivist:innen kritisieren solche Programme, da sie Korruption, Steuerhinterziehung und Geldwäsche begünstigen. Doch gerade finanzschwache Länder, die auf der Suche nach Geld sind, nutzen sie gerne.
«Die Nachfrage steigt, aber auch das Angebot», sagte Kälin und verwies auf die «Goldkarte» im Wert von fünf Millionen US-Dollar, die US-Präsident Donald Trump in diesem Jahr angekündigt hat. «Jedes Jahr kommen mehr Länder mit mehr Programmen hinzu.»
Kälin verteidigte das maltesische System als «extrem streng, extrem straff» und fügte hinzu, dass er sich eine ebenso strenge Kontrolle auch anderswo wünsche. Er räumte jedoch ein, dass «manchmal Menschen die Staatsbürgerschaft erhalten haben, die sie nicht hätten erhalten dürfen, die bei der Sorgfaltsprüfung durch das Raster gefallen sind oder später zu einem Problem wurden».
Die Kommission hingegen hofft, dass «solche Programme in der EU bald der Vergangenheit angehören werden», so Justizkommissar Michael McGrath.
Ursprung in St. Kitts
Die Pass-gegen-Bargeld-Industrie begann in den 1980er-Jahren in den Kleinststaaten des Pazifiks und der östlichen Karibik, darunter St. Kitts, das sein Programm 1984 einführte, so Sarah Kunz, Dozentin für Migrationsstudien an der Universität Essex.

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Kälin kam kam 1997 als Berater zu Henley. Er baute das Geschäft auf, indem er karibische Pässe an Vermögende vermarktete. Omar Mina, der von 2014 bis 2016 bei Henley arbeitete, sagte: «Henley wurde zum Gesicht der Investitionsmigration […] weil sie eine Industrie darum herum kreiert haben.»
2006 erhielt Henley den Auftrag, das Programm zur Erlangung der Staatsbürgerschaft durch Investitionen in St. Kitts und Nevis zu überarbeiten. Kälin bezeichnete es damals als «dysfunktional». Damals basierte es ausschliesslich auf Immobilienkäufen. Das neue Programm erforderte eine einmalige Investition von mindestens 200’000 US-Dollar. «Wir haben St. Kitts auf die Weltkarte gebracht», sagte Kälin.
«Goldene Pässe» können für wohlhabende Menschen aus Ländern mit Visabeschränkungen das Reisen weltweit erheblich erleichtern. So erhielt St. Kitts beispielsweise im Jahr 2009 eine Befreiung von der Visumpflicht für Kurzaufenthalte im Schengen-Raum. Ausserdem vereinfachen sie die Eröffnung von Bankkonten, den Erwerb von Immobilien und andere Transaktionen.
«Je mehr Länder eine Familie erreichen kann, desto geringer ist ihr Risiko gegenüber länderspezifischen, regionalen und globalen Schwankungen und desto sicherer ist sie langfristig», sagte Henley-Chef Jürg Steffen im Februar.
Expansion in andere Länder
Als Investitionsmigrations-Branche zum Mainstream wurde, zog sie grosse Finanzinstitute und Beratungsunternehmen an. Kälin sagte, HSBC sei «anfangs sehr stark in das St.-Kitts-Programm involviert gewesen» und habe Kund:innen, die sich ebenfalls im langsameren Prozess zur Erlangung der kanadischen Staatsbürgerschaft durch ein damals beliebtes Investment-Aufenthaltsprogramm befanden, eine schnelle Zwischenlösung angeboten.
Später wechselte der Geschäftsführer der globalen Abteilung für Investoren-Einwanderungsdienstleistungen von HSBC als Group Chief Executive zu Henley.
Kunz sagte: «Ehemalige HSBC-Mitarbeiter haben dazu beigetragen, Henley & Partners zum führenden Unternehmen für Investitionsmigration zu machen, das es heute ist.» HSBC gab bis zum Redaktionsschluss keinen Kommentar ab.
Nach St. Kitts expandierte Henley in andere karibische Länder und dann nach Europa, wo das Unternehmen Ländern dabei half, bestehende Programme zu überarbeiten und zu vermarkten oder neue Programme aufzubauen.
Laut Kälin ist das Unternehmen proaktiv auf Länder zugegangen. «Wir haben das gesamte Programm in Antigua durchgeführt. Wir haben Saint Lucia dazu gebracht, es zu tun», sagte er.
Henleys Vertrag mit St. Kitts endete im Jahr 2013, doch mehrere karibische Länder, darunter auch St. Kitts, waren in den letzten Jahren in Skandale um ihre Programme verwickelt. Es gibt Behauptungen, dass internationale Vermittler Pässe zu Preisen verkauft hätten, die unter den in den jeweiligen nationalen Gesetzen festgelegten Sätzen lagen. Henley gehört jedoch nicht zu den in diesen Skandalen genannten Unternehmen.

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Vorwurf der Einmischung in die Politik
Henley wird vorgeworfen, sich in die Politik einzumischen, um seine Geschäfte voranzutreiben. Im Rahmen einer parlamentarischen Untersuchung im Vereinigten Königreich im Jahr 2019 wurde die Firma als «heimliche Hand» hinter der Wahlkampagne des Analyseunternehmens Strategic Communication Laboratories (SCL) in der Karibik bezeichnet. Dazu zählen auch die Wahlen 2010 in St. Kitts, bei denen der damalige Premierminister Denzil Douglas wiedergewählt wurde.
Laut dem Parlamentsbericht habe Kälin «Investoren für die Finanzierung der Wahlkampagnen organisiert». Im Gegenzug habe «Henley & Partners exklusive Passrechte für dieses Land im Rahmen eines Programms zur Vergabe der Staatsbürgerschaft gegen Investitionen erhalten».
Aus geleakten Dokumenten, die der Financial Times vorliegen und zuerst vom Organized Crime and Corruption Reporting Project veröffentlicht wurden, geht hervor, dass Henley in den Monaten nach der Wahl einen Vertrag mit SCL unterzeichnete, um als «Vermittelungspartner» zu fungieren und potenzielle Kunden zu identifizieren.
Einhaltung der Gesetze
Henley hat bestritten, Mittel für einen Wahlkampf bereitgestellt zu haben, und erklärte, die parlamentarische Untersuchung sei mit falschen Informationen versorgt worden. «Wie wir umfassend mit reichhaltigen Beweisen dargelegt haben, sind alle diese Anschuldigungen falsch und rein politisch motiviert», sagte Sarah Nicklin, Sprecherin von Henley. Sie fügte hinzu, dass «allein schon der Zeitplan, wann Verträge mit Regierungen unterzeichnet wurden und verschiedene Wahlen stattfanden, deutlich macht, dass diese Vorwürfe einer genauen Prüfung nicht standhalten».
«Henley & Partners hat sich stets an die Gesetze und Vorschriften aller Länder gehalten, in denen es tätig ist», sagte Nicklin.
Kälin behauptete, dass die Investitionen in Länder, die mit «postkolonialen wirtschaftlichen Problemen» zu kämpfen haben, diesen einen erheblichen Aufschwung verschafft hätten.
«Ich bin sehr stolz darauf, die Wirtschaft mehrerer Länder gerettet zu haben», sagte er.
Kritiker:innen sagen jedoch, dass die Investitionen – hauptsächlich einmalige Zahlungen in Staatsfonds oder Immobilien – nur wenig Wirtschaftswachstum und geringe Vorteile für die lokale Bevölkerung bringen.
«Es ist nicht die Realwirtschaft, die davon profitiert», sagte Kunz von der University of Essex. Er fügte hinzu, dass Regierungen die Gelder oft zur Deckung von «laufenden Kosten» verwenden. «In der Karibik wird das Geld, das über die Spendenoptionen an die Regierung gezahlt wird, oft zur Bewältigung von Naturkatastrophen oder zur Rückzahlung von Schulden an internationale Kreditgeber verwendet.»
Nach den Programmen in der Karibik wandte sich Henley an Malta, das bereits ein Aufenthaltsprogramm hatte. «Wir haben ganz offen gefragt: ‹Warum ziehen Sie nicht die Staatsbürgerschaft in Betracht?›», so Kälin. Die Regierung hielt dies für «politisch zu heikel», doch die Opposition genehmigte das Programm, als sie 2013 an die Macht kam.
Henley gewann die Ausschreibung für die Einrichtung des Programms, «bis hin zu den Stellenbeschreibungen der benötigten Regierungsmitarbeiter. Wir haben das gesamte System für die Regierung aufgebaut», sagte Kälin.

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«Völlig überrascht»
Matthew Caruana Galizia, Aktivist und Direktor der in Malta ansässigen Daphne Caruana Galizia Foundation, sagt, dass «alle völlig überrascht» von der Massnahme im Jahr 2013 waren. «Es war eine der ersten Sachen, die [der neue Premierminister] Joseph Muscat gemacht hat. […] Das war nie Teil des Wahlprogramms», sagte er.
Matthews Mutter Daphne, eine Journalistin, die über Korruption in Malta und das Staatsbürgerschaftsprogramm recherchierte, wurde 2017 mit einer Autobombe ermordet. Ein weiterer Sohn, Paul, ist Journalist bei der FT.
Die FT hat 16 Personen identifiziert, die trotz ihrer politischen Exponiertheit die maltesische Staatsbürgerschaft erworben haben, später auf Sanktionslisten auftauchten oder wegen Straftaten verurteilt wurden. Sogenannte politisch exponierte Personen werden von den Aufsichtsbehörden als besonders korruptionsanfällig eingestuft.
Trotz der Kritik ist Henley mit der Vermarktung der Investitionsmigration sehr erfolgreich. In diesem Sektor sind mehrere andere Unternehmen entstanden, einige davon unter der Leitung ehemaliger Henley-Mitarbeiter:innen.
Omar Mina sagt, der Sektor sei nach wie vor unzureichend reguliert. «Die Branche hatte keine Eintrittsbarrieren, und Henley hoffte, einige zu schaffen, aber ich glaube nicht, dass dies gelungen ist», sagte er. Kälin bleibt jedoch zuversichtlich: «Es gibt weltweit kein anderes Unternehmen, das über dieses Fachwissen verfügt.»
Mitarbeit von Cynthia O’Murchu in London
Übertragung aus dem Englischen von Michael Heger/jg
Copyright The Financial Times Limited 2025

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