Wie kann sich die Schweiz auf Trump 2.0 vorbereiten?
Mit dem erneuten Einzug Donald Trumps ins Weisse Haus prognostizieren Beobachter in den nächsten vier Jahren eine isolationistische und unberechenbare US-Aussenpolitik. Wie beeinflusst das die Beziehungen der Schweiz, die auf einen regelbasierten Multilateralismus angewiesen ist, zu den USA?
Am Tag, nachdem der Republikaner Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen eindeutig gewonnen hatte, fragte sich Suzi LeVine, die ehemalige US-Botschafterin in der Schweiz unter Barack Obama, was eine Rückkehr Trumps ins Oval Office bedeuten könnte.
«Diese Wahl wird Auswirkungen über Jahrzehnte hinweg haben», sagte LeVine. «Und zwar nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern für alle Menschen und jedes Lebewesen auf der Welt.»
Die Frage, wie man sich am besten auf einige von Trumps radikaleren aussenpolitischen Ideen vorbereitet, beschäftigt derzeit die Hauptstädte der Welt. Der designierte Präsident drohte damit, hohe Zölle auf US-Importe zu erheben, dem transatlantischen Verteidigungsbündnis NATO die Unterstützung zu entziehen und sich aus den globalen Klimaverpflichtungen der USA zurückzuziehen. Die Schweiz ist zwar kein Mitglied der NATO oder der Europäischen Union, hat aber enge Beziehungen zu beiden.
Kleinere Länder werden wahrscheinlich unter dem Radar der Trump-Regierung fliegen, sagt Stefan Legge, Experte für internationalen Handel am Institut für Law and Economics der Universität St. Gallen. Ähnlich argumentiert David Sylvan, emeritierter Professor am Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung: «Die Schweizer müssen verstehen, dass sie [in Washington] keine hohe Priorität haben.» Dies könne ein Vorteil sein, um nicht in das Fadenkreuz des Republikaners zu geraten – wenn Bern seine Karten richtig ausspiele.
Ein neuer Handelskrieg?
Eine der wichtigsten Prioritäten der Schweiz ist es, gute Wirtschaftsbeziehungen zu den USA aufrechtzuerhalten. Die Vereinigten Staaten sind der zweitgrösste Handelspartner der Schweiz nach der EU – und ihr grösster Exportmarkt für Waren im Wert vonExterner Link 56,6 Milliarden Franken (64,3 Milliarden Dollar) im Jahr 2023.
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Trump hat angekündigt, Zölle in der Höhe von bis zu 20% auf alle Importe zu erheben (und bis zu 60% auf Produkte aus China). Ökonom:innen zufolgeExterner Link wären mehrere Schweizer Schlüsselsektoren, darunter Pharmazeutika, Maschinen, Uhren und Lebensmittel von dieser Massnahme betroffen.
Die US-Zollerhöhungen könnten einen Rückgang des Schweizer BIPs um 0,2 % zur Folge haben. «Die Schweiz lehnt die [Zoll-]Pläne klar ab», erklärte das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO). Man werde das Thema mit den zuständigen US-Behörden und anderen Handelspartnern wie Deutschland diskutieren.
Trumps Drohungen mit den Zöllen könnten einfach Getöse sein, sagt Legge von der Universität St. Gallen, um Druck aufzubauen auf andere Staaten. Im Visier hat er vor allem die EU, die, so Trump, «einen hohen Preis» für ihren Handelsüberschuss mit den USA zahlen wird.
Die EU plantExterner Link, ihre Wettbewerbsfähigkeit nach der Wahl Trumps zu steigern. Das sei eine gute Nachricht für die Schweiz, sagt Legge. Denn sie sei für ihren eigenen Wohlstand auf eine starke europäische Wirtschaft angewiesen.
Sollten sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Brüssel und Washington jedoch verschlechtern, sollte es zu einem neuen Handelskrieg kommen wie während Trumps erster Amtszeit, könnte das zu Problemen für Bern führen.
Damals schloss die EU die Schweiz nicht von den Vergeltungsmassnahmen aus, die sie ergriff, nachdem die USA Zölle auf importierte Metalle erhoben hatten. Was auch immer geschieht – für die Schweiz sei es entscheidend, «einen ausgezeichneten Zugang zu anderen Märkten zu haben, einschliesslich des riesigen EU-Marktes», so Legge.
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Bilaterale Handelsabkommen
Um etwaige künftige Zollschranken durchbrechen zu können, fordern einige führende Vertreter:innen der Schweizer IndustrieExterner Link vom Bundesrat, ein Freihandelsabkommen (FTA) mit den USA auszuhandeln. Die beiden Länder führten bereits während Trumps erster Präsidentschaft Sondierungsgespräche über ein solches Abkommen. Ed McMullen, der damalige US-Botschafter in Bern, sagte, dass die USA in einer zweiten Amtszeit Trumps «gerne ein Abkommen abschliessen würden».
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Was vier Jahre Trump für die Schweiz bedeuteten
Die Schweiz ist nicht das einzige Land, das ein bilaterales Abkommen mit den USA in Betracht zieht, um die negativen Auswirkungen eines Handelskriegs zu vermeiden. Die britische Regierung wägt ab, ob sie ein Freihandelsabkommen mit den USA abschliessen oder in engere Wirtschaftsbeziehungen mit Europa investieren soll.
Und in Kanada, das ein Handelsabkommen mit den USA und Mexiko hat, das Trump neu verhandeln will, glauben einige Politiker:innenExterner Link, dass ihr Land mit einem bilateralen Abkommen mit den USA besser da stehen könnte.
Legge bezweifelt jedoch, dass ein Abkommen zwischen der Schweiz und den USA realistisch ist. «Was könnte es den USA bieten? Sehr wenig, es sei denn, wir öffnen den Agrarsektor», sagt Legge. Dass innerhalb der Schweiz ein politischer Konsens über die Beendigung des Schweizer Agrarprotektionismus zustande käme, selbst wenn nur teilweise erreicht würde, sei höchst unwahrscheinlich.
Wenn die Schweiz wenig zu bieten habe, dann sei es besser, das Freihandelsabkommen sein zu lassen und sich bedeckt zu halten, sagt David Sylvan vom Hochschulinstitut in Genf. Wie die EU habe auch die Schweiz einen Überschuss im Warenhandel mit den USA – eine Tatsache, auf die Trump reagieren könnte, wenn er darauf aufmerksam würde.
«Das Letzte, was [die Schweizer] wollen, ist, dass man sie fragt, was sie für die USA tun können», sagte Sylvan. «Denn dann wird es wirklich schwierig.»
NATO-Beitritt der Schweiz?
Ein weiteres Dilemma könnte sich für die Schweiz ergeben, wenn Trump sein Versprechen einlöst, den Krieg in der Ukraine durch einen «schnellen Deal» zu beenden. Der designierte Präsident hat sich noch nicht zu seinen Plänen diesbezüglich geäussert. Aber wenn er die Ukraine gegen den Willen ihrer europäischen Unterstützer:innen dazu drängt, einen Deal zu akzeptieren, wird es laut Sylvan «zu allen möglichen Spannungen kommen».
Die Schweiz müsste dann entscheiden, was in ihrem Interesse ist – sich auf die Seite der Europäer:innen zu stellen oder die USA in ihrem Bemühen um ein Abkommen zu unterstützen.
Die Dinge könnten auch kompliziert werden, wenn Russland sich ermächtigt fühlen würde, die baltischen Staaten zu bedrohen. Die Möglichkeit, dass der Kreml ein Land jenseits der Ukraine angreift, ist eine echte Sorge auf dem europäischen Kontinent. «Würde sich [die Schweiz] in diesem Fall sicher fühlen?», so Sylvan. «Ich vermute nicht.»
Für Mitte-Parteipräsident Gerhard Pfister besteht die Antwort darin, dass sich die Schweiz der NATO annähert, ohne ihre Neutralität aufzugeben. Dies sei zentral, da die Schweiz mit ihren derzeitigen militärischen Kapazitäten nicht in der Lage sei, sich selbst zu verteidigen, so Pfister.
Trumps ehemaliger nationaler Sicherheitsberater John Bolton ging noch weiter. Die Schweiz solle einfach der NATO beitreten – so wie Schweden und Finnland nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine dazu gezwungen wurden, sagte Bolton gegenüber dem «SonntagsBlick».
«Die Neutralität hat angesichts der neuen geopolitischen Lage keine Zukunft», so Bolton. Trump, fügte er an, verstehe nicht, was gemeinsame Verteidigung bedeute. Es sei denkbar, dass die USA sich unter Trump aus dem Bündnis zurückziehen.
Für Legge ist klar, dass die Schweiz ihre Verteidigungsausgaben erhöhen muss. Das Parlament hat beschlossen, Massnahmen zu ergreifen, damit diese bis 2030 auf 1% des BIPs erhöht werden. Das Ziel für NATO-Mitglieder liegt bei 2% des BIP. Aber das Binnenland muss auch gute Beziehungen zu allen wichtigen Mächten pflegen – zur EU, den USA und zu China, das in einer «strategischen Rivalität» mit den USA steht und ebenfalls starke wirtschaftliche Beziehungen zur Schweiz unterhält.
«Unter dem Strich ist Trump unberechenbar», sagte Legge. Wir müssen die «Was-wäre-wenn»-Optionen durchgehen, pragmatisch sein und Wege finden, wie wir die bilateralen Beziehungen verbessern können, so dass keiner der grossen Akteure einen Anreiz hat, uns anzugreifen.
Der Kauf amerikanischer Militärausrüstung, wie ihn die Schweiz mit den F35-Jets im Jahr 2022 getätigt hat, könnte beispielsweise dazu beitragen, einen designierten Präsidenten, der gerne Geschäfte macht, zu besänftigen, so Legge.
Eine Chance, die Energiewende anzuführen
Ein Wahlkampfversprechen wird Trump sicher einhalten, ist Sylvan überzeugt: den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen, so wie er es in seiner ersten Amtszeit getan hat. Trump hat auch angedeutet, dass er den Inflation Reduction Act aufheben wird, der unter Präsident Joe Biden verabschiedet wurde, um saubere Energie zu fördern, und dass er andere Regulierungen streichen wird, um mehr Öl- und Gasförderung zu ermöglichen, obwohl die Förderung fossiler Brennstoffe bereits ihren Höhepunkt erreicht habe, so Sylvan.
Trumps Kandidat für das Amt des Energieministers ist Chris WrightExterner Link, ein Manager der Ölindustrie, der in der Vergangenheit die Klimakrise geleugnet hat.
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Damit würde USA «wahrscheinlich auf Jahre hinaus der grösste Umweltverschmutzer auf dem Planeten bleiben», warnte der grüne Parlamentarier Nicolas Walder, der in der aussenpolitischen Kommission des Nationalrats sitzt. Trumps Vorschläge könnten andere Staaten davon abhalten, «ehrgeizige Reformen» zum Schutz des Klimas umzusetzen und sie dazu verleiten, in fossile Brennstoffe zu investieren.
Das hätte direkte Auswirkungen auf die Schweiz, sagte die frühere Botschafterin LeVine: Das Land, dessen Alpengletscher bis zum Ende des Jahrhunderts aufgrund der steigenden Temperaturen verschwinden könnten, hat das Pariser Abkommen unterzeichnet. Um einem etwaigen Vorgehen der USA entgegenzuwirken, sollte Bern laut Walder bei den Klimazielen, wie sie im European Green DealExterner Link 2019 festgelegt sind, enger mit Brüssel zusammenarbeiten.
Die nächste US-Präsidentschaft müsse nicht das Aus für den globalen Kampf gegen den Klimawandel bedeuten, so Walder. «Sie bietet der Schweiz und Europa die Chance, die Führung bei der wichtigen Energiewende zu übernehmen», sagt er. Für mich ist das eine Chance, die sich unser Land nicht entgehen lassen sollte.»
Editiert von Lindsey Johnstone/ts, Übertragung aus dem Englischen: Meret Michel
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