Wie Schweizer Universitäten Spionage aus Hochrisikoländern bekämpfen
Die Verschärfung der geopolitischen Spannungen zwingt die Schweizer Hochschulen, den Wunsch nach weltweiter Zusammenarbeit mit einer immer länger werdenden Liste von Sanktionen in Einklang zu bringen. Studierende, Dozierende und Forschungsprojekte aus China, Russland, Iran und anderen "Hochrisikoländern" stehen vor einem Dilemma.
Die Schweizer Hochschulen arbeiten mit Partnerinstitutionen auf der ganzen Welt zusammen und profitieren so von einem breiten Spektrum an Fachwissen, unterschiedlichen Perspektiven und Kulturen.
«Internationale Kooperationen sind ein fruchtbarer Boden für die Suche nach Lösungen für die grossen globalen Herausforderungen», erklärte Swissuniversities, der Dachverband der Schweizer Hochschulen, im Jahr 2022.
Doch die Nachrichtendienste der Schweiz und anderer Länder warnen, dass Spitzenforschung auch einen fruchtbaren Boden für Spionageaktivitäten unfreundlicher Staaten bieten kann.
Die russische Invasion in der Ukraine, der Nahostkonflikt und die Rivalität zwischen den USA und China haben die Sanktionslisten in den letzten Jahren immer länger werden lassen.
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Die Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zürich hat im vergangenen Monat Richtlinien veröffentlichtExterner Link, wie sie mit der zunehmend komplexen Situation umgeht.
Dazu gehört die Überprüfung von Bewerbungen aus Risikoländern auf militärische oder nachrichtendienstliche Verbindungen sowie auf gemeinsame Forschungsprojekte.
«Wenn zum Beispiel Studieninteressierte von einer militärnahen Universität, die von anderen Ländern sanktioniert wurde, an der ETH Zürich einen Master in Cybersecurity machen wollen, müssen wir sie aufgrund der festgelegten Kriterien aus Sicherheitsgründen ablehnen», sagt ETH-Sprecher Markus Gross gegenüber SWI swissinfo.ch.
Ausländische Universitäten auf dem Prüfstand
Wie alle Schweizer Hochschulen muss auch die ETH im Umgang mit mindestens 17 chinesischen, 16 russischen und sieben iranischen BildungsinstitutionenExterner Link Vorsicht walten lassen.
Die Hochschulen müssen auch die Forschung an so genannten Dual-Use-Technologien wie GPS berücksichtigen, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können.
Die ETH hat nach eigenen Angaben kürzlich Massnahmen zur Sicherheitsüberprüfung im Internet veröffentlicht, um ihre bestehenden Verpflichtungen zu verdeutlichen.
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Damit wolle sie einerseits ausländische Studierende informieren, die sich für ein Studium an der Hochschule bewerben wollen, und andererseits ihrer «Sorgfaltspflicht» gegenüber den eigenen Mitarbeitenden nachkommen, indem sie sicherstellt, dass diese die einschlägigen Bestimmungen kennen.
Das Posting auf der Website der ETH hat jedoch in den chinesischen sozialen Medien viel Kritik hervorgerufen, möglicherweise in der Annahme, es handle sich um eine neue Regel. In den von SWI swissinfo.ch gesichteten chinesischen Social-Media-Beiträgen wird vor allem über Diskriminierung geklagt.
«Beschämender Moment»
«Dies wäre einer der beschämendsten Momente in der Geschichte der ETH Zürich», schrieb ein chinesischer Student, der derzeit an der ETH Zürich studiert, im Kommentarbereich der englischsprachigen Version der Website.
«Diese Institution, die einst für ihre Unabhängigkeit, Autonomie, ihr Engagement für die Wissenschaft und ihre Fairness gefeiert wurde, hat nun genau diese Werte verloren. Ich fordere die Universität auf, diesen Entscheid ernsthaft zu überdenken und rückgängig zu machen», schrieb der chinesische Student.
Aber die Schweizer Universitäten sind genauso wie kommerzielle Unternehmen verpflichtet, die von der Schweizer Regierung beschlossenen Sanktionen zu respektieren.
Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2022 richten sich die Sicherheitskontrollen auch gegen Studierende, Dozierende und Forschende aus Russland.
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Die Schweiz und die Spionage: Passiv aus Tradition
Verletzung der akademischen Freiheit?
Die Zeitschrift Beobachter hat Anfang dieses Jahres russische Studierende, die an verschiedenen Universitäten in der Schweiz studieren, zu den Kontrollmassnahmen befragt.
Die Ablehnung von Bewerbungen russischer Studierender auf diese Weise sei ein «fundamentaler Verstoss gegen die akademische Freiheit», sagte eine Studentin namens Irina. «Wir werden für die Verbrechen eines Regimes verurteilt, dessen Kurs wir nicht gutheissen.»
«Alle Lerninhalte auf Master-Niveau sind sowieso Open Source. Welche Geheimnisse könnte ich da schon finden?», fragte Danyil.
Für die Durchführung von Sicherheitsprüfungen im Zusammenhang mit internationalen Sanktionen sind die Schweizer Hochschulen selbst verantwortlich. «Diese Themen werden von den Hochschulen im Rahmen ihrer Autonomie und ihrer jeweiligen Rechtsgrundlagen behandelt», so Swissuniversities.
Die Europäische Union versucht jedoch, die Reaktion der Mitgliedstaaten auf die Bedrohung durch Forschungsspionage zu vereinheitlichen.
Im Mai verabschiedete der Europäische Rat eine Liste von 14 unverbindlichen Empfehlungen für Universitäten und andere Forschungseinrichtungen, um «unerwünschtem Wissenstransfer, ausländischer Einmischung und Verstössen gegen ethische Grundsätze oder Integrität» entgegenzuwirken.
Editiert von Veronica De Vore, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
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