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Wie Sudanes:innen in der Schweiz gegen die humanitäre Katastrophe in ihrer Heimat kämpfen

Eine zerstörte Stadt im Sudan
Der vergessene Krieg: Seit Mitte 2023 dauert der blutige Konflikt im Sudan an. Er hat Millionen vertrieben und weitgehende Zerstörung hinterlassen. AP Photo/Marwan Ali

Seit mehr als einem Jahr herrscht Krieg im Sudan. Daran verzweifelt auch die sudanesische Gemeinschaft in der Schweiz. Ein neu gegründeter Verein will auf die humanitäre Katastrophe aufmerksam machen und Spenden sammeln.

Im Sudan führen die nationale Armee und die Miliz Rapid Support Forces (RSF) seit mehr als einem Jahr einen brutalen Krieg. Mit massiven Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung: Mindestens 8,5 Millionen Menschen wurden seit Ausbruch des Krieges vertrieben. Fast zwei Millionen Sudanes:innen sind über die Landesgrenzen geflohen.

Tausende weitere kommen täglich hinzu. Nach Einschätzung des früheren UNO-Sonderbeauftragten für den Sudan, Volker Perthes, handelt es sich um die grösste humanitäre Krise der Welt.

Trotzdem nimmt Europa nur wenig Notiz davon.

«Nicht besonders spendenfreudig»

Auch in der Schweiz gehen die Nachrichten aus dem drittgrössten afrikanischen Land in den Berichten über die Kriege im Gazastreifen und der Ukraine unter.

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Das Hilfswerk Unicef Schweiz schreibt auf seiner Website: «Der Konflikt im Sudan ist eine Notfallsituation. Die Helfenden und ihre Partnerorganisationen geben ihr Bestes – aber die Mittel sind knapp. Anders als etwa beim Krieg in der Ukraine zeigt sich die globale Bevölkerung beim Sudan nicht besonders spendenfreudig.»

El-Wathig el-Gozoli überrascht das nicht. Der 57-jährige Sudanese lebt seit vielen Jahren in der Schweiz und arbeitet als IT-Spezialist im Finanzsektor. «Der Sudan ist für die Schweizer Bevölkerung weit weg und die Situation wohl zu verworren.»

Trotzdem versucht el-Gozoli so gut es geht, die Menschen in seiner Umgebung für die Situation im Sudan zu sensibilisieren, etwa bei der Arbeit oder im Turnverein.

«Ich erzähle dann, dass mein 90-jähriger Vater zusammen mit meinen zwei Schwestern aus dem Land geflüchtet ist, dass unser Haus von den Milizen besetzt wurde, dass meine Tante und mein Onkel auf der Flucht gestorben sind.»

Fünf Frauen und zwei Männer posieren für die Kamera
Links Gibreil Hamid, in der Mitte Nagla Fathi und rechts el-Wathig el-Gozoli von der Sudanese Swiss Charity. Switzerland for UNHCR

El-Wathig el-Gozoli ist Mitglied des Vereins «Sudanese Swiss Charity», der vor wenigen Monaten gegründet wurde. «Als vergangenes Jahr der Krieg ausbrach wussten wir: Wir müssen etwas tun», sagt die Vereinsgründerin Nagla Fathi.

Sogleich haben die Mitglieder der sudanesischen Community einen Benefizanlass durchgeführt, bei dem sie Geld für Hilfsorganisationen sammelten. «Es war wie ein Bazar mit Musik, Essen, Lesungen und dem Verkauf von typischen Produkten aus unserer Heimat», erzählt Fathi.

Die rund 3500 Franken, die dabei zusammenkamen, teilten sie zwischen zwei Organisationen auf: Der Islamic Relief mit Sitz in Genf, und dem UNO-Flüchtlingshilfswerk Switzerland for UNHCR.

Künftig sollen vor allem notleidende Frauen und Kinder aus dem Sudan die Zielgruppe des Vereins sein. Neben den zwei grossen internationalen Organisationen, wollen sie vermehrt lokale, kleine Organisationen ausfindig machen, an die sie das Geld direkt spenden können.

Dies sei jedoch nicht ganz einfach, da die Kriegstreiber mittlerweile fast alles unter ihre Kontrolle gebracht hätten.

Blaue Zelte in der Wüste im Chad
Auswirkungen bis ins Ausland: Das sudanesische Flüchtlingslager Metche im Chad, November 2023. REUTERS/El Tayeb Siddig

Aktuell zählt der Verein erst elf aktive Mitglieder, bis Ende Jahr erwarte man bis zu 50 zusätzliche Personen. Politisch sei man komplett unparteiisch, wie die Mitglieder wiederholt sagen.

Diese Unabhängigkeit sei wichtig, damit alle am gleichen Strick ziehen. Aktuell plant der Verein einen nächsten grossen Charity-Event im September.

Ein friedlicher, neuer Sudan: Ein Traum in Trümmern

Es ist auch ein Versuch, gegen die Verzweiflung anzukommen, welche die Sudanes:innen in der Schweiz empfinden. «Es macht uns traurig, dass der Sudan in der internationalen Berichterstattung vergessen geht», sagt Nagla Fathi.

Schliesslich habe der Sudan einst eine sehr starke, aktive Zivilgesellschaft gehabt. «Bei den Massenprotesten im Jahr 2019 waren wir voller Hoffnung», erzählt sie.

«Nach dem Fall des islamistischen Diktators Omar al-Bashir träumten viele von einem friedlichen, neuen Sudan.» Dieser Traum liege nun in Trümmern.

Protestierende mit einer grossen Flagge des Sudan
Im April 2019 wurde der langjährige Diktator Umar al-Baschir durch das Militär gestürzt, nachhdem es grosse Proteste gegen ihn gab. Es folgten mehrere Putsche und der Ausbruch des Bürgerkrieges. Keystone

Doch warum wird dieser Krieg von der Weltöffentlichkeit vergessen? «Der Krieg wird nicht vergessen, sondern ignoriert», sagt Roman Deckert. Er ist unabhängiger Sudananalyst und seit dreissig Jahren immer wieder im oder für das Land tätig.

Aktuell arbeitet er von seinem Wohnort Genf für eine NGO in Berlin, die den Journalismus im Sudan unterstützt. «Nicht zuletzt für die Moral der Sudanesinnen und Sudanesen wäre es wichtig, mehr über diesen Krieg zu berichten», so Deckert.

Dass das nicht geschehe, könne auch daran liegen, dass er sich nicht so einfach in «Gut und Böse» einteilen lasse. «Oft wird es so dargestellt, als würden zwei verfeindete Gruppen wie Tiere gegeneinander losgehen», sagt Deckert. Damit bediene man auch rassistische Bilder und es bleibe das Gefühl, nichts damit zu tun zu haben.

Ein lokaler Krieg mit globalen Verstrickungen

Eine Fehlannahme, wie Deckert sagt: «Dieser Krieg ist global verwoben.» Schon lange sei etwa ein Machtkampf um die natürlichen Ressourcen in Gange.

«Auch die Schweiz spielt eine Rolle, wenn es um Handelsbeziehungen mit Rohstoffen geht.» Zum Beispiel der Goldhandel, der eine wichtige Finanzierungsquelle des Krieges ist. Laut Medienberichten gelangt über die Vereinigten Arabischen Emirate auch immer wieder Gold aus dem Sudan in die Schweiz.

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Nicht zuletzt sollte sich die Schweiz für die zahlreichen Menschen interessieren, die vor dem Krieg flüchten. Nicht nur für jene aus dem Sudan, sondern vor allem für die Geflüchteten aus Eritrea, die viele Jahre in dem Land lebten. «Es ist davon auszugehen, dass viele von ihnen in der Schweiz Zuflucht suchen werden», sagt Deckert.

Auch er räumt ein, dass die rund 1000 Sudanes:innen, die in der Schweiz leben, bisher nicht sonderlich gut vernetzt waren. Das wollen die Mitglieder von Swiss Sudanese Charity nun ändern.

«Es ist die Aufgabe von uns, die Schweizer Bevölkerung auf die humanitäre Katastrophe in unserer Heimat aufmerksam zu machen», sagt Gibreil Hamid, ein Vereinsmitglied.

«Ihnen zu sagen, dass Menschen aus ihren Häusern geworfen werden, in die sie wohl nie mehr zurückkehren werden, dass Frauen vergewaltigt werden und Kinder verhungern. Wir müssen mehr tun, auf die Strasse gehen, Infoanlässe organisieren.»

Und el-Wathig el-Gozoli sagt: «Vor dem Krieg hatte die sudanesische Community wenig miteinander zu tun.» Alle seien sehr beschäftigt gewesen mit ihrem eigenen Alltag. «Der Krieg hat uns zusammengebracht. Es ist nun an uns, unsere Kräfte zu bündeln.»

Editiert von Marc Leutenegger

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