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Wo steht die Schweiz in Sachen eingefrorener russischer Gelder?

Zerstörte Gebäude
Nach Angaben der Weltbank wird der Wiederaufbau der Ukraine 486 Milliarden Dollar kosten. Keystone / Regionale Militärverwaltung Dnipropetrowsk

Viele Länder haben russische Vermögenswerte in Milliardenhöhe eingefroren, auch die Schweiz. Nun wird darüber nachgedacht, diese Gelder dauerhaft zu beschlagnahmen und für die Verteidigung und den allfälligen Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden.

Als weltweit grösste Offshore-Vermögensverwalterin steht die Schweiz im Rampenlicht. Das sind die wichtigsten Fragen in der Debatte um die russischen Gelder:

Wie hoch ist der Wert der in der Schweiz blockierten Vermögen?

Am 23. April gab die Schweiz bekannt, dass sie Ende letzten Jahres Vermögenswerte in Höhe von 5,8 Milliarden Schweizer Franken von sanktionierten russischen Oligarchen und Unternehmen eingefroren hat.

Dies sind 1,7 Milliarden Franken weniger als Ende 2022 gemeldet. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) begründete den Rückgang vor allem mit der Abwertung von Vermögenswerten infolge des Börseneinbruchs im Jahr 2023.

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Im vergangenen Jahr hat die Schweiz weitere 580 Millionen Franken auf die Liste der gesperrten Vermögenswerte gesetzt, aber 140 Millionen Franken aus rechtlichen Gründen wieder freigegeben.

Zwei weitere Liegenschaften wurden im vergangenen Jahr gesperrt, was bedeutet, dass ihre Besitzenden sie weder verkaufen noch damit Geld verdienen können. Damit sind in der Schweiz insgesamt 17 Liegenschaften gesperrt.

Darüber hinaus haben die Behörden eine Reihe von Fahrzeugen, Kunstwerken und anderen Luxusgütern blockiert.

Auch die Vermögenswerte der russischen Zentralbank in der Schweiz in der Höhe von 7,24 Milliarden Franken wurden gesperrt.

Wie sieht das im internationalen Vergleich aus?

Es ist schwierig, den genauen Wert der weltweit eingefrorenen russischen Vermögenswerte zu bestimmen, da einige Länder nur Ad-hoc-Berichte vorlegen. Zudem kann sich der Wert dieser Vermögenswerte je nach Marktbedingungen ändern.

Der Europäische Rat gibt an, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union 21,5 Milliarden Euro (20,9 Milliarden Schweizer Franken) an sanktionierten Vermögenswerten von Oligarchen und Unternehmen eingefroren haben.

Am 12. Februar gab dieselbe Behörde bekannt, dass die Reserven der russischen Zentralbank in Höhe von 260 Milliarden Euro weltweit eingefrorenExterner Link wurden, mehr als zwei Drittel davon in der EU.

Der grösste Teil dieses Betrags, etwa 190 Mrd. Euro, wird von der in Belgien ansässigen globalen Clearing- und Abwicklungsgesellschaft Euroclear gehalten.

Das britische Office of Financial Sanctions Implementation gab im Dezember bekanntExterner Link, dass das Vereinigte Königreich bisher Vermögenswerte in Höhe von 22,7 Mrd. Britischen Pfund (25,6 Mrd. Franken) «im Zusammenhang mit dem russischen Regime» eingefroren hat.

Was soll mit den russischen Vermögenswerten geschehen?

Immer lauter werden die Rufe, russisches Vermögen oder zumindest die Zinserträge aus diesem Vermögen zur Begleichung der in der Ukraine verursachten Schäden heranzuziehen.

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hat sich für einen solchen Plan ausgesprochen, der auch von den USA und Kanada unterstützt wird.

Frankreich, Deutschland und Ungarn sprachen sich jedoch dagegen aus, weil die Massnahmen schwerwiegende rechtliche Folgen haben könnten.

Auch das Parlament der neutralen Schweiz debattierte über den Vorschlag, russisches Vermögen zur Begleichung von Kriegsschäden dauerhaft zu beschlagnahmen.

Die beiden Räte waren sich einig, dass sich die Schweiz den internationalen Bestrebungen anschliessen soll, um eine gesetzliche Grundlage für solche Entschädigungen zu schaffen.

Rechtsfachleute wiesen gegenüber SWI swissinfo.ch darauf hin, dass eine entsprechende Gesetzesänderung zwar möglich wäre, aber in einer nationalen Abstimmung wieder bekämpft werden könnte.

Laut dem Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis gibt es derzeit keine rechtliche Grundlage, um russische Vermögenswerte dauerhaft zu beschlagnahmen.

«Wir müssen uns an die Regeln des Rechts halten, sonst verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit, wenn wir andere für Rechtsverstösse verurteilen», sagte er im vergangenen Jahr.

Obwohl die Schweiz den EU-Sanktionen gegen Russland folgt, würde sie sich nicht zu Beschlüssen über die dauerhafte Beschlagnahmung von Vermögenswerten hinreissen lassen, sagt Seco-Sanktionschef Simon Plüss.

«Wir würden nicht einfach jeden Entscheid der EU übernehmen. Es gäbe noch viele offene Fragen zur Rechtsstaatlichkeit», sagte er bei der Präsentation der aktualisierten Zahlen am 23. April.

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Elena Servettaz

Wie könnte die Ukraine von eingefrorenen russischen Vermögenswerten profitieren?

Ist die Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte für den Wiederaufbau der Ukraine mit der Neutralität der Schweiz vereinbar?

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Unternimmt die Schweiz genug?

Die Schweiz steht weiterhin unter internationalem Druck, die Ukraine im Kampf gegen Russland stärker zu unterstützen. Doch die Regierung zieht die Grenze, wenn es darum geht, die Neutralität des Landes aufzugeben.

Die USA haben der Schweiz wiederholt vorgeworfen, sich zu wenig um die Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte zu bemühen. Zu Beginn des Angriffskriegs schätzte die Schweizerische Bankiervereinigung, dass Schweizer Banken bis zu 200 Milliarden Franken an russischen Vermögenswerten hielten.

«Ich denke, die Schweiz macht viel», sagte Plüss an der Medienkonferenz. Er bekräftigte, dass Beschlagnahmungen nur gegen sanktionierte Russinnen und Russen vollstreckt werden könnten.

Die Schweiz hat sich aber wiederholt der Forderung widersetzt, der G7-Arbeitsgruppe REPO (Russian Elites, Proxies, and Oligarchs) beizutreten, um russische Gelder aufzuspüren.

Am 17. April lehnte der Nationalrat einen parlamentarischen Vorstoss für einen formellen Beitritt zu dem internationalen Gremium ab, das 2022 gegründet wurde.

Dennoch wird die Schweiz im Juni eine internationale Konferenz organisieren und ausrichten, um eine friedliche Lösung für den Krieg in der Ukraine zu finden.

Editiert von Mark Livingston/ts, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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