Aussereuropäische Migranten in der Schweiz vor unsicherer Zukunft
Obwohl die Schweiz seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland ist, schneidet sie in Bezug auf die Integration nicht gut ab. Gemäss einer internationalen Vergleichsstudie gehört sie zu den Ländern in Europa, die sich am wenigsten um langfristige Stabilität für aussereuropäische Migranten bemühen.
Die Schweiz bietet Migrantinnen und Migranten keine sichere Zukunft, so das Fazit einer Studie. Der am Mittwoch veröffentlichte MIPEXExterner Link (Migrant Intergration Policy Index) vergleicht und klassifiziert die Integrationspolitik von 52 Ländern. Die Eidgenossenschaft liegt auf Platz 25, hinter Frankreich, Deutschland, Italien und dem Vereinigten Königreich. Sie erzielte 50 von 100 Punkten, sieben bis acht Punkte weniger als der Durchschnitt anderer westeuropäischer Länder.
Mehr als 80% der in der Schweiz lebenden ausländischen Bevölkerung stammt aus einem europäischen Land. Diese Migrantinnen und Migranten kommen in den Genuss des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU und können sich daher relativ problemlos in der Schweiz niederlassen und hier arbeiten. Für nichteuropäische Staatsangehörige ist die Situation komplizierter.
Die Studie zählt die Schweiz zu den Ländern, die Migrantinnen und Migranten aus Drittstaaten vorübergehende Integrationsmöglichkeiten, aber keine Garantie für eine dauerhafte Niederlassung bieten. Eine ähnliche Position wie die von Österreich und Dänemark. «Diese Länder sind erst auf halbem Wege, Migranten grundlegende Rechte und Chancengleichheit zu gewähren. Ihre Politik ermutigt die Bevölkerung, Einwanderer als Ausländer zu betrachten und nicht als gleichberechtigte und eigenständige Nachbarn», kommentieren die Forscher.
Die Integrationspolitik des Bundes hat sich in den letzten zehn Jahren nicht verändert, das zeigt auch der Index. «Der Schweizer Ansatz ist eine Form der Kontinuität», sagt Gianni D’Amato, Direktor des Schweizerischen Forums für Migrationsstudien (SFM), das an der Ausarbeitung des MIPEX beteiligt ist. Die Schweiz wolle die wirtschaftlichen Vorteile der Migration nutzen, doch langfristige Integration sei nicht ihr Ziel. «Die Botschaft des Landes an die Migranten ist: Ihr seid willkommen, aber nicht zu zahlreich und nicht für euer ganzes Leben. Man muss die Kontrolle behalten, um die Zahl der Einwanderer begrenzen zu können», sagt er.
Die Studie identifiziert zwei Hauptdefizite der schweizerischen IntegrationspolitikExterner Link: schwacher Schutz vor Diskriminierung und sehr hohe Hürden für die Einbürgerung.
Lückenhafter Schutz vor Diskriminierung
Der internationale Vergleich zeigt, dass Diskriminierungsopfer in der Schweiz weniger geschützt und unterstützt werden als in allen anderen Ländern Europas. Die Schweiz scheint das einzige europäische Land ohne ein nationales Antidiskriminierungsgesetz und eine Organisation zur Unterstützung der Opfer zu sein.
Das Problem ist nicht neu. Seit mehreren Jahren empfiehlt die Europäische Kommission gegen Rassismus und IntoleranzExterner Link (ECRI) den Schweizer Behörden, den Schutz der Opfer von Rassendiskriminierung im Zivil- und Verwaltungsrecht zu verstärken. Ähnliche Vorschläge macht auch das Schweizer Kompetenzzentrum für Menschenrechte.
Diskriminierung von Migrantinnen und Migranten betrifft alle Bereiche des täglichen Lebens. «Sie manifestiert sich zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche», sagt Didier Ruedin, Dozent und Forscher am SFM.
Die Antirassismus-Strafnorm (Artikel 261 bis des Strafgesetzbuches) stellt zwar jede Diskriminierung aufgrund der rassischen, ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit oder der sexuellen Orientierung unter Strafe. «Ihr Anwendungsbereich ist jedoch begrenzt. Der Beweis dafür ist, dass es viele Fälle von Diskriminierung gibt, die aber nur wenige Urteile nach sich ziehen», sagt Ruedin.
Hohe Hürden für Schweizer Pass
Die Untersuchung bestätigt auch, dass die Schweiz eine restriktive Einbürgerungspolitik verfolgt. Im Jahr 2017 hat die Schweizer Stimmbevölkerung zugestimmt, die Einbürgerung von rund 25’000 jungen Ausländerinnen und Ausländern der dritten Generation zu erleichtern. Die Studie weist jedoch darauf hin, dass der Schweizer Pass nach wie vor schwieriger zu erhalten ist als derjenige der meisten westeuropäischen Länder. Darüber hinaus wurden die Bedingungen für die Einbürgerung 2018 mit dem Inkrafttreten des neuen Bürgerrechtsgesetzes weiter verschärft.
Laut den Experten würde jedoch eine höhere Einbürgerungsrate die bessere Integration von Ausländerinnen und Ausländern begünstigen. Sie erhöht die Akzeptanz der Migranten, ihren sozioökonomischen Status, ihre politische Partizipation sowie ihr Zugehörigkeitsgefühl und ihr Vertrauen in ihr Gastland, heisst es in dem Bericht.
Zugang zum Gesundheitssystem
Obwohl die Integrationspolitik der Schweiz nicht gerade avantgardistisch ist, bietet das Land den Einwanderern dennoch gewisse Vorteile. Hervorzuheben ist, dass das Schweizer Gesundheitssystem allen Kategorien von Migranten zugänglich ist. In diesem Bereich schafft es die Schweiz daher auf Platz 2 des Rankings – neben Irland, Neuseeland und Schweden. Der Bericht begrüsst unter anderem das Portal für gesundheitliche Chancengleichheit «migesplusExterner Link«, das Gesundheitsinformationen in 56 Sprachen anbietet.
Der Schweizer Arbeitsmarkt bietet zudem interessante Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger von Drittstaaten, die über eine Arbeitsbewilligung verfügen. Sie haben Zugang zu selbständiger Erwerbstätigkeit, Beschäftigung im öffentlichen Dienst, Sozialhilfe und Ausbildung. In dieser Hinsicht liegt das Land im europäischen Durchschnitt.
Der MIPEX ist ein Index, der die Migrations- und Integrationspolitik von 52 Ländern systematisch erfasst und vergleicht. Der Index konzentriert sich auf die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Umsetzung in der Praxis.
Quelle: nccr – on the moveExterner Link
Sibilla Bondolfi
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