Wie funktionieren «Babyklappen» in der Schweiz?
Die Aussetzung eines Neugeborenen bei einem Werkhof Anfang Januar hat die Bevölkerung tief bewegt. Das Mädchen wurde in einem unterkühlten Zustand von einem Passanten entdeckt. Dabei gibt es in der Schweiz mehrere "Babyklappen", in denen verzweifelte Mütter ihr Kind aussetzen können, ohne es zu gefährden.
Anfang Jahr erschütterte ein DramaExterner Link die Schweiz: Ein Passant entdeckte auf einer Abfallsammelstelle im Kanton Bern ein neugeborenes Baby. Das Mädchen war unterkühlt und in einem kritischen Zustand. Die Mutter wurde durch die Polizei rasch gefunden. Sie erklärte, bewusst einen gut frequentierten Ort für die Aussetzung ihres Kindes gewählt zu haben, damit es schnell gefunden würde.
Dabei gibt es in der Schweiz eine Notfalllösung für verzweifelte Mütter: Mehrere Spitäler des Landes haben eine so genannte «Babyklappe» installiert.
Es handelt sich um eine Einrichtung, die es einer Mutter erlaubt, ihr Neugeborenes anonym auszusetzen, ohne es zu gefährden. Die Spitäler haben an einem diskreten Ort eine Art Schalter installiert. Die Mütter können ein Fenster öffnen und ihr Baby in ein Wärmebett legen. Nach einigen Minuten geht ein Alarm an, so dass sich das Personal um das Baby kümmert.
Bei der Klappe liegt ein Brief an die Mutter, der ihr Ratschläge und eine Kontaktliste für Hilfsangebote gibt. Wenn sie ihre Meinung ändert, hat sie ein Jahr Zeit, um von den Behörden ihr Baby zurückzufordern.
Die in der Klappe abgelegten Neugeborenen gelten rechtlich als Findelkinder. Die Kindesschutzbehörde platziert die Kinder und leitet ein Adoptionsverfahren ein.
Die erste Babyklappe wurde 2001 im Spital von EinsiedelnExterner Link im Kanton Schwyz eingeweiht. Die Initiative ging von einer christlichen und abtreibungskritischen Stiftung aus, der Schweizerischen Hilfe für Mutter und Kind (SHMK)Externer Link, nachdem 1999 ein Neugeborenes tot am Ufer des Sihlsees aufgefunden worden war.
Heute gibt es acht Babyklappen in der Schweiz, in den Spitälern von Einsiedeln, Davos (GR), Olten (SO), Bern, Zollikerberg (ZH), Bellinzona (TI), Basel und Sitten (VS). Sechs dieser Babyklappen werden als Gemeinschaftsprojekt der einzelnen Spitäler und der SHMK betrieben, diejenige in Zollikerberg liegt in der Verantwortung der Stiftung Diakoniewerk Neumünster und diejenige in Sitten wurde im Auftrag der kantonalen Behörden eingerichtet.
Deutschland und Österreich waren die ersten Länder in Europa, welche die Babyklappen im Jahr 2000 wiedereingeführt haben. Das System war bereits im Mittelalter verbreitet, aber während mehr als einem Jahrhundert fast verschwunden. Heute bieten viele Länder auf der ganzen Welt verzweifelten Müttern diese Lösung an.
Seit Einrichtung der ersten Babyklappe im Jahr 2001 wurden gemäss Zahlen der SHMKExterner Link und der RegierungExterner Link 24 Neugeborene abgelegt.
Der UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes empfiehlt ein Verbot von Babyklappen, weil diese Praxis das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung verletze.
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Der umstrittene Boom der Babyfenster
Mehrere VorstösseExterner Link im Schweizer Parlament forderten eine Schliessung der Babyklappen. Manche Parlamentarier und Parlamentarierinnen sind der Meinung, diese Praxis verstosse gegen die Rechte des Kindes, laufe der Pflicht zur Meldung der Geburt zuwider und die Gefahr berge, dass ein Kind einer besonders verletzlichen – minderjährigen oder heimlich eingewanderten – Mutter entgegen ihrem Willen weggenommen werde.
Eine Mehrheit des Parlaments und die Regierung möchten Babyklappen jedoch nicht verbieten. In einem Bericht von 2016Externer Link vergleicht der Bundesrat die verschiedenen Unterstützungsangebote für Schwangere in der Schweiz. Er kommt zum Schluss, dass es keine Lösung gibt, welche allen Betroffenen (Mutter, Kind, Vater, Behörden) entsprechen würde.
Der Fokus müsse darauf abzielen, in Notfallsituationen eine optimale Ausgangslage sowohl für die werdende Mutter als auch für ihr Kind zu schaffen. Dies beinhalte in erster Linie die breite Unterstützung und Förderung von Einrichtungen, welche Schwangeren und Müttern in Not beistehen und diese entsprechend beraten können.
Ein Verbot von Babyklappen könnte laut Bundesrat hingegen dazu führen, dass eine Mutter in einer Notsituation ihr Kind im Versteckten aussetzt und dieses in der Folge nicht rechtzeitig einer medizinischen Betreuung zugeführt werden kann.
«Um dies zu verhindern, sind die negativen Aspekte des Babyfensters (Verletzung des Anspruches auf Kenntnis der Abstammung und der Meldepflicht) aus Sicht des Bundesrates in Kauf zu nehmen. Die Rettung des Lebens eines Kindes wiegt die Verletzung seines Anspruchs auf Kenntnis der Abstammung bei Weitem auf», heisst es im Bericht.
Laut SHMK ist seit Einführung der ersten Babyklappe im Jahr 2001 die Zahl der tot aufgefundenen Neugeborenen deutlich zurückgegangen. Sie stützt sich auf die von Medien vermeldeten Fälle und Zahlen der Polizei. Zwischen 1996 und 2000 starben laut SHMK sieben ausgesetzte Babys, während es zwischen 2016 und 2020 nur zwei waren.
Die Regierung schreibt im oben genannten Bericht, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die steigende Anzahl von Babyfenstern zu einem Anstieg von Fällen geführt habe. Weil Babyklappen möglicherweise Leben retten, empfiehlt die Regierung, sie als Notlösung zu behalten und sie weder im Gesetz zu verankern, noch sie zu verbieten.
Eine Frau, die ihr Neugeborenes in eine Babyklappe legt, macht sich keiner Straftat schuldig und wird deshalb nicht gesucht, betont die SHMK. Die Spitäler installieren keine Überwachungskameras im Gebiet der Babyklappe. Die SHMK publiziert in den Lokalmedien dennoch einen Aufruf an die Mutter, sich zu melden.
Das Schweizerische ZivilgesetzbuchExterner Link sieht vor, dass bei einer Adoption auf die Einwilligung eines Elternteils verzichtet werden kann, wenn die Person oder ihr Aufenthaltsort unbekannt ist.
Die Aussetzung eines Neugeborenen ist für Mütter in der Schweiz der einzige mögliche Weg, vollständig anonym zu bleiben. Zwar bieten Spitäler in 18 Kantonen vertrauliche GeburtenExterner Link an, bei denen die Personalien der Mutter nur an die Personenstands- und Kindesschutzbehörden weitergeleitet werden.
Die Angehörigen oder der Vater des Kindes werden nicht informiert, und es sind die Adoptiveltern, die offiziell erwähnt werden. Aber wenn das Kind volljährig ist, hat es das Recht, die Identität seiner biologischen Mutter zu erfahren. Die vertrauliche Geburt bleibt jedoch in der Schweiz eine wenig bekannte Lösung.
Eine anonyme Geburt ist in der Schweiz nicht erlaubt, weil sie gegen das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung sowie das Recht des Staats auf Kenntnis einer Geburt verstösst. Im Gegensatz dazu ist die anonyme Geburt erlaubt in Frankreich, Italien, Luxemburg, Österreich, Russland und der Slowakei.
Mit internationalen DNA-Datenbanken wird es für Eltern allerdings immer schwieriger, langfristig anonym zu bleiben. Dank DNA-Tests, die von Firmen angeboten werden, kann man Personen mit gleichen Genen finden: Cousins, Grosseltern, Onkel oder Halb-Schwester. Und somit seine Herkunft zurückverfolgen.
(Übertragung aus dem Französischen: Sibilla Bondolfi)
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