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«Schweizer Ingenieurskunst vom Feinsten»: die steilste Seilbahn der Welt

Teilstück der Schilthornbahn
So sieht sie aus. Keystone / Anthony Anex

Ein Teilstück der Schilthornbahn, das vor kurzem in der Zentralschweiz in Betrieb genommen wurde, ist das jüngste Beispiel für atemberaubende Ingenieurskunst in den Schweizer Alpen. Wie steil ist sie wirklich?

Ich hatte früher einen Nachbarn im Stockwerk über mir, der regelmässig vom Balkon aus an einem Seil einen Eimer zu seiner Katze hinunterliess, die unten geduldig wartete. Die Katze sprang dann hinein und wurde hochgezogen. An diesen Nachbarn – und seine Katze – musste ich denken, als ich von der steilsten Seilbahn der Welt im Berner Oberland las.

Die unterste der drei Sektionen des 100 Millionen CHF teuren Projekts Schilthornbahn 20XXExterner Link wurde am 13. Dezember 2024 eröffnet. Sie befördert die Fahrgäste zwischen Stechelberg und Mürren mit einer Steigung von bis zu 159,4 Prozent.

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«Absolut fantastisch, was hier alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen geleistet haben! Phänomenal!», kommentiert @cobra1010 das Video der BaufirmaExterner Link. «Da braucht es ganz viel Intelligenz, Fähigkeiten und Fleiss, um so etwas auf die Beine zu stellen! Schweizer Ingenieurskunst vom Feinsten!»

Aber was bedeuten 159,4 Prozent? Nun, man sitzt nicht in einem Eimer, aber es ist steil: Auf jedem horizontal zurückgelegten Meter geht es 1,60 Meter in die Höhe (in Grad ausgedrückt, sind es fast 58°). Die Stoosbahn im Kanton Schwyz, die bisher steilste Standseilbahn der Welt, erreicht eine Steigung von 110 Prozent (47°).

Wanderplan der Schilthorn AG
So kommt man hoch. Schilthornbahn AG

Mit einer Geschwindigkeit von sieben Metern pro Sekunde geht es von Stechelberg nach Mürren. In vier Minuten überwindet die Bahn 775 Höhenmeter – Druck in den Ohren gibt es da inklusive.

Wegen der extremen Steigung sind die beiden Kabinen an einem je elf Meter langen Arm aufgehängt. Der Betrieb läuft vollautomatisch – es gibt kein Personal an Bord – Kameras und Sensoren sind jedoch immer in Betrieb. In jeder Kabine finden bis zu 85 Personen Platz, und laut Plan sollen bei voller Auslastung 800 Personen pro Stunde befördert werden.

«Ich bin sehr stolz, bei diesem beeindruckenden Projekt mitgewirkt zu haben. Auch wenn man da auf schwindelerregenden Höhen arbeiten musste,»so @Saw4825.

Eine Liftseilbahn in der Höhe
So tief geht es runter. Keystone / Anthony Anex

Die Schilthornbahn wurde zwar noch nicht vom Guinness-Buch der Rekorde anerkannt, zahlreiche andere Schweizer Ingenieursleistungen jedoch bereits schon:

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Funktion und Ästhetik

Ich kenne diese Gegend gut, denn ich habe viel Zeit in Mürren verbracht, einem herrlichen, autofreien Ort am Rande einer steilen Felswand im atemberaubenden Lauterbrunnental. Einst musste man, um von Stechelberg (im Talboden) zum Schilthorn (dem Gipfel) zu gelangen, vier Etappen zurücklegen: Stechelberg nach Gimmelwald, Gimmelwald nach Mürren, Mürren nach Birg und schliesslich Birg zum Schilthorn. Die gesamte Auffahrt konnte bei Hochbetrieb fast eine Stunde dauern.

Nun führt die erste Etappe direkt von Stechelberg nach Mürren (die alte Seilbahn hält noch in Gimmelwald). Nach Angaben der Schilthornbahn AG wurde die gesamte Fahrzeit von Stechelberg bis zum Schilthorn (von unten nach oben) von 32 auf 22 Minuten verkürzt – und dank optimierter Anschlüsse sollte die Fahrt auch bei grösstem Andrang nicht mehr als 30 Minuten dauern.

In diesem VideoExterner Link erläutern die Architekten der neuen Schilthornbahnstationen, wie sie Funktionalität mit Ästhetik verbanden, die Seilbahn in die Berglandschaft einbetteten und diese Form des Bergtransports als Kulturgut bewahren:

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Die unterste der drei Etappen, Stechelberg-Mürren, wurde am 13. Dezember eröffnet – ebenso eine der beiden parallel verlaufenden Funifor-Seilbahnen, die den mittleren Abschnitt Mürren-Birg erschliessen (die zweite Seilbahn wird am 28. November eröffnet). Derzeit ist Birg jedoch der höchste erreichbare Punkt. Das Schilthorn selbst ist bis zum 15. März 2025 nicht zugänglich. Dann wird die erste von zwei Funifor-SeilbahnenExterner Link zwischen Birg und dem Schilthorn in Betrieb genommen. Die zweite Seilbahn auf diesem Abschnitt und des gesamten Projekts wird voraussichtlich im Frühjahr 2026 fertiggestellt.

Höhen und Tiefen

Das Schilthorn und sein Drehrestaurant Piz Gloria sind dank des James-Bond-Films Im Geheimdienst Ihrer Majestät aus dem Jahr 1969 weltweit bekannt. Die steilste Seilbahn der Welt wird nun wahrscheinlich noch mehr Besucher anlocken – die Nachricht wurde von Medien in aller Welt, von BrasilienExterner Link bis IndienExterner Link, aufgegriffen.

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Doch während es für die Wirtschaft gut sein mag, 800 Menschen pro Stunde auf den Berg zu befördern, bedroht Übertourismus die Umwelt und die lokalen Gemeinden durch Probleme wie Verkehr, Inflation, Umweltverschmutzung und Abfall.

Die Einwohner:innen befinden sich in einer verzwickten Lage: Sie wissen, dass es zwar schwierig sein kann, mit dem ständigen Zustrom von Tagesausflüglern, Skifahrerinnen, Wandererinnen, Gleitschirmfliegern und Base-Jumpern zu leben. Jedoch dass es gleichfalls unmöglich wäre, ohne sie zu leben. Mürren hat zum Beispiel rund 400 Ganzjahresbewohnende, aber 2000 Hotelbetten.

“Die neue Schilthornbahn ist eine echte faszinierende Errungenschaft der Technik. Für mich stellt sich in der Folge jedoch die Frage der Konsequenz“, schreibt Leser Donat Greutmann zu einem Artikel über das Projekt in der Berner Oberländer ZeitungExterner Link. “Wie will Lauterbrunnen bzw. die ganze Jungfrauregion mit dem noch vermehrten aufkommenden Touristenstrom in der Höhe und dem Tal umgehen? In Lauterbrunnen entwickelt sich ein Massentourismus, der schon heute entgegen jeglicher Vernunft abläuft. Jegliche Reize dieser doch so schönen Ortschaft werden mit dem Bau der neuen Bergbahn auf ein steigerndes unerträgliches Mass vorangetrieben.“

“Wir sind am Verzweifeln. Die Einheimischen haben einfach keinen Platz mehr in Lauterbrunnen“, so ein Bewohner gegenüber dem Schweizer Fernsehen SRF im Jahr 2023. Lauterbrunnen erwägt nun Eintrittsgelder für Touristen nach venezianischem Vorbild.

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Schweiz Tourismus spricht zwar nicht von Übertourismus, sondern von “punktuellen örtlichen und zeitlichen Engpässen“. Doch sagte der Direktor im Juli, er nehme “diese lokalen Situationen sehr ernst“. Um die Lage zu verbessern, arbeitet Schweiz Tourismus mit Reiseveranstaltern zusammen, mit dem Ziel, die Schönheiten der Schweiz in der Nebensaison und vor allem die Orte abseits der Touristenpfade zu bewerben.

Was die steilste Seilbahn der Welt angeht: Sie bietet den Besuchenden ab dem 15. März 365 Tage im Jahr eine atemberaubende Aussicht vom Schilthorn.

Übertragung aus dem Englischen mit der Hilfe von DeepL: Petra Krimphove

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Zeno Zoccatelli

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