Super Saint-Bernard: Das Skigebiet, das nicht sterben will

Die Lifte stehen seit über einem Jahrzehnt still, die Gebäude verfallen – doch das hält die Skifahrer:innen nicht ab. Was macht den Reiz eines Skigebiets aus, das offiziell nicht mehr existiert?
Die Tür zum Restaurant ist offen. Ich drücke sie auf und trete ein. Hier pulsierte einst das Herz des Skigebiets Super Saint-Bernard – zwischen Parkplatz, Seilbahnstation und der Terrasse, auf der die Gäste ihr Mittagessen und ihre Après-Ski-Getränke genossen. Heute bietet sich ein Bild der Verwüstung.
Meine Skischuhe knirschen auf zerbrochenem Glas, auf dem Boden liegen alte Prospekte, Zeitschriften und Liftkarten, die Wände sind mit Graffiti beschmiert und in der Küche stehen die verkohlten Überreste eines Feuers.
Der Wind rüttelt an den wenigen Scherben der Doppelverglasung, die noch in den Fensterrahmen hängen.

Super Saint-Bernard, rund 22 Kilometer südlich von Verbier, wurde 1963 eröffnet und war bekannt für seine hohen, langen Pisten, von denen eine bis über die Grenze nach Italien führte.
Doch um die Jahrhundertwende geriet das Skigebiet in finanzielle Schwierigkeiten und hangelte sich von einer Saison zur nächsten. 2010 kamen die Lifte schliesslich ganz zum Stillstand.
Seitdem ist der Ort verlassen und zählt zu einer wachsenden Zahl so genannter «Ghost Resorts». Die Gebäude verfallen nach und nach, die Lifttürme rosten im Schnee.
Einige dieser Geisterorte wurden Opfer des Klimawandels, andere mussten aus wirtschaftlichen Gründen den Betrieb einstellen, weil sie es sich nicht leisten konnten, die Lifte zu ersetzen, die das Ende ihrer natürlichen Lebensdauer erreicht hatten.
Weltweit gibt es keine genauen Zahlen, aber allein in der Schweiz wurden in den letzten 25 Jahren 20 Skigebiete geschlossen, so Laurent Vanat, ein Berater der Skiindustrie.
In Japan wurden seit dem Skiboom der 1980er-Jahre mindestens 200 Skigebiete geschlossen. Der grösste Teil der Infrastruktur wurde abgebaut oder umgenutzt, aber einige Skigebiete sehen aus, als wäre das Personal einfach von einem Tag auf den anderen verschwunden.
Trotz der Trümmer um mich herum und des Windes, der in Böen bis zu 60 km/h erreicht, bin ich in Super Saint-Bernard seltsamerweise nicht allein. Hinter den zerbrochenen Fensterscheiben sehe ich andere hell gekleidete Menschen aus ihren Autos steigen und sich zum Skifahren bereit machen.
Die wachsende Beliebtheit von Skitouren – mit an den Skiern befestigten Fellen kann man bergauf gehen, ohne Lifte in Anspruch nehmen zu müssen – eröffnet die Aussicht auf eine Art Nachleben für diese stillgelegten Skigebiete.

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Ich bin zu einer öffentlichen Veranstaltung der französischen Skimarke Black Crows eingeladen. Etwa 25 weitere Personen nehmen an der Tour teil, die von Bergführer:innen und einigen gesponserten Skifahrer:innen geleitet wird, darunter die französische Pionierin Liv Sansoz.
Im verfallenen Restaurant treffen wir uns zur Einweisung («Vorsicht vor Erfrierungen bei diesem Wind», warnt Sansoz). Kurz darauf schnallen wir uns unter der Seilbahn die Felle an und machen uns auf den Weg.
Super Saint-Bernard liegt auf 1900 Metern Höhe am Ende des Val d’Entremont und am Pass des Grossen St. Bernhard, einem wichtigen Übergang nach Italien. Es gibt drei Skilifte, von denen der längste bis auf 2770 m auf den Grenzkamm zwischen den beiden Ländern führte, aber kein Hotel.
Die Nacht zuvor hatten wir im Bivouac Napoléon verbracht, einem Hotel im sechs Kilometer entfernten Bourg-St-Pierre. Vor dem Fondue sahen wir einen Kurzfilm der Skimarke über Super St-Bernard, den neusten in einer Reihe von Filmen über Geisterorte auf der ganzen Welt.
Warum sich eine junge, dynamische Marke mit Skigeschichte, zerfallender Infrastruktur und finanziellem Ruin assoziieren will, erschliesst sich nicht sofort.
Zum Teil gehe es schlicht darum, Menschen zu erreichen, die sich herkömmliche Ski-Action-Filme nicht ansehen würden, heisst es.
«Aber für uns ist Skifahren nicht nur ein Sport, es ist eine Kultur», sagt Camille Jaccoux, Mitbegründer der Marke. «Und ein grosser Teil dieser Kultur ist der Boom des Skifahrens in den 1960er-, 70er- und 80er-Jahren.»
Ein Gefühl der Nostalgie
Da die Schneeverhältnisse in den tiefer gelegenen Skigebieten immer schlechter und die höher gelegenen Skigebiete immer überfüllter und teurer werden, scheint der Sport zunehmend von einer gewissen Nostalgie und Sehnsucht nach einer hoffnungsvolleren Vergangenheit begleitet zu sein.
Nach dem Film wird ein Teilnehmer emotional, als er von seinen Kindheitserinnerungen an das Skigebiet Super Saint-Bernard erzählt, «ein Spielplatz», der jeden Winter 14 Meter Schnee bekommt.

Später zeigt mir Hotelbesitzer Claude Lattion ein altes Schwarzweissfoto von Schmugglern, die einst Zigaretten über den Pass von der Schweiz nach Italien brachten und für welche die Eröffnung des Skilifts ein Segen war.
Er zeigt auf eine junge, dunkelhaarige Frau, die neben Zigarettenschachteln in Jutesäcken im Schnee liegt: «Meine Schwiegermutter.»
Im Jahr 2002 beschloss die Gemeinde, der das Skigebiet bis dahin gehörte und die es auch betrieb, es zu schliessen. In einer Gemeinderatssitzung sprach sich Lattion gegen die Schliessung aus.
«Der Bürgermeister sagte: ‹Nun, die einzige Lösung ist, dass wir es Ihnen für einen Franken verkaufen.› Ich hatte 30 Sekunden, um mich zu entscheiden – ich muss verrückt sein.»

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Acht Jahre lang arbeitete Lattion weiter. «Ich habe Partner gefunden, Geld in die Hand genommen und viel Zeit investiert. Es war eine tolle Erfahrung, menschlich sehr bereichernd… finanziell überhaupt nicht.»
Bis 2010 waren Investitionen von 25 Millionen Franken für die Modernisierung der Bergbahnen nötig, eine Summe, die Lattion nicht aufbringen konnte.
Eine Art Rebellion
Oben auf dem Berg peitscht uns der Wind entgegen, während dichte Nebelschwaden durch das Tal jagen.
Die Topografie der umliegenden Gipfel lenkt die Stürme auf diese Hänge, was gute Schneeverhältnisse bis in den späten Frühling hinein garantiert, aber auch die Wahrscheinlichkeit von starkem Wind und Liftschliessungen erhöht («das war unser grösster Feind», sagte mir Lattion).

Der pfeifende Wind und die Anstrengung machen ein Gespräch schwierig – stattdessen denke ich über die Anziehungskraft von Super Saint-Bernard und anderen Skigebieten dieser Art nach.
Wenn modernes Skifahren bedeutet, in einem Skigebiet, das einem grossen Konzern gehört, Schlange zu stehen, um im Couloir den Selfie-Stick der Vorderleute zu bewundern, dann könnte ein Ausflug in ein Geisterskigebiet eine erfrischende Alternative sein, vielleicht sogar eine Art Rebellion.
Wir stampfen weiter, erreichen einen der Lifte und suchen Schutz im Windschatten eines grossen Felsblocks, wo die Bergführer schliesslich den Rückzug ankündigen.
Dann stürzen wir uns in einem unglaublichen Farbenmeer den Berg hinunter, geniessen den unberührten Schnee und schwelgen in einem Hauch von Nostalgie.
Tom Robbins wurde vom Schweizer Tourismus-Verband, Travel Switzerland, Swiss International Air Lines und Black Crows eingeladen. Die Skimarke veranstaltet eine Reihe von öffentlichen «Ski Sauvage»-Events.
Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger
Copyright The Financial Times Limited 2025

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