Bild des reichen und faulen Studenten revidiert

Mit Stipendien allein gehts nicht: Acht von zehn Studierenden haben neben dem Studium einen Job, neun von zehn erhalten Geld von den Eltern.
Die soziale Lage der Studierenden hat sich in den letzten Jahren verschlechtert, so das Fazit einer Studie des Bundesamtes für Statistik (BfS).
Das Klischee vom Studierenden als Faulpelz und Müssiggänger hat endgültig ausgedient: «Während die Zahl der Studierenden Jahr für Jahr steigt, hat sich ihre soziale Lage verschlechtert», resümierte Charles Kleiber, Schweizer Staatssekretär für Bildung, das Resultat der Untersuchung. Darin erforschte das Bundesamt für Statistik (BfS) die soziale Lage der Studierenden in der Schweiz im vergangenen Jahr.
Demnach erhält nur jeder sechste Stipendien. Die Eltern finanzieren im Schnitt über die Hälfte des Budgets der Studierenden, so ein weiteres Fazit. Das Einkommen aus einem Job während des Studiums oder aus Ersparnissen aus einer früheren Erwerbsarbeit tragen knapp 40% zum Budget bei. 1973 hatte dieser Anteil noch bei 17% gelegen. Lediglich 10% stammen aus Stipendien und Darlehen.
Kein Absetzen von der Steuer
Die Studierenden geben monatlich im Schnitt 1650 Franken aus. Wer zu Hause bei den Eltern wohnen kann, braucht 1300, wer auswärts wohnt, 1900 Franken pro Monat.
Bei der ganzen Situation gilt es zu bedenken, dass Eltern, die ihre studierenden Kinder unterstützen, diese Beiträge nicht von den Steuern abziehen können. Studierende, die parallel arbeiten, müssen ihre Einkünfte wie alle anderen voll versteuern.
Studien-«Management» gefragt
Der Staatssekretär für Bildung wies ferner darauf hin, dass zwischen den festgestellten Trends und der Studienreform Konflikte entstehen könnten. «Mit der Neustrukturierung werden die Studiengänge viel konzentrierter und anspruchsvoller.» Deshalb werde es schwieriger, daneben noch zu arbeiten.
In der so genannten Bologna-Reform wurde die universitäre Ausbildung in Europa vereinheitlicht und gestrafft. Für jede besuchte Veranstaltung gibt es eine genormte Punktzahl. Das nötige Punktetotal vorausgesetzt, können Studierende nach drei Jahren den Bachelor machen, zwei weitere Jahre später den Master.
Abnehmende Chancengleichheit
«In den letzten Jahren hat der Anteil derjenigen, die sich das Studium mit einer Arbeit finanzieren müssen, Besorgnis erregend zugenommen,» beobachtete Kleiber. Er deutete dies als Hinweis auf eine abnehmende Chancengleichheit.
Vertreter der Studierenden äusserten dieselben Befürchtungen. Unterschichten-Kinder seien nach wie vor an Hochschulen schlecht vertreten, betonte Rahel Imobersteg vom Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS).
«Die Chancen für einen gleichen Zugang zu höherer Bildung gehen immer weiter auseinander,» so Imobersteg. Die Kosten des Studiums würden zunehmend von den Studierenden und ihren Eltern getragen.
Kantönligeist austreiben
Die VSS-Vertreterin forderte deshalb eine dringende Reform des Stipendienwesens. Namentlich müssten die kantonalen Unterschiede ausgeglichen werden, forderten Imobersteg wie auch der Verband der Schweizerischen Hochschulstudierendenschaften VSH.
Immerhin ist Imobersteg mit einem Aspekt zufrieden: «Die Studie räumt mit dem Mythos auf, wonach alle Studierenden reiche Faulpelze seien.»
FH als Gegengewicht
Ein gewisses Gegengewicht setzen die Fachhochschulen (FH). Für Ursula Renold, Direktorin des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie, tragen sie zu mehr Chancengleichheit bei. Sie ermöglichten qualifizierten Berufsleuten den Hochschulzugang.
77% der FH-Studierenden haben Eltern ohne Hochschulabschluss, bei den Unis sind es dagegen nur 58%. Die regionale Verankerung der FH begünstige zudem ortsgebundene Personen wie beispielsweise Mütter.
Für die Studie hatte das BfS letztes Jahr 20’000 Studierende online befragt. 64% hatten geantwortet.
swissinfo und Agenturen
Die Schweiz hat zehn Universitäten, zwei Technische Hochschulen (ETH) und sieben Fach-Hochschulen.
2005 waren über 110’000 Studierende an den Unis und ETH immatrikuliert.
50’000 studierten an den Fach-Hochschulen.
48% aller Studierenden waren Frauen, der Anteil der Ausländer beträgt 23%.
Gemäss Studie des BfS geben die Studierenden im Schnitt 1650 Franken pro Monat aus.
50% der Kosten finanzieren die Eltern, 40% bringt ein Nebenjob ein, 10% sind Stipendien.
Das Stipendienwesen ist Sache der Kantone, weshalb in der Schweiz grosse Differenzen herrschen.

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