ETH strebt weiter nach Qualität
Heidi Wunderli-Allenspach, die erste Rektorin in der 152 jährigen Geschichte der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH), will die Standards noch höher schrauben.
Die Biologin will mehr Frauen für ein ETH-Studium gewinnen und die hohe Ausstiegsrate im ersten Studienjahr senken, ohne Abstriche bei der Qualität zu machen.
Die ETH hat stürmische Zeiten hinter sich, unter anderem wegen dem Rücktritt des umstrittenen Präsidenten Ernst Hafen und nach Auseinandersetzungen um die Finanzierung der Hochschule.
Doch die Ernennung des neuen Präsidenten Ralph Eichler und das neue Budget, das zwar kleiner ist als dieses Jahr, aber grösser als erwartet (994 Mio. Franken für 2008, 1,2 Mrd. dieses Jahr), scheinen die Wogen immerhin etwas geglättet zu haben.
swissinfo: Wie wichtig ist es, dass die ETH zum ersten Mal eine Rektorin hat?
Heidi Wunderli-Allenspach: Ich glaube nicht, dass es sehr wichtig ist. Es ist schön, dass es dazu gekommen ist. Aber es hatte nie eine Kontroverse gegeben, dass wir jetzt eine Frau an dieser Stelle haben müssen. Das schätze ich sehr, denn das wäre nicht gut gewesen.
swissinfo: Hoffen Sie dennoch, mehr Frauen für die ETH begeistern zu können?
H.W.-A.: Darum bemühen wir uns bei der ETH schon seit langem. Es reicht aber nicht, einfach weibliche Fakultätsmitglieder zu gewinnen. Man muss die Leute schon in den frühen Lebensjahren informieren, wie interessant die wissenschaftliche Forschung ist.
Im Rahmen unseres 150-Jahr-Jubiläums gab es spezielle Veranstaltungen für Schulen. Dabei merkten wir, dass besonders jüngere Mädchen im Alter von 10 bis 12 Jahren im Labor grosse Begeisterung zeigten und fasziniert waren.
Wir sind uns des Problems [nicht genug Forscherinnen] sehr bewusst. In den letzten 15 Jahren haben wir einiges in Bewegung gesetzt. Wo immer möglich, sollten Frauen eine faire Chance erhalten. Aber die Bemühungen dazu müssen früh beginnen, wenn wir wirklich Erfolg haben wollen.
swissinfo: Macht Ihnen die derzeitige Ausstiegsrate von 30% unter Studierenden im ersten Jahr Sorgen?
H.W.-A.: Wir haben keine Zugangsprüfungen. Wer einen Matura-Abschluss hat, kann sich an der ETH einschreiben. Dass dann jemand, der sich zuvor vor allem mit Musik beschäftigt hatte, nicht von Anfang an durchkommt, ist nicht erstaunlich.
Wir haben mittlerweile ein Pilotprojekt, um die Leute besser zu informieren, bevor sie an die ETH kommen. Der erste Schritt ist, Interessenten zu beraten und sie darüber zu informieren, wie es um ihre Chancen steht, die Examen des ersten Studienjahrs zu bestehen.
Der zweite Schritt ist ein Mentoring-System mit Professoren und älteren Studierenden, um die Jungen im Auge zu behalten und ihnen ein regelmässiges Feedback zu geben.
Im dritten Schritt geht es dann darum, die Studierenden bei ihren Karriere-Aussichten zu beraten.
Es ist ein Thema, das uns beschäftigt. Es gefällt uns nicht, dass 30% nicht über das erste Jahr hinauskommen. Andererseits können wir nicht einfach nett sein, wenn wir die hohen Qualitätsstandards erhalten wollen.
swissinfo: Sind die Turbulenzen der letzten Monate überwunden?
H.W.-A.: Wir haben einen neuen Präsidenten, der die ETH gut kennt. Ich bin froh, dass wir uns nun wieder auf unser Kerngeschäft konzentrieren können. Intern befindet sich die ETH in einer sehr guten Situation. Ich schaue sehr zuversichtlich in die Zukunft.
Wir wollen, dass die ETH ihr hohes Ranking beibehalten kann. Wenn man Dinge verändern will, muss man analysieren, was nicht gut läuft. Aber wir haben keine Zeit für Reformen nur um der Reformen willen.
swissinfo: Welches ist Ihre erste Aufgabe?
H.W.-A.: Als Verantwortliche für akademische Fragen ist es meine Aufgabe, für eine bestmögliche Erziehung und Bildung zu sorgen. Wir müssen unsere Qualitäts-Standards und die Instrumente zur Qualitätskontrolle bündeln und schauen, was wir nutzen können – und was allenfalls nur heisse Luft ist. Wir wollen nicht bürokratisch sein, aber wir brauchen Feedback zu unserer Qualität.
swissinfo: Werden Sie versuchen, mehr Studierende aus aller Welt anzuziehen?
H.W.-A.: Die ETH hat eine lange Tradition von ausländischen Lehrkräften. Die ETH begann als eidgenössisches Technisches Institut zu einer Zeit, als hier Eisenbahn-Strecken und viele Tunnels durch die Alpen gebaut wurden. Damals gab es in der Schweiz kaum Experten, mehr als die Hälfte der Lehrkräfte kamen daher aus dem Ausland.
Die Schweiz hat Interesse daran, qualifizierte Kräfte anzuziehen und dazu zu bewegen, hier zu bleiben, da wir sonst gar nicht alle Stellen besetzen können.
Man muss aber auch Vorsicht walten lassen. Wir wollen unsere Standards erhalten und können nicht einfach jeden nehmen. Superleistungen bei Bildung und Forschung ist unser Ziel. Und wir sind nicht gewillt, unsere Wertvorstellungen herunterzuschrauben, nur um mehr Leute an die ETH zu bringen.
swissinfo: Können Sie mit dem neuen Budget alle Ziele erreichen?
H.W.-A.: Wir sollten uns nicht allzu sehr beklagen. Es gibt aber immer neue Programme. Das Problem ist, dass in der letzten Zeit zahlreiche neue Programme eingeführt wurden, wir aber nicht wirklich viel Geld zur Verfügung haben.
Der Schweiz geht es nicht so schlecht, aber der Bund hat unsere Finanzierung in den letzten zehn Jahren nicht gerade stark erhöht. Wir müssen vorsichtig budgetieren, genau festlegen, was wir umsetzen. Und wir müssen auch entscheiden, auf was wir verzichten, wenn wir etwas Neues einführen.
swissinfo-Interview, Matthew Allen in Zürich
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
Heidi Wunderli-Allenspach studierte Biologie an der Abteilung für Naturwissenschaften der ETH Zürich.
Nach dem Studium arbeitete sie zuerst in den USA und später für das Schweizerische Krebsforschungs-Institut und am Institut für Immunologie und Virologie der Universität Zürich, bevor sie an die ETH zurückkehrte.
1986 wurde sie zur Assistenzprofessorin und 1992 zur ausserordentlichen Professorin gewählt. Seit 1995 ist sie ordentliche Professorin für Biopharmazie am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der ETH.
Am 1. September tritt Wunderli-Allenspach als Rektorin die Nachfolge von Konrad Osterwalder an. Ihr Vertrag läuft für vorerst vier Jahre.
Ernst Hafen trat sein Amt als ETH-Präsident im Dezember 2005 an – mit einem ambitiösen Reformprogramm, zu dem Änderungen bei den Lehrplänen und engere Verbindungen zur Industrie gehörten.
Zudem wollte er das Amt des Rektors abschaffen und die Zahl der Departemente senken, was zu Widerstand aus der Professorenschaft und den Departements-Leitungen führte.
Im November 2006 musste Hafen zurücktreten.
Innenminister Pascal Couchepin, über dessen Departement die ETH den Grossteil ihres Budgets erhält, bedauerte damals den Rücktritt.
Rektor Konrad Osterwalder übernahm interimistisch Hafens Aufgaben, bis Ralph Eichler am 1. September das ETH-Präsidium antritt.
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