Gotthelf ohne Nähe zum Emmental verstehen
Deutsche Professoren an Schweizer Universitäten sind häufig, besonders an den deutschsprachigen. Der Schweizer Fokus werde dadurch nicht vernachlässigt, sagt der Rektor der Uni Bern, Urs Würgler.
«Die Bedeutung der Schweiz als Forschungsplatz ist grösser als das Land Schweiz mit seinen sieben Millionen Einwohnern», sagt Urs Würgler, Professor für Mathematik und heutiger Rektor der Uni Bern.
«Es ist klar, dass es nicht möglich wäre, mit rein einheimischem Nachwuchs diese Forschungsleistung zu erbringen, nicht nur an Universitäten, sondern auch in Industriekomplexen.»
Die Schweiz sei von ihrer Grösse her ein Vorort von Shanghai, «doch die Bedeutung in der Forschung in der Schweiz ist sehr gross. Diese Bedeutung ist viel grösser, als man aufgrund der Grösse des Landes erwarten könnte».
Deshalb sei die Schweiz auf ausländische Spitzenkräfte angewiesen, sonst könnte sie all diese verschiedenen Forschungen gar nicht betreiben.
«Man kann gewisse Probleme aus schweizerischer Sicht betrachten, ohne notwendigerweise in der Schweiz geboren zu sein. Sie können Gotthelf verstehen, ohne im Emmental geboren zu sein.»
Lieber in die Privatwirtschaft
Würgler bestreitet allerdings nicht, dass es zuwenig schweizerischen Uni-Nachwuchs gebe. Schlechter ausgebildet sei der bestehende jedoch nicht. In den Bereichen, die privatwirtschaftlich auch interessant seien, entschieden sich viele junge Schweizerinnen und Schweizer eher für die Privatwirtschaft.
«Die Forschung ist ein sehr risikobehaftetes Unternehmen und sie ist auch nicht sehr lukrativ.» Wieviele Wissenschafter in die Privatwirtschaft abwanderten, sei stark von den jeweiligen Fächern abhängig.
Am Ausgeprägtesten sei das Phänomen in den Wirtschaftswissenschaften, dort habe man am meisten ausländische Professoren, weil dort am meisten Schweizer Uni-Absolventen in die Privatwirtschaft abwanderten. Bei den Naturwissenschaften habe man bei weitem nicht so viele ausländische Professoren.
Zudem gehe der wirklich gute Schweizer Nachwuchs zuerst ins Ausland. «Wir haben diesbezüglich eine Bilanz, die gar nicht so schlecht ist. Viele unserer Nachwuchsleute arbeiten im Ausland.» Je nachdem, ob es ihnen dort gefällt, kommen sie für eine Professur in die Schweiz zurück oder auch nicht.
Forschung ist davon abhängig
Der Mittelbau, die Assistentinnen und Assistenten, an den Schweizer Universitäten sei hauptsächlich von Schweizern besetzt. «Manche Professoren nehmen ihre Doktoranden mit. Nach ein paar Jahren sind diese jedoch fertig mit der Dissertation. Nachher wird der Professor Leute anstellen, die bei uns studieren.»
Das Thema, dass an den Deutschschweizer Unis zuviele deutsche Professoren angestellt seien, komme immer wieder aufs Tapet. Würgler meint dazu: «Gerade die Forschung lebt vom internationalen Austausch. Sie ist davon abhängig. Und die Tatsache, dass zum Beispiel die Uni Bern für ausländische Spitzenkräfte attraktiv ist, ist nichts Schlechtes. Das sollte als Hinweis auf das hohe Niveau unserer Arbeit gedeutet werden.»
Die Anzahl ausländischer Professoren an einer Uni sage nicht viel aus. «Schauen Sie doch mal, wieviele ausländische Professoren es in Harvard gibt.»
Das sei nicht typisch schweizerisch. «Forschung ist ein internationales Geschäft. Wenn man die Nationalität der Professoren als zentrales Kriterium wählen würde, dann hätten wir sehr rasch ein Qualitätsproblem.»
Eveline Kobler, swissinfo.ch
An der Uni Bern seien von allen ausländischen Professoren in den Jahren 1834 bis 1980 der grösste Teil Deutsche gewesen, nämlich 73 Prozent, schreibt Jürgen von Ungern-Sternberg in seinem Artikel über die Berufungen deutscher Professoren an Schweizer Universitäten. Der Bericht wurde in der digitalen Bibliothek der Friedrich Ebert Stiftung publiziert.
Die Universität Basel habe seit der Universitätsreform von 1818 herausragende deutsche Professoren berufen, darunter Franz Gerlach, der Altphilologe, oder der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung.
Als Professor für klassische Philologie wurde der Philosoph Friedrich Nietzsche in Basel angestellt.
Ein bekanntes Beispiel eines deutschen Professors in Basel, dessen Familie sich in der Schweiz integrierte, war der Philologe Wilhelm Wackernagel.
Nach dem Ersten Weltkrieg, dem Dritten Reich und dem Zweiten Weltkriefg waren Berufungen deutscher Professoren eher ungewöhnlich.
Zur Zeit des Dritten Reiches konnte sich in der Schweiz eine eigenständige schweizerisch- deutsche Literaturwissenschaft um Emil Staiger (Zürich) und Walter Muschg (Basel) bilden.
Die Berufung des Philosophen Karl Jaspers 1948 nach Basel erregte seinerzeit viel Aufsehen.
Uni Zürich:
Von insgesamt 473 Professoren an der Uni Zürich waren Ende 2008 238 Personen schweizerischer Nationalität, 163 aus Deutschland. Im Mittelbau waren 1371 Personen Schweizerin oder Schweizer, 677 Personen stammten aus Deutschland.
Uni Bern:
Von 351 Professuren waren Ende 2008 201 Professoren aus der Schweiz, 102 aus Deutschland. Im Mittelbau kamen 2301 Personen aus der Schweiz, 498 aus Deutschland.
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