Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Immer mehr Schweizer Künstler in Berlin

Die Geschichte Berlins als Nährboden für Kreativität. Keystone

Die Schweiz ist das Land mit den meisten Kunstschaffenden, die ihren Wohnsitz in Berlin haben. Diese Tatsache wird auch von der Botschaft positiv wahrgenommen.

Die Deutschschweizer haben schon seit jeher enge Verbindungen zu Berlin gehabt, nun strömen auch die Westschweizer in die Metropole.

Zweimal im Jahr lädt Catherine Scharf Chevalley, Kulturattachée der Schweizer Botschaft in Berlin, die 18 Schweizer Kunstschaffenden, die ein Stipendium erhalten haben, zu einer «Exkursion» hinter die Kulissen des kulturellen Lebens von Berlin ein.

«Backstage Berlin» ist der Titel dieses lohnenden, zweitägigen Programms. Es ermöglicht den Stipendiaten in der deutschen Hauptstadt Persönlichkeiten zu treffen und die aktuellen Themen des kulturellen Lebens von Berlin zu erfahren.

Bei der letzten Ausgabe Mitte Mai hatten sich rund ein Dutzend Schweizer Kunstschaffende angemeldet. «Diese Exkursionen, die wir seit rund fünf Jahren organisieren, werden von den Künstlern sehr geschätzt», bemerkt Catherine Scharf Chevalley, «obwohl für einige der Anlass zu früh oder zu spät während ihres Aufenthaltes stattfindet und es gibt auch solche, die überhaupt keine Lust haben, andere Schweizer zu treffen.»

Eine «Inspiration» für die Deutschen

Auch auf deutscher Seite überwiegt die Befriedigung. «Wir schätzen die Zusammenarbeit mit der Schweizer Botschaft», erklärt Annette Richter-Haschka, Leiterin des Berufsverbandes bildender Künstler (bbk), die das Besuchsprogramm jeweils auf die Beine stellt. «Diese Begegnungen sind für uns eine wichtige Inspirationsquelle.»

Warum? «Die Internationalität ist eine unserer Prioritäten, ergänzt die Leiterin. Die Begegnungen führen oft dazu, einerseits Kontakte zu knüpfen, aber andererseits auch den Themenaustausch zwischen Künstlern zu fördern.»

Annette Richter-Haschka verheimlicht nicht, dass der bbk ganz nebenbei auch die Qualität seiner Druck- und Bildhauerateliers anpreisen möchte, die zu einem bescheidenen Preis gemietet werden können.

Im Moment bietet nur die Schweiz solche Treffen an. Dänemark könnte dem Schweizer Beispiel folgen und ist im Gespräch mit dem bbk.

Die Schweizer Interessen fördern

Anlässlich des letzten Programms besuchten Schweizer Künstler das Kulturzentrum Radialsystem, trafen die Verantwortlichen der Konrad-Adenauer-Stiftung und des Kunstmagazins Monopol, von dem das Schweizer Medienunternehmen Ringier kürzlich eine Mehrheit übernommen hat.

Für Catherine Scharf Chevalley, bedeutet Kulturförderung auch Förderung der Schweizer Interessen. «Für die Ausstrahlung unseres Landes ist es interessant, die Stipendiaten als Teil eines schweizerischen Programms vorzustellen, umso mehr als die Kultur bei uns eher nicht als aussenpolitisches Instrument eingesetzt wird.»

Von Keller zu Muschg

Die Künstler und Intellektuellen der Deutschschweiz haben zu allen Zeiten Beziehungen zu Berlin gehabt: privilegierte, glückliche oder auch angespannte. Die Schriftsteller Gottfried Keller, Thomas Hürlimann oder Adolf Muschg, wie auch zahlreiche Journalisten dienten oder dienen immer noch als kulturelle Transmissionsriemen zwischen den zwei Ländern.

Mittlerweile entdecken auch zahlreiche Westschweizer Berlin. Die Wohnung des Kantons Wallis beispielsweise wird von der «Loterie romande» mitfinanziert.

Neuenburg schickt seine Künstler hin, wie auch die Kantone Freiburg und Genf, die sich eine Wohnung teilen und auch der Kanton Waadt zeigt Interesse.

Weniger stressig als Paris

Tatsache ist, dass die Anzahl der Wohnungen in Berlin, die von den Kantonen zur Verfügung gestellt werden, stetig steigt. In der deutschen Hauptstadt haben die Kantone mittlerweile mehr Wohnungen für ihre Künstler als beispielsweise in Paris, nämlich 18.

Einige Stipendiaten erklären ihre Begeisterung für die Stadt so: «In Paris ist das Klima aggressiv», erzählt Pierre-Emmanuel Ruedin, Sänger und Gewinner des Stipendiums des Kantons Neuenburg. In den Kursen stünden sich die Leute auf die Füsse, jeder müsse sich durchboxen. Hier sei alles viel offener.

«In Berlin finde ich die Ambiance, die ich mag», schwärmt Laurence Bonvin, Fotografin aus Genf. «Zum Beispiel viel offener Raum und kein Menschengewühl.»

Massgebende Osterweiterung

Den Erfolg der deutschen Hauptstadt erklärt Catherine Scharf folgendermassen: «Für lange Zeit konnte Berlin als Kulturhauptstadt nicht mit Paris oder London konkurrenzieren. Doch durch die Erweiterung nach Osten wurden die Karten neu gemischt.»

Für jene Künstler, die mit den Ländern des Ostens zusammenarbeiten, sei Berlin ideal gelegen, unterstreicht Kulturattachée Catherine Scharf Chevalley. «Zudem ist die Stadt nicht teuer und befindet sich in einem absolut fantastischen künstlerischen Wachstum.»

Noch eine Schweizer Besonderheit: «Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, die hier kein Kulturzentrum haben», bedauert Catherine Scharf Chevalley. Sie macht diesen «Mangel» damit wett, dass sie den Stipendiaten ermöglicht, wichtige Kontakte vor Ort zu knüpfen.

swissinfo, Ariane Gigon Bormann, Berlin
(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

Die Schweiz hat 18 Wohnungen in Berlin, darunter vier der Stiftung Landis & Gyr. Städte und Kantone finanzieren die anderen Wohnungen. Die Westschweizer Kantone Wallis, Neuenburg, Freiburg und Genf besitzen eine Wohnung in Berlin.

Die Kunstschaffenden, die eines dieser Stipendien erhalten haben, werden auch von der Kulturattachée der Schweizer Botschaft unterstützt, die zweimal im Jahr Begegnungen mit Persönlichkeiten aus dem Berliner Kulturleben organisiert.

Rund 2000 Schweizer sind in Berlin auf die eine oder anderer Art in der Kultur tätig, einschliesslich Studenten, Dozenten oder Forscher an der Universität.

In Paris stehen den Schweizer Künstlern in der Cité des arts 16 Wohnungen zur Verfügung. Kulturattachée Anne-Marie Aeschlimann organisiert ebenfalls zweimal im Jahr eine Begegnung der Stipendiaten mit verschiedenen Exponenten aus der Kultur.

London zählt sechs Wohnungen für Schweizer Künstler, und auch hier steht die Kulturattachée mit ihnen im Kontakt. «Es ist sehr wichtig, unsere kulturelle Präsenz sichtbar zu machen», sagt Chaja Lang.

Die Kulturattachés der Schweiz haben kein besonderes Budget, um künstlerische Anlässe zu organisieren, da die Kultur zum Zuständigkeitsbereich des Bundesamtes für Kultur, der Pro Helvetia und zu einem ganz kleinen Teil zur Sektion Kultur des EDA gehört.

Die deutsche Hauptstadt (3,4 Millionen Einwohner im Jahr 2005) hat es bislang noch nicht geschafft, grosse Unternehmen und Namen anzulocken. In Berlin ist die Arbeitslosigkeitsrate mit fast 20% sehr hoch.

Doch die Lage könnte sich langsam ändern. Der Tourismus zum Beispiel entwickelt sich gut.

Beobachter stellen zudem fest, dass die Kunstsammler nach Berlin zurückkehren, wo die Galerien wie Pilze aus dem Boden schiessen, die Käuferschaft jedoch noch schmerzlich vermisst wird.

Die Erweiterung der Europäischen Union hat die wiedervereinigte Hauptstadt wieder zu einem Zentrum gemacht.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft