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Lesen und Schreiben – keine Selbstverständlichkeit

Nicht für alle ist es einfach, einen Zeitungsartikel zu lesen. swissinfo.ch

Im Kanton Bern können gegen 100'000 Erwachsene nicht richtig lesen und schreiben. Nur 400 von ihnen aber besuchen einen Kurs, um dieses Problem anzugehen.

swissinfo hat mit Rosita Della Morte gesprochen. Sie ist die Leiterin der Geschäftsstelle «Lesen und Schreiben» in Bern.

swissinfo: Jede 6. Person in der Schweiz kann nur schlecht lesen und schreiben, trotz einer neunjährigen obligatorischen Schulzeit. Wie ist das zu erklären?

Rosita Della Morte: Es gibt da wenig zu erklären. Wir stellen einfach fest, dass die Leute, die sich bei uns melden, über wenig Praxis verfügen. Sie haben das Schreiben, häufig auch das Lesen, verlernt.

Wie erreichen Sie Ihr Zielpublikum?

Das ist unser grosses Problem. Wir haben zwar eine gute Präsenz in den öffentlichen Anzeige-Blättern des Kantons und machen teils auch in Vereinen, Schulen und Sozialdiensten von uns reden. Wir stellen fest, dass die Kursteilnehmenden unsere Telefonnummer oft über längere Zeit mit sich herumtragen, bevor sie den Mut finden, uns anzurufen.

Was für Leute besuchen denn die Kurse bei «Lesen und Schreiben» (LundS)?

Rund 30% sind zwischen 25 und 35, ein weiterer Drittel zwischen 35 und 45 Jahren. Der Rest verteilt sich auf die ganz Jungen und auf das ältere Semester.

Es kommen Familienväter und –mütter, die ihren Kindern bei den Hausaufgaben helfen möchten. Zunehmend wird auch die Schwierigkeit bei der Arbeit manifest, im Zusammenhang mit Umstrukturierungen. Angestellte müssen plötzlich am Computer arbeiten oder Rapporte schreiben. Der Leidensdruck der Menschen ist teils sehr hoch.

Die neuen Technologien haben für die Leute aber auch positive Aspekte. Sie bekommen Freude am Internet, schreiben zwar wenig Mails sondern chatten lieber, oder sie suchen sich Angebote für ihre Freizeit im Internet. Ich glaube hingegen kaum, dass das Internet die Lesefähigkeit gross steigert.

Kommen Ihre Kursbesucherinnen und –besucher aus den unteren sozialen Schichten?

Grundsätzlich ja, vor allem aus Handwerker-Kreisen. Laut unserer Statistik haben rund 50% eine abgeschlossene Berufs-Lehre. Alle haben also 9 Jahre Schule absolviert plus mehrere Jahre Gewerbeschule. Einige wenige haben einen Sekundarschulabschluss.

Ein Rektor einer Berufsschule bestätigte mir, dass die jungen Leute gute Fachkompetenz hätten, Lesen und Schreiben aber nur schlecht beherrschten.

Muss das Problem also bereits in der Schule angegangen werden?

Die Prävention ist nicht unser Fachgebiet, wir unterstützen aber alle Organisationen und Institutionen, die im Präventionsbereich aktiv sind. Die PISA-Studie hat da einiges ausgelöst. Wir konnten im letzten Herbst bei der Schuldirektoren-Konferenz einen Vortrag halten, was vor ein oder zwei Jahren aus Mangel an Interesse kaum möglich gewesen wäre.

Das Problem wurde in den letzten 10 Jahren erkannt. Aber besteht es nicht schon seit längerem?

LundS führt seit 16 Jahren Kurse für Erwachsene durch. Man weiss aber, dass es dieses Problem schon immer gegeben hat und wohl auch künftig geben wird.

Ich glaube, dass nicht alle von diesem Problem Betroffenen einen Kurs in Anspruch nehmen wollen. Es gibt viele Leute, die in ihrem Umfeld über genügend Kompetenzen verfügen, um ein sorgenfreies und normales Leben zu führen. Diese Leute brauchen keinen Kurs.

Welches sind die Gründe für Illettrismus?

Einer unter vielen ist die familiäre Situation. Wenn Eltern ihren Kindern die Freude am Lernen nicht vermitteln können, wenn sie keine Vorbilder sind, ist es für das Kind schwierig, den Zugang zu Geschriebenem zu finden. Auch ein schwieriges Umfeld, wo z.B. Alkohol und Gewalt mitspielen, ist für das Kind nicht förderlich.

Oder parteiische Lehrkräfte, die das Kind links liegen lassen. Es kommt auch vor, dass die Lehrer zwar Schreibprobleme feststellen, dem Kind aber trotzdem nicht die erforderliche Hilfe gewähren.

swissinfo-Interview: Gaby Ochsenbein

13 bis 19% der erwachsenen Schweizer Bevölkerung haben Mühe mit Lesen und Schreiben.

Im Kanton Bern sind es rund 100’000.

400 von ihnen besuchen einen Schreibkurs bei LundS.

In Kanton Bern finden in sechs Ortschaften Kurse statt.

LundS wird vom Kanton finanziell unterstützt.

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