Nein zum Europäischen Hochschulraum
Die Studierenden an den Schweizer Hochschulen kämpfen gegen die Studien- und Diplom-Harmonisierung der europäischen Länder.
Hauptgrund: Die Reform, die sich an amerikanischen Modellen orientiert, würde vor allem den Interessen der Wirtschaft dienen.
Nach einigen eher ruhigen Jahren beginnt sich die Schweizer Studentenschaft wieder zu regen. Zwar sind keine Revoluzzer am Werk. Und auch so genannte radikale Elemente, welche die Gesellschaft erneuern wollen, gibt es nicht.
Junge gegen Reformprojekt
Im Gegenteil: Die Jungen an den Hochschulen kämpfen gegen Erneuerung, gegen die Einführung des so genannten «Europäischen Raumes für Hochschulen». Konkret geht es dabei um ein Reformprojekt, das in der Deklaration von Bologna 1999 enthalten ist. Diese Deklaration haben bisher 32 Länder unterzeichnet, unter ihnen auch die Schweiz.
Diese «Charta» für eine gemeinsame Schulung zielt auf eine Harmonisierung der Lebensläufe und der Diplome auf höheren Schulstufen. Das Ganze basiert auf einem Studienmodell in drei Etappen, ähnlich wie es in den USA bereits Alltag ist.
«Bachelor» und «Master»
Die ersten drei Studienjahre führen zum «Bachelor», zwei weitere dann zum «Master». Wer noch weiter machen will, kann danach noch das Doktorat anstreben.
Wie in zahlreichen anderen Bereichen soll dieses Integrationsprojekt nationale Barrieren abreissen und Anreize für Mobilität schaffen. Auch die Zusammenarbeit der Hochschulen würde erleichtert.
Es ist also eine Reform, die – auf den ersten Blick – von den Studentinnen und Studenten begrüsst werden sollte, weil sie Grenzen öffnet. Doch die wichtigsten Studierenden-Organisationen der Schweiz opponieren vehement.
Es gab bereits verschiedene Protestkundgebungen gegen die Hochschulkonferenz und die Konferenz der Universitätsrektoren. Diese beiden Institutionen sollen die Deklaration von Bologna in der Schweiz umsetzen.
Im Dienst der Wirtschaft
«Die neuen Studienzyklen sind so konzipiert, dass sie vor allem den Interessen der Wirtschaft entgegen kommen», sagt Stephan Tschöpe, Kopräsident des «Verbands der Schweizer Studierendenschaften» (VSS). Es sei kein Zufall, dass diese Harmonisierung in der Schweiz von denjenigen Vereinigungen und Parteien unterstützt werde, welche wirtschaftliche Interessen vertreten.
«Wir können feststellen, dass in den Ländern, in denen dieses Modell läuft, die Studenten möglichst schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen. Es wird darauf hingearbeitet, die Studien schon nach drei Jahren abzuschliessen», so Tschöpe. Das läuft vor allem in den USA und Grossbritannien so.
Lieber gesellschaftlich relevant als wirtschaftsbezogen
Ausserdem würde die Reform vor allem Studienrichtungen bevorteilen, welche als «nützlich» erachtet werden, wie Wirtschaftswissenschaften, Recht und Naturwissenschaften.
Tschöpe unterstreicht, dass das Schulwesen der ganzen Gesellschaft zugute kommen soll und nicht nur der Wirtschaft.
Zweiklassen-Studium
Der Dachverband VSS und andere Organisationen wollen nun gegen dieses «Zweiklassen-Modell» kämpfen: Es gäbe den «Bachelor» für den Hauptharst und den «Master» für die Glücklicheren.
Krisiert wird auch, dass es schwieriger würde, sich das Studium nebenbei mitzufinanzieren, weil es viel konzentrierter organisiert wäre. Schweizweit arbeiten rund 70 bis 80% der Studierenden.
Auch die Studentinnen, die ihren Studiengang öfters unterbrechen als ihre männlichen Kollegen, würden durch das Bachelor/Master-System benachteiligt. Die Anzahl Frauen mit Doktoratsabschluss würde damit noch kleiner als heute.
Mobilität: Nur für wenige?
Die Studierenden-Organisationen sehen das Bologna-Modell auch für die verbesserte Mobilität nicht als besonders effektiv an. «Die Mobilität wird einer Elite vorbehalten sein», argumentiert Stephan Tschöpe. «Denn die Stipendien, auch jene der europäischen Erasmus-Programms, reichen nicht einmal für das Nötigste aus.»
Die Rektorenkonferenz empfindet die Vorwürfe als ungerechtfertigt. Die Studierenden wünschen ein Abblocken der Einführung des Projekts und die Eröffnung eines breiten Konsultationsverfahrens.
Konkurrenz über Qualität der Lehrgänge
«Die Rektorenkonferenz verfolgt keine wirtschaftlichen Ziele», erklärt Vizesekretär Raymond Werlen. «Sie möchte hingegen die Transparenz und die Qualität der Studien fördern. Sobald die Hochschulstrukturen harmonisiert sind, werden die einzelnen Hochschulen versuchen, sich über die Qualität ihrer Lehrgänge voneinander zu unterscheiden.»
Gemäss Werlen lässt sich die Zweiklassen-Version noch etwas anpassen. Die Rektorenkonferenz will den «Master» anerkennen, aber den «Bachelor» nicht. Der «Master» würde dann ungefähr dem heutigen Uni-Lizentiat entsprechen.
Bis 2010 eine grundlegende Hochschulreform
Nicht auszuschliessen sei, dass ein Student sich schon nach dem Bachelor dem Arbeitsmarkt zuwenden könne. «Langfristig keine gute Sache, aber kurzfristig von der Wirtschaftswelt gern gesehen», so Werlen.
Die Rektorenkonferenz möchte von der Realisierung des Bologna-Modells profitieren, um eine ganz grosse Reform des Hochschulwesens in der Schweiz bis ins Jahr 2010 voranzubringen. Doch die Auseinandersetzung mit der Studentenschaft hat erst begonnen.
swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander P. Künzle)
Die Deklaration von Bologna ist von 32 europäischen Staaten unterzeichnet worden, auch von der Schweiz.
Demnach würde ein Studium in drei Teile aufgeteilt: 3 Jahre bis zum Bachelor, zwei weitere bis zum Master, und dann eventuell das Doktorat.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch