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Politischer Unterricht unterhaltsam verpackt

Staat spielen im Internet. parlament.ch

Mit einer neuen interaktiven Staatskunde auf dem Internet wollen die Parlamentsdienste den politischen Unterricht in der Schweiz fördern.

Die staatsbürgerliche Erziehung an Schweizer Schulen verliert zusehends an Bedeutung. Gleichzeitig sinkt das politische Wissen und Interesse der Schülerinnen und Schüler.

«In den Lehrplänen der Schweizer Schulen hat die Staatskunde kaum mehr Platz – in einigen kommt sie sogar noch nach der Astrologie», stellt Jakob Fuchs, der Autor des Schulbuch-Klassikers «Der Staat», gegenüber swissinfo fest.

Deswegen gebe es für sein Standardwerk immer weniger Abnehmer. «Viele Lehrer haben mir erklärt, dass sie keine Zeit mehr für Staatskunde hätten», so Fuchs weiter.

Das politische Interesse der Schüler sinke und gleichzeitig stellten diese höhere Ansprüche an den Unterhaltungswert des Unterrichts. Ihnen Staatskunde schmackhaft zu machen, werde immer schwieriger, sagt Fuchs.

Staat spielen

Einer von zahlreichen Versuchen, das politische System der Schweiz auf eine spielerische und attraktive Weise zu vermitteln, ist im letzten Oktober auf der Web-Seite des Schweizer Parlaments online gegangen. Treibende Kraft war Jakob Fuchs.

Die neue Version der interaktiven Staatskunde CiviCampus entwirrt in einer aufwändigen, interaktiven Animation das komplexe Staatsgebilde der Schweiz.

Besonders gelungen ist das Kapitel «Ein Gesetz entsteht». Am Beispiel einer Motion aus dem Ständerat kann man sich hier Schritt für Schritt durch die verschiedenen Phasen klicken, Gesetzesentwürfe anordnen, ablehnen, in die Vernehmlassung oder Differenzbereinigung schicken – wie im richtigen Parlament.

Unterstützung für Schulen

Ihr Zielpublikum seien die Schulen, erklärt Daniel Schweizer, Internet-Leiter bei den Parlamentsdiensten und zuständig für CiviCampus. Viele Lehrer verwendeten die Site 1: 1 im Unterricht, für Hausaufgaben oder für die Vorbereitung von Prüfungen.

«Als wir die erste, statischere Version von 1999 nach fünf Jahren aus Sicherheitsgründen vom Netz nehmen mussten, war der Aufschrei gross», so Schweizer gegenüber swissinfo.

Entpolitisierte Jugend

Dass sich die Jugendlichen in der Schweiz immer weniger für Politik interessieren und die Staatskunde in den Schulen an Bedeutung verliert, zeigt sich auch im internationalen Ländervergleich.

Dort schneiden die Schweizer Schülerinnen und Schüler beim politischen Wissen markant tiefer als der Durchschnitt ab. Mittelmässig ist ihre Fähigkeit, politische Inhalte zu interpretieren.

Nur wenig mehr als die Hälfte von ihnen will später einmal abstimmen und wählen gehen. Damit liegen sie in der Länderstichprobe auf dem letzten Platz.

Das aktuelle Wahlverhalten von jungen Stimmbürgerinnen und –bürgern ist jedoch noch zurückhaltender. Nur ein Viertel aller 18- bis 24-Jährigen beteiligen sich an den Urnengängen.

Die Resultate haben Behörden und Politik alarmiert. Sie fürchten um die Zukunft der Demokratie. Denn gerade die direkte Demokratie der Schweiz stützt sich auf politisch mündige und engagierte Bürgerinnen und Bürger.

Tessinerinnen wissen mehr

«Seit Ende des kalten Krieges haben die Schulfächer Geschichte und Politik in der Schweiz zusehendes an Bedeutung verloren», sagt Daniel V. Moser, Dozent für Geschichtsdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Bern, gegenüber swissinfo.

Die Integration des Geschichtsunterrichts in neue Fächer wie Natur und Umwelt im Kanton Zürich oder Natur-Mensch-Mitwelt im Kanton Bern habe die Position des politischen Unterrichts zusätzlich geschwächt.

Als eigenständiges Fach werde er nur noch in den Kantonen Neuenburg, Waadt und Tessin angeboten, so Moser weiter.

«Deshalb schneiden die Schüler aus der Romandie und dem Tessin im internationalen Vergleich auch deutlich besser ab als ihre Kollegen in der deutschen Schweiz.»

Klar sei, sagt Moser, dass die alarmierenden Ergebnisse der Befragungen eine qualitative Verbesserung des Unterrichts und somit auch der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern erfordere.

Jahr der politischen Bildung

Der Ländervergleich zeigt aber, dass es mit der staatsbürgerlichen Erziehung in der Schweiz nicht zum Besten steht. Ähnliche Probleme haben auch andere, traditionell demokratische Länder.

Als Initiative zur Förderung des demokratischen Wissens, Denkens und Handelns haben die europäischen Länder und die Schweiz im 2005 das Aktionsjahr der politischen Bildung ausgerufen. Das Jahr soll dem «Demokratie-Lernen» zu grösserer Nachhaltigkeit verhelfen.

swissinfo, Nicole Aeby

In der IEA-Studie zur staatsbürgerlichen Bildung von 14-Jährigen in 28 Ländern landete die Schweiz beim politischen Wissen insgesamt auf dem 19. Platz.

Innerhalb dieser Kategorie lagen die Schweizer Schüler:
beim politischen Verstehen markant unter dem Durchschnitt,
bei der politischen Interpretations-Fähigkeit im Durchschnitt,
bei der Bereitschaft zum politischen Engagement ganz unten,

Den politischen Unterricht beschrieben sie eher als unbefriedigend.

Die International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) in Amsterdam führte 1999 die Studie «Civic Education» durch.

In 28 Ländern wurden rund 90’000 14- bis 15-Jährige getestet, darunter 3100 aus der Schweiz.

2003 wurden die Resultate für die Schweiz publiziert.

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