Türe zum Austausch mit Afghanistan steht offen
Eine Schweizer Delegation hat jüngst in Bamian das House of Science eingeweiht. Das Institut ist ein Beitrag der ETH Zürich zum Wiederaufbau des kriegsversehrten Landes.
Mit dem neuen Zentrum soll der wissenschaftliche Austausch gefördert werden, denn im Land am Hindukusch mangelt es an akademischem Nachwuchs.
Nachrichten aus Afghanistan sind meist schlecht: Die Soldaten der Internationalen Schutztruppen (Isaf) sehen sich vermehrten Selbstmordanschlägen und wachsendem Widerstand der Taliban ausgesetzt.
Gute Nachrichten dagegen sind rar. Doch es gibt sie. Eine solche stammt aus Bamian, das 2001 durch die Sprengung der beiden riesigen Buddha-Statuen durch die Taliban traurige Berühmtheit erlangt hatte.
Nach eineinhalbjähriger Bauzeit konnten Vertreter der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) Ende Oktober das House of Science dem afghanischen Minister für höhere Bildung übergeben.
Start eine Frage der Zeit und des Geldes
Im Backsteinkomplex auf dem Campus der Universität Bamian sind das Auditorium und die hellen Seminarräume bereit für die ersten Studenten. Ein modernes Computer-Zentrum sowie Wohnungen für Gastdozenten gehören auch dazu.
«Bereits haben Studenten aus der Schweiz und auch Afghanistan Interesse an Studienaufenthalten bekundet», sagt der Initiant des Projekts, Albert A. Stahel, gegenüber swissinfo.
Laut dem Strategieexperten und ehemaligen Dozenten der ETH und Universität Zürich haben dort die ersten Seminare stattgefunden, die ersten Lizenziatsarbeiten lägen vor.
Zur Aufnahme des Lehr- und Studienbetriebs fehlt es bloss noch am Geld. Stahel ist aber zuversichtlich.
Aus gutem Grund, obliegt doch das Fundraising Olaf Kübler, der bereits als ehemaliger Präsident der ETH Zürich das Projekt gefördert hatte.
Die Lehrtätigkeit im House of Science richtet sich nach den unmittelbaren Bedürfnissen von Land und Leuten: Im Zentrum stehen Landwirtschaft und Bauwissenschaften. Einerseits gehört das Tal von Bamian zu den fruchtbarsten Regionen Afghanistans, andererseits besteht dort ein sehr grosser Baubedarf.
Weitere Schwerpunkte sind Geomatik, Wasserwirtschaft, Ökonomie sowie Politik- und Kulturwissenschaften. Und Pädagogik, da ein grosser Bedarf an Lehrkräften besteht. Aber just diese Berufsgruppe ist in letzter Zeit erklärtes Ziel einer Mordserie der Taliban geworden.
Örtliche Bildungsfeindlichkeit
Der Afghanistan-Kenner Stahel, der das Land bisher knapp 20 Mal bereist hat, sieht darin zwar auch ein Wiedererstarken der Gotteskrieger. Zumindest in gewissen Gebieten ortet er aber Widerstand gegen die Ausbildung überhaupt.
Für das House of Science indes ist er unbesorgt. «Die Provinz Bamian ist sehr ruhig, weil sie von der ethnischen Minderheit der Hazara bewohnt wird, die Schiiten sind und nicht Sunniten wie die Taliban.» Die Offenheit und Friedlichkeit der seit langem verfolgten Hazara war der eine Grund bei der Standortwahl für das House of Science.
Der andere lag im Symbolcharakter Bamians als ehemaliges regionales Zentrum des Buddhismus. «Die Zerstörung der beiden grossen Buddha-Statuen 2001 spielte da auch eine Rolle», so Stahel.
Schweizer Diplomatie gefragt
Der Beitrag der ETH wird im Land sehr geschätzt, wie Stahel aus Gesprächen mit dem Parlamentspräsidenten, dem Minister für höhere Bildung und Gouverneuren weiss. Vor dem Hintergrund der Neutralität der Schweiz, ihrem Einsatz für die Menschenrechte und ihrer Politik der guten Dienste würden aber auch Kontakte auf politischer Ebene gewünscht.
Stahel setzt sich deshalb in Bundesbern ein, um beispielsweise eine Einladung des afghanischen Parlamentspräsidenten in die Schweiz anzuregen; trotz seines weiten Beziehungsnetzes ein hartes Ringen, wie er bemerkt.
Doch schon bald macht er sich wieder Richtung Hindukusch auf: «Inschallah, so Gott will, in der zweiten Februarhälfte, um in Bamian die Abschlussarbeiten zu kontrollieren.»
swissinfo, Renat Künzi
Das House of Science ist die erste Zusammenarbeit einer Schweizer Hochschule mit einer afghanischen Schwesterinstitution.
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) unterhält Projekte von knapp 10 Mio. Fr. jährlich.
Die Schweiz unterstützt ferner die Minenräumung, via Materiallieferungen.
Vier Offiziere der Schweizer Armee leisten bei der Isaf einen Auslandeinsatz.
Das IKRK ist mit 55 Delegierten und 900 einheimischen Mitarbeitern präsent.
Der 63-jährige Albert A. Stahel war während 26 Jahren Dozent für strategische Studien an der Militärakademie der ETH Zürich. Danach war er Professor an der Universität Zürich.
Er ist Gründer des Instituts für strategische Studien in Wädenswil, das er seit Oktober 2006 leitet. Dabei legt er grossen Wert auf unabhängige Forschungen. Schwerpunkte sind internationale Konflikte, Wiederaufbau und das Geschehen in der Schweiz.
Als Spezialist für Guerillakriege befasst er sich seit 1980 mit Afghanistan. Land und Leute sind ihm dabei ans Herz gewachsen, auch aufgrund seiner zahlreichen Reisen ins Land.
2001 sprengten die Taliban die beiden rund 60 Meter hohen Buddhastatuen von Bamian, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehörten.
Forscher der ETH Zürich haben in 3D-Computermodellen die Buddhastatuen aus dem 6. Jh. rekonstruiert.
Ein Wiederaufbau wäre sowohl mit als auch ohne originales Steinmaterial möglich. Die einfachste Variante wäre eine Bildprojektion in der Nacht.
Der Schweizer Dokumentarfilmer Christan Frei hat die Zerstörung der Statuen und deren Folgen in seinem Film «The Giant Buddhas» beleuchtet.
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