«Wir sind gern gesehen im Ausland»
Die Schweizer Schulen im Ausland sind wichtige Botschafterinnen ihres Landes. Und der kulturelle Mix zwischen einheimischer Kultur und Schweizer Schulsystem lässt Reformen im Ausland oft zügiger vorankommen als in der Schweiz selbst.
Der Sekundarlehrer Pascal Affolter ist vor 15 Jahren nach Kolumbien ausgewandert, «für eins, zwei Jahre», wie er sagt.
swissinfo.ch hat den Schulleiter der Schweizer Schule von Bogotá in Schaffhausen getroffen, an der jährlich stattfindenden Konferenz der Schweizer Schulen im Ausland.
swissinfo.ch: Die Schweizer Schule in Bogotá gilt als etwas Besonderes unter den 17 Schweizer Schulen im Ausland. Weshalb?
Pascal Affolter: In Bogotá bieten wir als einzige sowohl eine deutsche als auch eine französische Sektion an. Wir sind eigentlich zwei Schulen unter einem Dach.
Unsere Schüler können mit der schweizerischen Maturität abschliessen und haben Zugang zu den besten Universitäten. Ein grosser Pluspunkt ist die Abschlussmöglichkeit in vier Sprachen: Deutsch, Französisch, Spanisch und Englisch. Das ergibt eine interessante Lehr- und Lernsituation.
Offenbar lösen wir diese Aufgabe ganz gut, gilt doch die Schweizer Schule in Bogota als eine der besten Schulen Kolumbiens.
swissinfo.ch: Was reizt Sie besonders an Ihrer Aufgabe?
P.A.: Jeder Tag ist anders. Wenn ich in der Schweiz weile, habe ich nach zwei, drei Wochen das Gefühl, dass es hier schon sehr gemütlich zu und her geht. Mir fehlen hier zwischendurch mal Salz und Pfeffer, während in Kolumbien auch mal zu viel reingeschüttet wird.
swissinfo.ch: Haben Sie Schwierigkeiten, Schweizer Lehrkräfte zu rekrutieren? Kolumbien geniesst ja, was Kriminalität oder Entführungen anbetrifft, nicht den besten Ruf.
P.A.: Wir konnten bisher alle Stellen problemlos besetzen. Ich kann jedoch nicht voraussagen, wie sich der Lehrer- und Lehrerinnenmangel in der Schweiz auf unsere Nachfrage auswirken wird.
Betreffend Kolumbiens Ruf halte ich fest, dass sich hier in den letzten Jahren viel geändert hat. So zählte man noch vor wenigen Jahren 3500 Entführungen pro Jahr – rund 10 Menschen täglich. Eine unglaubliche Zahl!
Heute finden noch 280 Entführungen pro Jahr statt. Das Land hat in Bezug auf Sicherheit grosse Fortschritte gemacht. Ich habe keine Angst, in Bogota abends auf die Strasse zu gehen. Man meidet zwar gewisse Quartiere, aber das macht man auch in einer europäischen Grossstadt.
swissinfo.ch: Zurück zu Ihrer Schule. Sehen Sie sich wegen der beiden Hauptsprachen mit besonderen Schwierigkeiten konfrontiert?
P.A.: Ich würde nicht von Problemen sprechen. Aber wir haben doch die deutschschweizerische und welsche Kultur, und dazu kommen noch die kolumbianischen Lehrerinnen und Lehrer. Ein spannender Kulturmix.
swissinfo.ch: Die Lehrpläne in der deutschen und der französischen Schweiz unterscheiden sich wesentlich. Kann man diese Gegensätze unter einem Dach vereinigen?
P.A.: Ich nehme jetzt den neuen Lehrplan der französischsprachigen Schweiz mit nach Bogotá. Wir müssen ihn erst mal kennenlernen und an die lokalen Gegebenheiten anpassen. Und wenn dann ca. 2014 der (deutschsprachige) Lehrplan 21 kommt, machen wir das auch so.
swissinfo.ch: Woran orientieren Sie sich heute?
P.A.: An den alten Lehrplänen, die vor mehreren Jahren eingeführt und immer wieder bearbeitet wurden. Und bei der von uns zusätzlich angebotenen zweisprachigen Schweizer Matura laufen wir über das entsprechende Reglement.
Unser Patronatskanton Bern unterstützt uns beim Thema schweizerische Maturität, Da kommt der Experte aus Bern zu uns, besucht die Prüfungen und den Unterricht, unterstützt uns und gibt Tipps.
swissinfo.ch: An den Schulen in der Schweiz fanden in den letzten Jahren viele Veränderungen statt. So gab es neue Vorschriften und Regeln, Schulleitungen wurden errichtet. Schwappte davon auch etwas zu Ihnen nach Kolumbien?
P.A.: Wir sind auf diesem Gebiet der Schweiz voraus, da wir bereits seit Jahrzehnten eigenständige und geleitete Schulen haben. Als Schulleiter habe ich eine administrative und eine pädagogische Leitung zur Seite.
Wir betreuen insgesamt 790 Schüler, die in die beiden Sprachsektionen aufgeteilt sind. Die Kinder kommen bereits im Spielgruppenalter zu uns. Das ist ja auch in der Schweiz ein wichtiges, wenn auch sehr umstrittenes Thema, wie die Diskussion um die Schulharmonisierung Harmos zeigt.
Die Kinder kommen zu uns als Dreijährige. Sie verbringen ein Jahr in der Spielgruppe, zwei Jahre im Kindergarten, dann gibt es sechs Jahre Primar- und drei Jahre Sekundarschule und dann das Gymnasium.
swissinfo.ch: Sie sind als Ganztagesschule organisiert, etwas, das man sich in der Schweiz an vielen Orten wünscht…
P.A.: Ja, das funktioniert bei uns schon seit Jahrzehnten. Wir beginnen relativ früh, um 7 Uhr 10. Nicht nur im Sommer, sondern auch, wenn es kalt ist. Der Unterricht dauert bis zwölf Uhr. Wir haben eine Mittagsstunde. Da wird gespielt oder relaxt, Und dann geht es weiter bis Halb Drei oder sogar bis Viertel nach Vier.
Bogotá ist eine Acht-Millionenstadt. Bis man zuhause ist, steht man sicher noch eine weitere Stunde im Stau, Und auch bei uns gibt es noch Hausaufgaben. Wir haben also eine ziemlich ausgelastete Ganztagesschule.
swissinfo.ch: Die schweizerische Schulpolitik ist, da es auf die Parlamentswahlen zugeht, zu einem Wahlkampfthema geworden. Gefällt Ihnen das?
P.A.: Ich bin schon mal erfreut, dass man endlich mit dem Harmonisieren beginnt. Die unterschiedlichen Schulsysteme mögen geschichtlich gesehen schon mal einen Sinn gemacht haben. Aber wir befinden uns im Zeitalter der Globalisierung.
Und uns, die wir von aussen hinschauen und vielleicht ein wenig globaler denken, erscheint der «Kantönligeist» zum Teil schon ein wenig überholt.
swissinfo.ch: Sie sehen Ihre Schule aber auch als Aussenposten der Schweiz in Kolumbien?
P.A.: Rund 25% unserer Schülerinnen und Schüler sind Schweizer, der Rest sind kolumbianische Kinder. Wir tragen deshalb als Schweizer Schule zur Präsenz der Schweiz im Ausland bei. Weiter bin ich überzeugt, dass wir mit dem Exportgut «Schweizer Bildung» zur Entwicklung Kolumbiens beitragen.
Ich denke, die Schweizer Schulen sind gute Botschafter. Wir sind gern gesehen. Deshalb sollte meiner Ansicht nach das weltweite Netz der Schweizer Schulen noch viel dichter sein.
Rund 6700 Kinder und Jugendliche werden an den 17 Schweizer Schulen im Ausland nach schweizerischen Grundsätzen unterrichtet.
Die Schweizer Kinder, die diese Schulen besuchen, können so einerseits eine Verbindung zur Schweiz behalten, andererseits aber eine multikulturelle Schule besuchen und vom Kindergarten an zweisprachig unterrichtet werden. An allen Schulen kommt noch die englische Sprache dazu.
Diese Kinder können jederzeit ins schweizerische Schulsystem wechseln. Sie können in der Schweiz studieren, falls sie mit der Matur abschliessen oder mit dem International Baccalaureate (IB).
Die 17 Schweizer Schulen im Ausland:
Asien: Singapur, Bangkok
Afrika: Accra
Europa: Catania, Bergamo, Rom, Mailand, Barcelona, Madrid
Mittel- und Südamerika: Mexiko, Querétaro, Cuernavaca, Bogota, Lima, Santiago, Sao Paulo, Curitiba
Die 17 vom Bund anerkannten Schweizer Schulen sind private Einrichtungen der einzelnen Auslandschweizer Gemeinschaften.
Aus der Schweiz erhalten die Schulen von drei Seiten Unterstützung: vom Bundesamt für Kultur, von den Patronatskantonen und vom Komitee für Schweizer Schulen im Ausland.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch