Blonde Haare, Xhakas Umarmung und die Tränen von Vargas
(Keystone-SDA) Von Baku über Rom zurück nach Baku. Von Rom über Bukarest nach St. Petersburg. Von der Enttäuschung über die Verärgerung zur Erlösung. Von der Euphorie zum bitteren Ende. Von Versagern zu Helden.
Die Schweizer Nationalmannschaft erlebte in den letzten drei EM-Wochen quer durch Europa die ganze Palette von Gefühlen. Und am Ende bleibt vor allem dies: grosser Stolz. Ein Rückblick in zehn Episoden.
Shaqiris Auswechslung
Es ist das Bild, das den matten Auftakt der Schweiz symbolisiert. Vladimir Petkovic nimmt gegen Wales Shaqiri vom Platz – beim Stande von 1:0. Er will mit der Herausnahme Shaqiris das Mittelfeld stärken. Der Plan geht nicht auf. Die Schweiz kassiert acht Minuten später den Ausgleich. Der Start ins Turnier misslingt. Und der Offensivstar ist wegen der Auswechslung übel gelaunt.
Blonde Haare
Nach dem 1:1 gegen Wales wird im Team-Camp in Rom ein Coiffeur eingeflogen. Manuel Akanji und Granit Xhaka lassen sich die Haare blond färben. Das mediale Echo und die Verstörung in der Bevölkerung machen daraus eine Affäre von nationaler Tragweite. Die Niederlage drei Tage später gegen Italien tut ihr Übriges. Atmosphärisch ist das Nationalteam an einem Tiefpunkt angelangt.
Rodriguez wird überlaufen
Die Schweizer laufen weniger als der Gegner, und dieser läuft schneller als die Schweizer. Nichts dokumentiert das 0:3 gegen Italien besser als das verlorene Laufduell von Ricardo Rodriguez gegen Gaetano Berardi vor dem 0:1. Die Schweizer stehen vor dem Ausscheiden. Rodriguez passt irgendwie zu dieser Situation. Seit Jahren ein Fixstarter auf ansprechendem Niveau – aber zu Beginn der EM nicht auf der Höhe der Aufgabe.
Seferovics Jubel
Kritisiert, ungeliebt, abgeschrieben: Die Schweiz taumelt vor dem Spiel gegen die Türkei am Abgrund. Das gilt vor allem auch für den in den ersten Spielen enttäuschenden Stürmer Haris Seferovic. Und dann dies: Schon nach sechs Minuten bringt Seferovic die Schweiz in Führung. Er rennt zur TV-Kamera am Spielfeldrand und schreit den ganzen Frust und die ganze Erleichterung aus seinem Körper. Die Schweiz ist zurück im Turnier.
Petkovics Spaziergang
Die Qualifikation für die Achtelfinals hat Ruhe einkehren lassen. Greifbar ist sie beim Anblick von Petkovic, als er sich in Shorts mit seinen Assistenten auf einen gemütlichen Spaziergang über den Golfplatz neben dem Team-Hotel Sheraton Parco de Medici am Römer Stadtrand begibt. In der Ruhe liegt die Kraft, und man kann sich vorstellen, wie in dieser Stunde der Masterplan für den Sieg gegen Frankreich entsteht.
Die Hand auf dem Schweizer Kreuz
Wie gewohnt singen zunächst nur ein paar wenige Spieler die Hymne. Die Nation verhandelt natürlich auch dieses Problem. Zu Sängerknaben wird die multiethnische Auswahl auch später nicht. Aber sie setzt ein Zeichen der Identifikation, indem Xhaka, Shaqiri, Sommer & Co. vor dem Achtelfinal gegen Frankreich beim Abspielen der Hymne die rechte Hand auf das Schweizer Kreuz auf der Brust legen.
Sommers verzögerter Sprint
Vor dem letzten Penalty der Franzosen sagt der Linienrichter zu den Schweizern: «Wenn der Goalie hält, dürft ihr noch nicht jubeln. Erst checkt der VAR, ob alles korrekt war.» Sommer wehrt den Schuss von Kylian Mbappé ab, zögert einen Moment und sprintet dann jubelnd zu den Schweizer Fans. Hinterher die ganze Mannschaft. «Als Yann abwehrte, hatten wir die Worte des Linienrichters sofort wieder vergessen», sagt später Remo Freuler.
Xhakas Umarmung mit Petkovic
Es ist der grösste Sieg ihrer Karriere. Petkovic coacht gegen Frankreich überragend. Xhaka überstrahlt auf dem Platz alle. Nach der Entscheidung fallen sich die beiden, die vom Schweizer Volk oft auch etwas unverstanden sind, in die Arme. In dieser Umarmung steckt viel mehr als nur der Jubel über den historischen Sieg. Es ein Bild, welches die Symbiose zwischen dem Trainer und seinem Captain symbolisiert.
Der Platzverweis von Freuler
Was sagt dieser Blick aus? Entsetzen, Enttäuschung, Schock? Remo Freuler sieht gegen Spanien in der 77. Minute die Rote Karte. Ein Fehlentscheid, da sind sich weltweit alle (Schiedsrichter-)Experten einig. Die Schweizer haben sich ins Spiel zurückgekämpft und den Ausgleich erzielt. Und dann stiehlt ihnen der Schiedsrichter einen Grossteil der Chancen auf die erste Halbfinal-Qualifikation.
Die Tränen von Vargas
Der Jüngste im Team übernimmt Verantwortung. Zweimal geht die Schweiz ins Penaltyschiessen, zweimal tritt der 22-jährige Ruben Vargas an. Gegen Frankreich trifft er mit etwas Glück, gegen Spanien schiesst er über das Tor. Nach dem nächsten spanischen Schuss ist die Schweiz ausgeschieden. Vargas weint auf dem Platz herzzerreissende Tränen und lässt sich auch von Gegenspieler Thiago Alcantara nicht trösten.