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Botschafter Keller geht nach Tirana

Männer
Der Schweizer Botschafter Hans Keller (rechts) überreicht seine "Lettres de créance" an das albanische Staatsoberhaupt Haxhi Lleshi. Diplomatische Dokumente der Schweiz, Online-Datenbank

Das kommunistische Albanien wurde von der Schweiz diplomatisch lange nicht anerkannt. Erst der Eigensinn eines Schweizer Diplomaten führte zur Aufnahme der Beziehungen – vor 50 Jahren.

Die Schweiz strebte auch im Kalten Krieg die Universalität ihrer diplomatischen Beziehungen an und anerkannte im Zug der Dekolonisierung nach dem Zweiten Weltkrieg fast alle neuen Staaten Afrikas und Asiens. Einzig mit den «geteilten Staaten» – also Deutschland, Korea, Vietnam – gestaltete sich das Verhältnis diffiziler.

Thomas Bürgisser ist Historiker bei der Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz. Die zitierten Dokumente sind online verfügbarExterner Link.

Dennoch entschied der Bundesrat im Februar 1963 lapidar: «Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Albanien stellt sich zurzeit nicht.» Schweizer Bürgerinnen und Bürger lebten hier seit 1947 keine mehr, und materielle Interessen gab es in dem isolierten, mausarmen Balkanland keine: Der Handelsaustausch mit den «Skipetaren» war «zu völliger Bedeutungslosigkeit herabgesunken».

Vielmehr riskierte man mit einer Geste gegenüber dem kommunistischen Regime von Enver Hoxha «in der schweizerischen Öffentlichkeit unnötig Aufsehen [zu] erregen» oder Moskau zu verärgern, das mit Tirana auf Kriegsfuss stand. So blieb die Volksrepublik Albanien bis 1970 der letzte ungeteilte Staat, mit dem Bern keine offiziellen Kontakte unterhielt.

Grosse Sprachgruppe in der Schweiz

Heute haben über eine Viertelmillion Menschen, die in der Schweiz leben, Albanisch als Hauptsprache. Nach den Landessprachen Deutsch, Französisch, Italienisch sowie Englisch und Portugiesisch ist es die sechstgrösste Sprachgruppe in der Schweiz. Allerdings stammen nur rund 2000 dieser Albanerinnen und Albaner aus Albanien selbst. Die grosse Mehrheit ist aus den jugoslawischen Nachfolgestaaten Kosovo und Nordmazedonien zugewandert.

Aus Jugoslawien rekrutierten Schweizer Unternehmen seit den 1960er-Jahren zahlreiche Saisonniers – auch aus den strukturschwachen Regionen im Süden des sozialistischen Vielvölkerstaats. Während sich Tito-Jugoslawien im Kalten Krieg dem Westen gegenüber liberal und aufgeschlossen gab, hatte Albanien, so eine Analyse des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), «die Ideen des Kommunismus mit dem ganzen, völlig unintellektuellen Fanatismus und Impetus einer archaischen Stammesreligion übernommen».

Diktator Hoxha lehnte seine Volksrepublik stark an die UdSSR an. Gegenüber den Nachbarn Griechenland und Jugoslawien herrschte misstrauische Feindschaft. Nach Stalins Tod verschlechterten sich gegen Ende der 1950er-Jahre die Beziehungen zu Moskau. Albanien wurde nun zum engen Bündnispartner des kommunistischen China.

In den 1960er-Jahren war die albanische Botschaft in Beijing entsprechend gewichtig besetzt. Hoxhas Diplomaten suchten damals auch vermehrt Kontakte zu anderen «bündnisfreien» Staaten, etwa den europäischen Neutralen. So äusserten sie gegenüber dem Schweizer Botschafter Hans Keller mehrfach den Wunsch, den bilateralen Beziehungen «einen etwas offizielleren Charakter zu verleihen».

Die Albaner waren bei ihm an der richtigen Adresse. Der aus Zürich stammende Ökonom war während des Zweiten Weltkriegs als Quereinsteiger in den diplomatischen Dienst geschlittert. Er sah sich – durchaus in Abhebung von einigen seiner Berufskollegen – als Mann der Tat. Oftmals hatte Keller in seiner Karriere eigentliche Pionierarbeit geleistet. So war er 1956 mit der Eröffnung einer schweizerischen Gesandtschaft in Ceylon betraut.

Zurück in Bern begründete er 1960 als Delegierter für die technische Zusammenarbeit mit einem kleinen Team die heute grösste Abteilung des EDA, die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Obwohl eigentlich die schweizerische Vertretung in Moskau dafür zuständig war, knüpfte Botschafter Keller von Beijing aus auch erste Kontakte zur Mongolei und drängte auf eine Anerkennung des zentralasiatischen Steppenstaats.

Ausgebremst

Im Fall der Mongolei bremste die «Zentrale» in Bern Kellers Aktivismus aus. Zwar verkündete der Bundesrat im Mai 1964 seine Bereitschaft, mit der Regierung der Mongolischen Volksrepublik diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Die Landesregierung beschloss jedoch nicht Keller, sondern den Schweizer Botschafter in Moskau in Ulaanbaatar akkreditieren zu lassen.

«Ich kann mir vorstellen, dass Du Dich bei der Lektüre unseres Communiqués mit einem Hupf bereits zwischen zwei Kamelhöckern in der Wüste Gobi reiten sahst!», schrieb ein leitender Beamter des Aussendepartements mitfühlend. Nach dieser Enttäuschung eröffneten für Keller die albanischen Avancen nun die Möglichkeit, einen weiteren blinden Fleck auf der Karte der Schweizer Diplomatie aufzudecken.

Nesti Nase, der nach seiner Tätigkeit als Botschafter in China 1966 zum albanischen Aussenminister befördert wurde, lud Keller ein, «ihn später einmal in Tirana zu besuchen, sei es als Tourist oder vielleicht in anderer Eigenschaft, ‹wenn es dann so weit sein wird'».

Gewiss hatte Keller Nase erzählt, dass er die Küstengebiete des Balkans «und auch abgelegene Gebirgsgegenden, teilweise zu Pferde» bereits auf der abenteuerlichen Hochzeitsreise mit seiner Frau in den 1930er-Jahren erkundet hatte.

Mit dieser Geschichte konnte er jedenfalls während seines Antrittsbesuchs bei Jugoslawiens Staatschef Tito Sympathie erheischen, denn Botschafter Keller war 1967 von Beijing aus wunschgemäss nach Belgrad versetzt worden.

Kompetenzgerangel

Ein Besuch im benachbarten Tirana drängte sich nun geradezu auf. «Es geht schon wieder los!» ächzten die Berner Beamten, die Kellers eigensinnige Kompetenzermächtigungen bereits von der Etablierung der Beziehungen zu Ulaanbaatar her kannten. Sondierungen gegenüber Albanien seien nicht Aufgabe der Botschaft in Belgrad: «Zuständig ist Wien!»

Beharrlich bearbeitete Keller «Bern» mit seinen Argumenten soweit, bis das EDA sich für den Austausch diplomatischer Vertreter mit Albanien erwärmen konnte. Vorerst wollte man aber die Botschaft in Rom mit dieser Aufgabe betrauen. Kurzerhand reiste Keller im Juni 1969 mit seiner Frau «privat» nach Albanien.

Im Gespräch mit seinem Gastgeber, Aussenminister Nase, gab er die grundsätzliche Bereitschaft zur Beziehungsaufnahme bekannt. Vor der Rückkehr nach Belgrad machte das Ehepaar Keller noch einen Ausflug in die Hafenstadt Durrës, besuchte eine moderne Kunstdüngerfabrik sowie das grösste Textilkombinat Albaniens.

Nun setzte Keller alle Hebel in Gange: Mit seinem albanischen Konterpart in Belgrad versuchte er ein Kompensationsgeschäft für den schweizerischen Zuchtviehexport aufzugleisen. Während eines Besuchs in Basel holte er bei der Geschäftsführung der Ciba das Statement ein, die chemische Industrie sei am albanischen Absatzmarkt interessiert, das Fehlen offizieller Beziehungen aber ein Hindernis.

Keller weibelte zudem eifrig bei diversen Botschafterkollegen für das Projekt. Mit dem künftigen Bundesrat Georges-André Chevallaz konnte er auch den Präsidenten der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats davon überzeugen, dass der richtige Zeitpunkt gekommen sei.

Endlich am Ziel

Und diesmal hatte Keller vorgesorgt: Explizit stand im Antrag, der das EDA dem Bundesrat im Juni 1970 unterbreitete, dass auf Grund seiner guten Kontakte mit Aussenminister Nase der Botschafter in Belgrad in Albanien akkreditiert werden solle. Vor 50 Jahren war es dann soweit: Am 2. Oktober 1970 überreichte Hans Keller dem albanischen Staatsoberhaupt Haxhi Lleshi im Brigadepalast in Tirana – «in diesem merkwürdigen kleinen Lande» – sein Beglaubigungsschreiben.

Eine mögliche Moral zu dieser Episode lieferte Franz Blankart. Der spätere Staatssekretär des Bundesamts für Aussenwirtschaft gratulierte Keller zu dessen neuerlicher «diplomatischen Pionierleistung», die «von der Öffentlichkeit wie auch offenbar von Moskau kritiklos akzeptiert worden» sei.

«Dies ist ganz wesentlich Ihr Verdienst und zeigt, dass – entgegen der oft vertretenen Meinung – einem Botschafter die Möglichkeit des Feed-back, d.h. die Einflussnahme auf die Entscheide der Zentrale, durchaus gegeben ist», so Blankart, Engagement und Eigensinn vorausgesetzt.

Unter Leitung der Berner Historikerin Franziska Anna Zaugg gab die schweizerische Vertretung in Tirana eine Broschüre zu 50 Jahren diplomatische Beziehungen Schweiz–AlbanienExterner Link heraus.

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