2007 – ein bewegtes Jahr im Bundeshaus
Das Jahr 2007 brachte der Schweizer Politik einige Überraschungen. Der letzte Paukenschlag war die Abwahl von SVP-Bundesrat Christoph Blocher aus der Regierung.
Ungewöhnlich aggressiv war vorher bereits der Wahlkampf für die Parlamentswahlen. Die SVP ging ein weiteres Mal als Siegerin hervor. Nach der Abwahl ihres Bundesrats kündigte sie den Gang in die Opposition an.
Nach den Eidgenössischen Wahlen vom 21. Oktober 2007 schien alles entschieden. Die eindeutige Siegerin der Wahlen war die Schweizerische Volkspartei (SVP). Sie konnte ihren Wähleranteil zum fünften Mal in Folge steigern. Er kletterte auf 29%.
Ihre Vorherrschaft im bürgerlichen Lager schien unumstritten. Die SVP könne Regierung und Parlament ihren Stempel aufdrücken, glaubte man.
Mit dem SVP-Triumph einher ging der Fall der Sozialdemokraten. Ihr Wähleranteil sank unter 20%. Dies bedeutete fast 4% weniger als bei den Wahlen von 2003.
Die Niederlage der SP wurde auf der Linken nur teilweise durch die Gewinne der Grünen wettgemacht. Diese erreichten einen Wähleranteil von knapp 10%.
Cleverer Wahlkampf
Der Wahlkampf war für Schweizer Verhältnisse äusserst aggressiv gewesen. Die SVP hatte ihre Kampagne geschickt mit modernsten Kommunikationsmethoden geführt. Die national-konservative Partei hielt sich nicht an Regeln, die normalerweise als «politisch korrekt» gelten.
Am meisten gab das SVP-Wahlplakat zu reden, auf dem weisse Schäfchen ein «schwarzes Schaf» mit einem Tritt aus der Schweiz werfen. Das als «ausländerfeindlich» kritisierte Plakat löste selbst im Ausland negative Reaktionen aus, während es bei den SVP-Wählern gut akzeptiert war.
Auch der personalisierte Wahlkampf der SVP mit dem Slogan «Blocher stärken, SVP wählen» erwies sich als Erfolg. Mit diesem Motto konnten sogar Wählerinnen und Wähler an Orten gewonnen werden, an denen die Partei lokal nicht aktiv ist.
Keine Zweifel an Wiederwahl Blochers
Nach den Wahlen waren sich die Kommentatoren weitgehend einig, dass der SVP-Sieg automatisch eine Bestätigung von Justizminister Christoph Blocher im Bundesrat zur Folge haben würde. Der unbestrittene Leader der Partei war 2003 auf Kosten der Christlichdemokratin Ruth Metzler in die Landesregierung gewählt worden.
Praktisch niemand hatte gemerkt, dass hinter den Kulissen diverse Manöver begonnen hatten. Bei den politischen Parteien der Mitte kam Bewegung auf, und die Anti-Blocher-Koalition wurde stärker, wie zweite Wahlgänge in einigen Kantonen zeigten.
Der zweite Wahlgang für den Ständerat (kleine Parlamentskammer) widerspiegelte die Schwierigkeiten der SVP, ihre Kandidaten bei Wahlen nach dem Majorzsystem durchzubringen. Grund: Bei dieser Art von Wahlen ist die Unterstützung von anderen Parteien entscheidend.
Anfang Dezember kündigten die Grünen – gestärkt durch ihren Wahlerfolg – eine Kandidatur bei den Bundesratswahlen an. Der Grüne Ständerat Luc Recordon sollte als Gegenkandidat zu Christoph Blocher aufgestellt werden. Diese angekündigte Kandidatur war zwar aussichtslos, doch vielleicht half sie mit, die Aufmerksamkeit von anderen Entwicklungen abzulenken.
Überraschung am 12. Dezember
Denn hinter den Kulissen tüftelten Sozialdemokraten, Grüne und Christlichdemokraten an einer Allianz, die zur Abwahl des amtierenden Justiz- und Polizeiministers führen sollte.
Der Plan wurde im kleinen Kreis geschmiedet, ohne Wissen der Presse. Niemand erwartete daher den Paukenschlag vom 12. Dezember, als die Stimmenzahl von Eveline Widmer-Schlumpf im zweiten Wahlgang diejenigen ihres Parteikollegen Christoph Blocher übertraf.
Als Widmer-Schlumpf ihre Wahl einen Tag später annahm, kündigte die SVP umgehend den Gang in die Opposition an. Die beiden SVP-Regierungsmitglieder (Samuel Schmid und Eveline Widmer-Schlumpf) wurden aus der SVP-Fraktion ausgeschlossen.
Parlament spielt seine Macht aus
Die Frage, wie die SVP ihre Rolle als Oppositionskraft versteht und wahrnehmen will, wird zweifellos entscheidend sein für die Politik in der nächsten Legislaturperiode.
Nachdem die SVP zuerst harte Töne angeschlagen hatte, scheint sie inzwischen die Meinung geändert zu haben. Im Schweizer Politsystem kann eine Partei, die 29% der Wählerschaft repräsentiert, nicht nur auf Opposition machen.
Zweifellos hat die jüngste Regierungswahl die Macht des Parlaments gestärkt. Die SVP hatte ihrerseits vor allem auf Instrumente der direkten Demokratie (Volksinitiativen, Referenden) gesetzt, um politischen Druck aufzusetzen.
swissinfo, Andrea Tognina
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Am 21. Oktober 2007 waren die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger aufgerufen, den Nationalrat (Volkskammer) und einen Grossteil des Ständerats (Kantonskammer) neu zu wählen.
Die SVP ging mit einem Wähleranteil von 29% (+2,3% gegenüber 2003) als grosse Siegerin aus den Wahlen hervor. Die Sozialdemokratische Partei (SP) sackte auf 19,5% (–3,8) ab und ist somit die grosse Verliererin.
Im politischen Zentrum vermochte die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) ihren langjährigen Negativtrend zu stoppen. Sie erreichte 14,6% (+0,2%). Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) hingegen verlor nochmals 1,7% und kam auf 15,6% Wähleranteile.
Die Grünen schnitten gut ab und erreichten 9,6% (+1,9%).
Im November fanden in einigen Kantonen, in denen die Kandidaten für den Ständerat keine absoluten Mehrheiten erreichten, zweite Wahlgänge statt.
Vollkommen überraschend wurden im Kanton Waadt die Sozialdemokratin Geraldine Savary und der Grüne Luc Recordon gewählt.
In Zürich siegte die Grün-Liberale Verena Diener im Duell mit SVP-Präsident Ueli Maurer. Und in St.Gallen verwiesen FDP-Politikerin Erika Forster und CVP-Mann Eugen David den jungen SVP-Vizepräsidenten Toni Brunner auf die Plätze.
Am 12. Dezember versammelten sich beide Kammern des Parlaments (Bundesversammlung), um die Landesregierung (Bundesrat) zu wählen. Alle bisherigen Minister wurden bestätigt, mit Ausnahme von Christoph Blocher, dem Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements.
An Stelle Blochers wurde überraschend Eveline Widmer-Schlumpf, die SVP-Finanzdirektorin des Kantons Graubünden, in den Bundesrat gewählt.
Nach einem Tag Bedenkzeit nahm Widmer-Schlumpf die Wahl an. Die SVP-Fraktion kündigte den Gang in die Opposition an.
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