«Abkommen geht weit über Bankgeheimnis hinaus»
Das Doppelbesteuerungs-Abkommen ist zum Modewort geworden. Doch wo trifft Besteuerung auf das Bankgeheimnis und den Finanzplatz? Antworten dazu im Interview mit dem Steuerrechtsexperten Robert Waldburger von der Uni St. Gallen.
Seit die Schweiz im Frühling von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf die ‹graue Liste der Steueroasen› gesetzt wurde, steht der Begriff Doppelbesteuerungs-Abkommen (DBA) im Zentrum des Interesses.
DBA gelten als das Instrument, aus dieser Liste wieder gestrichen zu werden. Der Steuerrechtsprofessor Robert Waldburger, der selber während rund zehn Jahren für die Aushandlung und Anwendung solcher DBA verantwortlich war, erklärt die Zusammenhänge zwischen Steuerabkommen, Finanzplatz und Bankgeheimnis.
swissinfo.ch: Was ist genau mit einem DBA gemeint?
Robert Waldburger: Ein DBA ist ein Abkommen ‹zur Vermeidung von Doppelbesteuerung›.
Das DBA regelt das Besteuerungsrecht, in welchen Fällen welcher Vertrag für welche Einkommensteile gilt. Ohne solche Abkommen würden sich die Besteuerungsbefugnisse der Staaten in vielen Fällen überschneiden und es könnten daraus Doppelbesteuerungen resultieren.
Traditionellerweise vertrat die Schweiz die Auffassung, die DBA hätten nur diese eine Funktion, die doppelte Besteuerung zu vermeiden.
In der OECD jedoch gilt ein DBA darüber hinaus als ‹Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung und zur Verhinderung von Steuerflucht›. Dagegen hat sich die Schweiz immer gewehrt. Der Hauptartikel zur Vermeidung der Steuerflucht ist dann eben der berühmte Artikel 26 über den Informations-Austausch.
swissinfo.ch: Ist dieser Informations-Austausch älter als die OECD?
R.W.: Die OECD wurde 1960 gegründet. Schon 1951 hatte die Schweiz ein DBA mit den USA abgeschlossen. Bei Betrugsfällen und dergleichen gewährte die Schweiz den Amerikanern immer schon Informations-Austausch.
Bei diesem Austausch gibt es zwei Arten. Eine erste betrifft Informationen zur richtigen Anwendung des Abkommens. Die zweite bezieht sich auf Informationen zur richtigen Durchsetzung des internen Rechts des anderen Vertragspartners.
swissinfo.ch: Und bei der Letzteren liegt wohl der Hase im Pfeffer. Worin unterscheiden sich diese Arten?
R.W.: Die erste Art hat die Schweiz immer gewährt – selbst wenn das Abkommen keine entsprechende Klausel enthält.
Dazu ein Beispiel: Ein Schweizer besitzt eine Firma in Deutschland und zieht nach Monaco. Er erhält eine Dividende dieser Firma. Er hätte somit keinen Anspruch mehr, das deutsch-schweizerische DBA in Anspruch zu nehmen.
Er tut nun so, als hätte er seinen Wohnsitz weiterhin in der Schweiz und stellt den deutschen Behörden einen Antrag. Wenn diese Behörden Zweifel hegten, dann konnten sie immer schon die Schweiz fragen, ob diese Person tatsächlich in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtig und damit abkommensberechtigt ist oder nicht.
Und in diesem Fall würde die Schweizer Behörde der Deutschen antworten, dieser Mann sei in der Schweiz nicht unbeschränkt steuerpflichtig.
Beim Bankgeheimnis jedoch und auch sonst beim Informationsaustausch wollen die ausländischen Behörden häufig Informationen, die nichts mit dem DBA zu tun haben, sondern mit der richtigen Besteuerung eines Steuerpflichtigen gemäss ihrem internen Recht. Das betrifft dann eben die zweite Art des Informations-Austauschs.
Und hier hat die Schweiz – mit Ausnahme der USA – bis 2003 keinem Staat Steuerinformationen über ausländische Steuerpflichtige gegeben.
swissinfo.ch: Wo liegt der steuerliche Bezug zum Bankgeheimnis?
R.W.: Wenn die Schweiz keine Informationen für die Durchsetzung des internen Rechts des Partnerstaates gewährte, bezog sich dies auch auf Bankinformationen.
Diese Tatsache wird häufig als das steuerliche Bankgeheimnis bezeichnet. Dies haben die Vertragsstaaten der Schweiz während Jahrzehnten akzeptiert, sonst hätten sie schon viel früher darauf beharrt, den Informationsaustausch so zu regeln, wie es der Bundesrat am 13. März 2009 beschlossen hat.
Bis in die jüngste Vergangenheit haben unsere Vertragspartner akzeptiert, dass die Schweiz keine Informationen gibt – es sei denn, es liegt Steuerbetrug und nicht eine blosse Steuerhinterziehung vor, oder die Informationen dienten der richtigen Anwendung des DBA.
Sie schlossen die DBA auf der Basis der Anerkennung des Bankgeheimnisses im Steuerbereich ab. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Es braucht aber keine neuen DBA, sondern die Revision der bestehenden.
Der Bundesrat hat sich am 13. März verpflichtet, die DBA so zu revidieren, dass die Schweiz künftig Informationen zur richtigen Durchsetzung des ausländischen Steuerrechts gewährt – was weit über das Bankgeheimnis hinausgeht.
Aber auch bei Steuerhinterziehung wird künftig informiert. Und das ist Hauptgegenstand der laufenden Revisionsverhandlungen.
swissinfo.ch: Wie wird sich das auf den Finanzplatz auswirken? Das Bankgeheimnis, also der gesetzliche Schutz der Kundendaten, galt bisher als Wettbewerbsvorteil für Schweizer Banken.
R.W.: Bezüglich Amtshilfe erreichen wir mit der Umsetzung der Zusage der Regierung den OECD-Standard.
Wenn die G20-Staaten das, was sie angekündigt haben, auch umsetzen, und von allen Staaten die OECD-Standards verlangen, dann wird die Schweiz keine Konkurrenznachteile haben.
Aber sie hat einen Konkurrenzvorteil aufgegeben, den sie bisher gegenüber gewissen anderen Finanzplätzen hatte. Doch die Auswirkungen werden nicht sehr gravierend sein.
Alexander Künzle, swissinfo.ch
Robert Waldburger ist Professor für Steuerrecht an der Uni St. Gallen.
Er ist sowohl Jurist als auch Ökonom.
In den 1980er-Jahren war Waldburger bei der Eidg. Steuerverwaltung Mitarbeiter in der Abteilung für internationales Steuerrecht und Doppelbesteuerungs-Abkommen.
In den 1990er-Jahren war er Fachverantwortlicher für Internationales Steuerrecht bei der Revisuisse-Gruppe und Sitzleiter bei Arthur Andersen.
1994 kam die Berufung als Ordinarius an die Uni St. Gallen, wo er auch Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft und Finanzrecht ist.
Bis 2007 war er als Vizedirektor der Eidg. Steuerverwaltung Delegierter für internationale Steuerverträge und Chef der Abteilung für internationales Steuerrecht und Doppelbesteuerungssachen.
Er ist Mitglied der UNO-Expertengruppe für internationale Zusammenarbeit in Steuersachen und unabhängiger Berater von PricewaterhouseCoopers, Zürich.
Um möglichst schnell von der «grauen Liste» der OECD gestrichen zu werden, braucht die Schweiz den neuen OECD-Standards angepasste Doppelbesteuerungs-Abkommen (DBA) mit aufgeweichtem Bankgeheimnis.
Zur Zeit verhandelt die Schweiz deshalb mit verschiedenen EU-Ländern separat (bilateral) über neue DBAs.
Neun sind unter Dach. Um von der Liste zu kommen, braucht es zwölf neue DBAs.
Nun schlägt der EU-Botschafter in der Schweiz, Michael Reiterer, eine multilaterale, aus seiner Sicht einfachere Variante vor: Ein einziges DBA Schweiz-EU.
Dieses müsste nur von einem ausländischen Parlament ratifiziert werden, nämlich vom europäischen. Es würde dann für alle 27 Länder gelten.
Laut Hans-Rudolf Merz ist jedoch die Regelung der Besteuerungsrechte von Land zu Land unterschiedlich. Ausserdem wolle die Schweiz in den DBA-Revisionen je nach Land auch andere Fragen regeln. (Die Volkswirtschaft, Juni-Ausgabe 2009)
Doppelbesteuerungs-Abkommen sind völkerrechtliche Verträge.
Zuerst werden sie vom Bundesrat unterzeichnet, dann vom Parlament genehmigt.
Als Staatsverträge können sie dem Referendum unterstehen.
Dem obligatorischen Referendum, wenn es zum Beispiel um Beitritte zu supranationalen Organisationen geht.
Dem fakultativen Referendum bei ausgewählten Staatsverträgen, die «wichtige rechtssetzende Bestimmungen enthalten» (Bundesverfassung).
Ob und inwieweit DBA dieser Regelung unterstehen, ist eine offene Rechtsfrage (Die Volkswirtschaft, Juni-Ausgabe 2009).
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