Abschieds-Szenario für das Bankgeheimnis
Die Abschaffung des Bankgeheimnisses wäre eine Gesetzesänderung wie jede andere auch, sagt der Politologe Georg Lutz. Falls die Frage im Bundeshaus aufs Tapet kommt, rechnet er aber mit einem jahrelangen Ringen.
Kuhschweizer, sagen die Deutschen, wenn sie sich über ihre südlichen Nachbarn lustig machen wollen. Jetzt macht sich Deutschland an die Schlachtung einer der letzten heiligen Kühe der Schweiz: Des Bankgeheimnisses.
Berlin wird eine CD mit gestohlenen Daten von rund 1500 deutschen Steuerflüchtlingen kaufen. Die «Rückholung» um den Preis von 2,5 Mio. Euro soll mehrere hundert Millionen Euro in die leere Staatskasse spülen, hofft das Finanzministerium in Berlin.
Der politisch umstrittene Entscheid an der Spree ist der letzte Akt einer Reihe von Angriffen ausländischer Staaten auf das Schweizer Bankgeheimnis.
Massierte Angriffe
Zuvor hatte die OECD die Schweiz auf eine Graue Liste von Steueroasen gesetzt und so zum Abschluss neuer Doppelbesteuerungsabkommen gezwungen.
Auch im Steuerstreit zwischen der UBS und den USA hat die Schweiz das Bankgeheimnis in seiner Substanz nachhaltig aufgweicht.
Frankreich und Italien stiessen nach und setzten ihrerseits zur Rückholung von Steuerfluchtgeldern aus der Schweiz an.
Schnelle Kehrtwende
Noch keine zwei Jahre sind es her, dass Finanzminister Hans-Rudolf Merz seinen europäischen Amtskollegen kämpferisch entgegenhielt, «am Bankgeheimnis werdet Ihr Euch die Zähne ausbeissen».
Heute schliesst derselbe Hans-Rudolf Merz selbst die europäische Maximalforderung nach einem automatischen Informationsaustausch nicht mehr aus – vor der Aufnahme jeglicher Verhandlungen.
Wenn die Neue Zürcher Zeitung als angesehenste Zeitung des Landes schreibt, dass die Schweizer Regierung mit dem Rücken zur Wand stehe, dann ist die Lage unter der Bundehauskuppel wohl sehr ernst.
Da werden bisher als abwegig taxierte Fragen auf einmal diskutabel. Wie etwa diejenige, wie die Beerdigung des Bankgeheimnisses denn konkret abgewickelt werden könnte.
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Juristischer Courant normal
«Das Bankgeheimnis ist auf Bundesebene geregelt, also muss es auch dort geändert werden», sagt der Berner Politologe Georg Lutz, der an der Universität Lausanne lehrt.
Entweder reicht also ein Parlamentarier oder eine Parlamentarierin einen Vorstoss ein, mit dem Ziel, das Bankgeheimnis aus dem Bankengesetz zu streichen. «Oder der Bundesrat bringt selber eine Vorlage ins Parlament», sagt Lutz.
«Die juristischen Hürden wären bei einer Abschaffung geringer als beispielsweise bei Massnahmen gegen Kampfhunde, da Letzteres Sache der Kantone ist», sagt Lutz.
Die Knacknuss
Entscheidend sei aber die Frage, ob der politische Wille gross genug sei. Als Knackpunkt ortet Lutz – immer noch gemäss Abschaffungs-Szenario – die Aufhebung des Unterschieds zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug. Erstere ist immer noch straffrei, während nur letzterer verfolgt und bestraft wird.
Die Konsequenzen im Fall eines Abschieds sind für Lutz klar: Steuerhinterziehung verliert den Nimbus eines Kavalierdelikts und wird strafbar wie der Steuerbetrug.
Winkt das Parlament gemäss dem Szenario «Beerdigung» die Gesetzesänderung durch, würden die bürgerlichen Parteien das Referendum ergreifen. Das gilt zumindest für die Schweizerische Volkspartei (SVP) und den Freisinn (FDP), wie SVP-Chefdenker Christoph Blocher und FDP-Präsident Fulvio Pelli am Freitag klarmachten.
Rückhalt für Steuerbetrüger schwindet
Kehren wir nach dem Ausflug in die mögliche nähere Zukunft wieder auf den Boden der Realität zurück. Dazu gehören die neuen Doppelbesteuerungsabkommen, die unterzeichnet in einer Schublade im Schweizerischen Finanzministerium liegen. Nächste Station ist das Parlament, das diese absegnen muss.
Hier liegen die Referendumsdrohungen seitens der SVP konkret auf dem Tisch. Doch Lutz ist sich nicht sicher, ob die Rechnung der rechtsbürgerlichen Partei aufgeht, denn die Akzeptanz von Steuerbetrug als Kavaliersdelikt sei in der Bevölkerung rapide gesunken.
«Man muss schon sehr viel Geld haben, damit sich Steuerhinterziehung lohnt, und das trifft auf die grosse Masse nicht zu», sagt Lutz. Als weiteres Indiz für seine Zweifel wertet er das Nein der Zürcher Stimmbevölkerung gegen die Bevorzugung vermögender Ausländer mittels pauschaler Steuerabkommen vor einem Jahr.
Auch wenn die Volksmeinung gegenüber Steuersündern tatsächlich kippt, glaubt der Politologe nicht an einen raschen und schmerzlosen Abschied vom Bankgeheimnis. Die Aufhebung der Differenzierung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug als juristischem Kunstgriff wird «eher mehrere Jahre dauern als Monate» dauern, glaubt Lutz.
Renat Künzi, swissinfo.ch
1935 trat das Bankengesetz mit dem Bankgeheimnis in Kraft – oppositionslos.
Das Bankgeheimnis war im Bankengesetz nur «Nebenprodukt», zentral war die stärkere Kontrolle der Banken.
Diese wurde auf öffentlichen Druck nötig, nachdem der Bund 1933 in der Weltwirtschaftskrise die damalige Schweizerische Volksbank mit 100 Mio. Franken retten musste.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verlangten die USA die Herausgabe deutscher Vermögen an die Siegermächte.
Im Washingtoner Abkommen 1946 konnte die Schweiz diesen Angriff abwehren.
Ab den 1960er-Jahren wird das Bankgeheimnis zur Stütze des Finanzplatzes Schweiz, indem Diktatoren und Potentaten ihre geraubten Vermögen auf Schweizer Konti platzierten (z.B. Mobutu, Duvalier, Marcos, Abacha).
Die OECD kritisierte, dass die Schweiz Steuerflüchtlinge zu stark schütze.
Die Schweiz wies den Vorwurf mit dem – heute widerlegten – Argument zurück, dass das Bankgeheimnis geschaffen wurde, um jüdische Vermögen vor den Nazis zu schützen.
In der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 wiederholt sich die Geschichte: Der Bundesrat musste die Grossbank UBS vor dem Untergang retten – mit über 60 Mrd. Franken.
Die OECD setzt die Schweiz auf eine graue Liste von Steueroasen. Die Schweiz muss die OECD-Richtlinien übernehmen und mit den Partnerländern neue Doppelbesteuerungsabkommen ausarbeiten.
Die USA lancieren im Zug der Steueraffäre USA vs. UBS einen erfolgreichen Angriff auf das Bankgeheimnis: Die Schweizer Behörden müssen Washington die Dossiers von knapp 4500 US-Bürgern aushändigen, die den US-Fiskus mit Hilfe der UBS hinters Licht geführt hatten.
Italien erhöht mit einer Amnestie den Druck auf die Schweiz.
Die Regierungen Frankreichs und Deutschlands setzen auch auf die Verwendung gestohlener Daten; Berlin will für illegale Informationen 2,5 Mio. Euro bezahlen.
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