Die Schweiz sagt Nein zum Autobahnausbau
Der Bundesbeschluss «Ausbauschritt 2023 für die Nationalstrassen» scheitert an der Urne. Die Schweizer Stimmberechtigten sagten mit 52,7% Nein.
Erste Trends und Hochrechnungen am Sonntag haben es angekündigt. Jetzt ist es defintiv: Das Volk lehnt den Autobahnausbau mit 52,7 % ab. Eine Überraschung: Im Vorfeld zeichnete sich ein knappes Ja ab.
Für die Bürgerlichen im Parlament und auch für Verkehrsminister Albert Rösti ist dies eine bittere Niederlage. Bundesrat Rösti sagte an der Medienkonferenz am Sonntagabend, dass nach einer ersten Analyse wohl drei Punkte den Ausschlag für das Nein gegeben hätten.
Einem Teil der Bevölkerung sei der Ausbau zu gross gewesen. Zudem sei der Ja-Anteil in den Regionen, in denen ein Ausbau geplant gewesen wäre, höher gewesen als in anderen. «Offenbar ist es nicht gelungen, die Vorteile des Ausbaus in anderen Regionen zu vermitteln.» Zudem habe wohl auch der Bundeshaushalt dazu beigetragen, dass sich ein Teil der Bevölkerung gegen diese Investitionen ausgesprochen habe.
So haben die Kantone Solothurn, Basel-Land, Aargau, Zug, Schwyz (59,2%), Nidwalden, St. Gallen, Appenzell Innerrhoden (58,5%), Ausserrhoden, Schaffhausen und Thurgau Ja zum Ausbauschritt für die Nationalstrassen gestimmt.
Die übrigen Kantone haben die Erweiterung zum Teil deutlich abgelehnt, so etwa der Kanton Neuenburg mit 62,5% oder Jura mit 62.6%.
Die Stimmbeteiligung bei den vier Vorlagen lag bei rund 45%.
Mehr
Soll das Schweizer Autobahnnetz ausgebaut werden? Das Stimmvolk entscheidet
Nein-Lager fordert jetzt stärkere Förderung des ÖV
«Der heutige Tag läutet die Verkehrswende in der Schweiz ein. Die Bevölkerung hat der rückwärtsgewandten Verkehrspolitik des Bundesrates eine Abfuhr erteilt», sagte Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone in einem Communiqué am Sonntagnachmittag. Jetzt stehe der Bundesrat in der Verantwortung.
Es sei eine Ohrfeige für jene, die in der Schweiz Wertschöpfung generierten, sagt SVP-Nationalrat Benjamin Giezendanner gegenüber SRF. Er war am Sonntagnachmittag enttäuscht über das zu diesem Zeitpunkt noch wahrscheinliche Nein zum Autobahnausbau.
#VolksabstimmungExterner Link vom 24. November 2024: Bundesrat Albert Rösti zur Ablehnung des Ausbaus der Nationalstrassen. Alles dazu an seiner Medienkonferenz 👆 @UVEKExterner Link #chvoteExterner Link #vot24Externer Link pic.twitter.com/XC1uwUtmAHExterner Link
— Bundesrat • Conseil fédéral • Consiglio federale (@BR_Sprecher) November 24, 2024Externer Link
Der Volksentscheid sei auch ein Zeichen gegen die masslose Zuwanderung, sagte der Aargauer Politiker bei SRF weiter. Er habe im Abstimmungskampf immer wieder gehört, dass das Volk nicht immer mehr Verkehr wolle.
Nach dem Nein zum Autobahnausbau fordern die Organisationen des Nein-Lagers eine Neuausrichtung der Verkehrspolitik. Es brauche nun eine stärkere Förderung des öffentlichen Verkehrs und sichere Strassen und Wege für Velofahrende.
Die Umweltorganisation Umverkehr forderte am Sonntag in einem Communiqué ein Moratorium für den Bau von Nationalstrassen. Die ursprünglich für den Autobahnausbau vorgesehenen Mittel müssten nun in klimafreundliche Mobilität investiert werden.
Die Vorlage im Detail
Die Schweizer Stimmberechtigten waren aufgerufen, über das grösste Autobahnprojekt der letzten Jahrzehnte abzustimmen: Bundesrat und Parlament planten den Ausbau von sechs bestehenden Abschnitten an strategisch wichtigen Punkten, vor allem auf der A1.
Sie ist nicht nur die längste Autobahn des Landes, sondern auch die am stärksten von Staus betroffene Autobahn. Ziel des Projekts war, Staus zu reduzieren, die in den letzten Jahren Rekordhöhen erreicht haben, und so zu verhindern, dass bei Staus auf der Autobahn der Verkehr durch die umliegenden Ortschaften ausweicht.
Sowohl bürgerliche und konservative Parteien als auch Automobil- und Wirtschaftsverbände führten die Kampagne für das AutobahnprojektExterner Link an. Sie betonten die Notwendigkeit der Engpassbeseitigung und die strategische Bedeutung einer funktionierenden und zuverlässigen Strasseninfrastruktur für die Schweiz zur Bewältigung der wachsenden Mobilitätsbedürfnisse.
Gemäss Umfragen des Instituts gfs.bern fanden diese Argumente bei der männlichen Bevölkerung, die mit dem rechten politischen Spektrum sympathisiert, in kleineren Agglomerationen wohnt und über ein höheres Einkommen verfügt, am meisten Anklang.
Im Namen des Klimaschutzes wurde das Referendum gegen den Ausbau unter dem Namen «Stopp dem AutobahnwahnsinnExterner Link» von einer breiten Allianz unter der Führung des Verkehrsclubs der Schweiz (VCSExterner Link) und der verkehrspolitischen Umweltorganisation umverkehRExterner Link getragen.
Die Gegner:innen des Ausbauschritt für die Nationalstrassen wiesen auch auf die «komplett überrissenen» Kosten von fast fünf Milliarden Schweizer Franken hin und auf die Gefahr, dass eine Erhöhung der Autobahnkapazität langfristig kontraproduktiv sei und zu noch mehr Verkehr führe.
Frauen, jüngere Menschen, Personen aus dem linken Spektrum und aus dem Umfeld der Umweltschützer:innen sowie Personen mit höherem Bildungsniveau reagierten stärker auf diese Argumente.
Starke Polarisierung
Die Zustimmung zum Autobahnausbau erodierte im Laufe der Kampagne. In der ersten Umfrage von gfs.bern im Auftrag der SRG Mitte Oktober rechnete noch eine knappe Mehrheit ein Ja in die Urne zu legen, doch in den folgenden Wochen drehte sich das Bild. Die zweite Umfrage, die am 13. November veröffentlicht wurde, ergab einen knappen Vorsprung für das Nein (51%). Zwei Prozent der Befragten waren unentschlossen, so dass der Ausgang der Abstimmung offen blieb.
Eine andere Umfrage, die am selben Tag veröffentlicht wurde, zeigte die starke Polarisierung der Bevölkerung und den Grad der Unsicherheit in Bezug auf diese Vorlage. Das Ja-Lager lag um einen knappen Prozentpunkt vorne, aber auch hier war eine Tendenz zum Nein erkennbar.
>> Lesen Sie unsere Auswertung der zweiten SRG-Umfrage:
Mehr
Schweizer Stimmbevölkerung könnte Autobahnausbau ablehnen
Besonders stark ist die Zustimmung in der Schweizer Diaspora gesunken. Befürworteten in der ersten SRG-Meinungsumfrage noch 60% die Vorlage, waren es in der zweiten nur noch 50%.
Bemerkenswert ist, dass die Opposition bei fast allen Wählergruppen an Boden gewonnen hat, auch bei den bürgerlichen Parteien. Diese negative Entwicklung sei für eine Behördenvorlage aussergewöhnlich, betonte gfs.bern und sah darin einen Vertrauensverlust in Regierung und Parlament.
>> Diskutieren Sie mit:
Mehr
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch