Ägypten: Mit Zwiebeln gegen Tränengas
Die jungen Menschen in Kairo organisieren ihre Demonstrationen über Internet und Handys. Wenn diese gekappt werden, trifft man sich in einschlägigen Cafés. Wie sehen in der Schweiz lebende Ägypter die Protestwelle in ihrem Land?
Das hat Ayman El-Nouby nicht erwartet, als er am Montag von der Schweiz kommend Kairo erreichte. «Als mir Freunde im Nadwa-Café sagten, morgen gebe es in Kairo eine Revolution, da lachte ich nur», sagt er am Mobiltelefon gegenüber swissinfo.ch. Am nächsten Abend war er bereits mittendrin.
Auf Al-Jazeera sah er Bilder vom Tahrir-Platz in Kairo, gefilmt von Demonstranten mit ihren Mobiltelefonen.
«Ich ging sofort ins Stadtzentrum und versuchte unterwegs, meine Freunde anzurufen. Doch das Mobilnetz war lahmgelegt. Im Café Hurreia traf ich sie dann und ging mit ihnen zur Demonstration.»
Vorerst sei alles friedlich gewesen, tausende von Menschen seien auf dem Platz gestanden und hätten Parolen gegen das Mubarak-Regime skandiert, erzählt El-Nouby.
«Plötzlich ertönte ein Alarm und Polizisten schossen Tränengas in die Menge. Wir rannten alle weg, in Seitengassen, wo Leute mit aufgeschnittenen Zwiebeln bereit standen. Damit kann man sofort wieder besser atmen, wenn man eine Ladung Tränengas abbekommen hat.»
Support aus Tunesien
Ayman El-Nouby lebt seit fünf Jahren in der Schweiz und studiert an der Universität Basel Kulturmanagement. Zurzeit ist er im Auftrag der Kulturstiftung Pro Helvetia in Ägypten. Am Internationalen Theaterforum in Alexandria soll er ab 1. Februar als Projektleiter des Schweizer Beitrags wirken.
Nach den Ereignissen der letzten Tage ist allerdings unsicher, ob das Theaterforum wie geplant stattfindet. «Heute hätte ich einen Termin bei Pro Helvetia gehabt, doch er wurde kurzfristig abgesagt und das Büro im Stadtzentrum blieb wegen der Unruhen geschlossen», erzählt Nouby.
Nun sitzt er im Nadwa-Café und beobachtet die Szene: «Die Geschäfte sind geöffnet, es hat Leute auf der Strasse, auch Familien mit Kindern, aber es ist ruhiger als sonst. Der Tahrir-Platz wird rund um die Uhr von Polizei überwacht. Wer dort auch nur kurz herumsteht, riskiert, verhaftet zu werden.»
Die Proteste werden zwar weitgehend von der ägyptischen Jugend getragen, aber auch zahlreiche Vertreter der intellektuellen Elite sind dabei. «Ich habe unter den Demonstranten den Schriftsteller Alaa El-Aswani getroffen. Ausserdem Künstler und Musiker aus dem Jazz Club», sagt Nouby.
Von Tunesien ging der Funke aus, von dort kommen über Internet auch Ratschläge für die ägyptischen Protestierenden, wie sie sich am besten vor der Polizeigewalt schützen können.
Ungerechte Verteilung
Auch seit langem in der Schweiz lebende Ägypterinnen und Ägypter verfolgen die Ereignisse in ihrer alten Heimat mit Bangen. Ahmed Latif, Physiker in Bern, telefoniert fast täglich mit seinen Verwandten. «Alle sind voller Erwartung und Hoffnung, dass etwas Neues passiert», sagt er gegenüber swissinfo.ch.
Ahmed Latif ist in der Hafenstadt Alexandria aufgewachsen und in den 1960er-Jahren zum Studieren in die Schweiz gekommen. «Ägypten ist in den letzten Jahren zwar wirtschaftlich stark gewachsen, aber die Mehrheit der Bevölkerung hat nichts davon, weil die Verteilung so ungerecht ist», sagt er.
Als er kürzlich mit dem Zug von Alexandria nach Kairo gefahren sei, habe er bemerkt, dass immer noch dieselben Waggons in Betrieb seien wie vor 50 Jahren. «Die staatliche Infrastruktur ist trotz Wirtschaftsaufschwung sehr schlecht.»
Regime schürt Angst vor Islamisten
Der grösste Teil der ägyptischen Bevölkerung ist jung, arbeitslos, relativ gut ausgebildet und ausgezeichnet vernetzt. «Wenn man wenig zu verlieren hat, ist man mutiger», sagt Latif.
Er hat keine Angst vor der viel beschworenen islamistischen Gefahr, diese sei ein Vorwand des Mubarak-Regimes, um sich weiterhin an der Macht halten zu können. Das Regime behauptet auch jetzt, dass Islamisten hinter den Protesten stehen würden.
«Das ist lächerlich; die jungen Leute wollen leben. Sie wollen Arbeit und politische Freiheiten. Viele machen sich sogar lustig über die religiösen Fatwas (Rechtsgutachten) der Imame.»
Ob die Demonstrationen schliesslich zum Sturz des Regimes führen werden wie in Tunesien, wagt Ahmed Latif nicht vorherzusagen, aber ein erster Erfolg sei bereits jetzt erreicht: «Der Präsidenten-Sohn Gamal Mubarak, der von seinem Vater zum Nachfolger aufgebaut wird, ist nach diesen Protesten nicht mehr wählbar.» Bereits kursieren Gerüchte in Kairo, wonach sich Gamal Mubarak nach London abgesetzt haben soll.
Latif hofft sehr auf eine Demokratisierung Ägyptens und der ganzen Region: «Die Repression im Nahen Osten ist ein Nährboden für den Terrorismus. Wenn diese Repression beendet würde, hätte auch der Westen weniger Probleme mit dem islamischen Terrorismus.»
Das Schweizer Parlament hat im Dezember 2008 Ägypten als Schwerpunktland der wirtschaftlichen Entwicklungs-Zusammenarbeit bestätigt.
Die Schweiz exportiert namentlich pharmazeutische Erzeugnisse, Maschinen, chemische Grundprodukte, Uhrmacherwaren sowie optische und medizinische Instrumente nach Ägypten.
2009 beliefen sich die Schweizer Ausfuhren auf 656 Millionen Franken, die Importe auf rund 109 Mio.
Die wichtigsten Exportprodukte Ägyptens sind: Öl- und Gasprodukte, Rohöl, Baumwolle, Textilien, Aluminium, Eisen- und Stahlprodukte sowie der Tourismus.
In der Schweiz leben 1600 Ägypter.
In Ägypten leben 1400 Schweizer.
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