Amerika-Schweizer sind im Wahlkampf gespalten
Nach den Parteitagen von Republikanern und Demokraten setzen die US-Präsidentschaftswahlen zum Schlussspurt an. Barack Obama oder John McCain – die Amerikaner sind hin- und hergerissen, ebenso die Schweizer in Kalifornien.
Nachdem Barack Obama Ende August in Denver zum Präsidentschaftskandidaten nominiert wurde, kürten die Republikaner Anfang September John McCain in Saint Paul (Minnesota) zum ihrem Kandidaten.
Die Wirtschaftskrise, das Popularitätstief von George W. Bush und der Irakkrieg sollten den Demokraten zu einem sicheren Sieg verhelfen, nach letzten Umfragen jedoch liegt der Kandidat der Republikaner gleichauf.
Noch beunruhigender für Barack Obama ist jedoch die Tatsache, dass der Anteil der Unentschlossenen immer noch sehr hoch ist. Kurz vor dem Parteitag der Demokraten betrug er 30%, das ist viel mehr als beim Parteitag der Demokraten 2004 mit dem etwas enttäuschenden Kandidaten John Kerry.
Obwohl die demokratische Partei dank der Unterstützung von Hillary Clinton geeint auftritt, ist der junge schwarze Senator in Schwierigkeiten, denn die Hälfte der Wähler seiner einstigen Rivalin versagt ihm die Stimme und 10% liebäugeln sogar mit John McCain.
Dieses zögerliche Verhalten ist sogar in Kalifornien spürbar, einem traditionell fortschrittlichen Staat mit entscheidendem Gewicht für die Wahl.
Charisma gegen fehlende Erfahrung
«Barack Obama bringt frischen Wind, er hat Charisma und er ist so ehrlich, dass man ihm beinahe den Politiker nicht abnimmt. Seine mangelnde Erfahrung jedoch stört mich», meint der Amerika-Schweizer Kurt Engel.
Der Geschäftsmann aus Oakley hatte für Hillary Clinton gestimmt, die in Kalifornien bei den Vorwahlen der Demokraten als Siegerin hervorging. «Wenn Hillary die Kandidatin wäre, würde ich sie wählen. Sie hätte es verdient, ins Rennen zu steigen. Obama könnte noch gut vier Jahre warten», fügt er hinzu.
Kurt Engel hatte im Jahr 2004 noch für die Republikaner gestimmt, doch für ihn steht die Wahl von John McCain nicht zur Diskussion. «Er hat eine konservative Meinung, namentlich bei der Abtreibung und den Feuerwaffen und ich würde es vorziehen, jemand anderen im Weissen Haus zu sehen», erklärt er. Trotzdem könnte er mit John McCain als Präsident leben.
Entscheidende Fernsehdebatten
Gene Boscacci, Headhunter aus San Francisco, ist noch unentschieden, obschon er sich auf der Liste der Demokraten eingeschrieben und in den Vorwahlen für Clinton gestimmt hat. «Zum ersten Mal werde ich nicht unbedingt der Parteilinie folgen», gesteht der Sohn von Tessiner Immigranten. «Die Fernsehdebatten werden für mich eine entscheidende Rolle spielen», beteuert er.
Daniel Mercandon seinerseits, ein Doppelbürger aus Foster City, zeigt sich von den vorgeschlagenen Kandidaten enttäuscht. «Für mich ist Obama zu weich, er wird nie mein Idol sein; McCain auf der anderen Seite ist zu alt und als ehemaliger Militär wird er die Politik von Bush weiterverfolgen», glaubt Mercandon, selbst ein ehemalige Militär, der nun als Sicherheitsbeamter in Afghanistan im Einsatz ist.
Der 45-Jährige bezeichnet sich «eigentlich als Demokrat». Seine Arbeit in den afghanischen Bergen hat es ihm jedoch verunmöglicht, in der Heimat an den letzten Präsidentschaftswahlen und den diesjährigen Vorwahlen teilzunehmen. Hätte er aber teilgenommen, so wäre Hillary Clinton seine Wahl gewesen. «Sie ist auf der Höhe des Geschehens, sie will handeln und sie scheut keine Risiken», so seine Einschätzungen.
Alter ist kein Problem
Daniel Mercandon wird im November wählen, auch wenn sich «nichts wirklich verändern wird». Obama oder McCain? Er tendiert zum letzteren. «Es braucht jemanden mit Erfahrung im Weissen Haus. Ich bin zwar kein grosser Anhänger der Republikaner, aber ich habe das Gefühl, dass McCain ein Programm und das Rüstzeug hat, während Obama sich widerspricht, keine Erfahrung aufweist und nichts Konkretes vorschlägt», unterstreicht der Amerika-Schweizer.
In Sacramento, der Hauptstadt Kaliforniens, macht Tom Gisler aus seinen Absichten keinen Hehl. «Ich habe mich in die Wahllisten der Republikaner eingetragen und werde für John McCain stimmen», bekennt er.
Für den Amerikaner mit Schweizer Wurzeln, der so alt ist wie Barack Obama, ist das Alter McCains kein Problem. Würde er gewählt, so wäre er der älteste Präsident der Vereinigten Staaten. «Das beunruhigt mich nicht. Mein Grossvater molk noch mit 86 Jahren die Kühe und meine Grossmutter ist 100-jährig, was sind also die 72 Jahre von McCain dagegen!»
Zu Beginn war Tom Gisler für Mitt Romney, dem ehemaligen Gouverneur von Massachusetts. Ihm hatte er bei den republikanischen Vorwahlen in Kalifornien seine Stimme gegeben.
Doch heute ist der Angestellte der Ölfirma Chevron «vernünftig geworden». «McCain ist der beste, er wird Obama spielend hinter sich lassen. Er ist ein Mann mit politischem Gespür und Regierungserfahrung, er ist kompetent, standfest und beweist grossen Führungswillen.»
swissinfo, Marie-Christine Bonzom, San Francisco
Mit mehr als 36 Mio. Einwohnern ist Kalifornien bevölkerungsmässig der grösste amerikanische Bundesstaat.
Wäre Kalifornien ein unabhängiger Staat, stünde er in der Weltwirtschaft an 8. Stelle (die Schweiz ist auf Rang 21).
Kalifornien weist die grösste Dichte an Einwohnern mit Schweizer Wurzeln auf, vor New York, Ohio, Pennsylvania und Wisconsin.
Auf dem Generalkonsulat in San Francisco (zuständig für den Norden von Kalifornien) sind 9552 Schweizer gemeldet, der grösste Teil davon sind Doppelbürger und 15% sind auch in der Schweiz als Wähler registriert.
(Quellen: Internationaler Währungsfonds, Swissroots und das Generalkonsulat in San Francisco)
Kalifornien wird seit 2003 vom Republikaner Arnold Schwarzenegger regiert. In Sacramento, der Hauptstadt, muss er sich mit einem Parlament einigen, das aus einer demokratischen Mehrheit besteht.
Der Bürgermeister von San Francisco, der Demokrat Gavin Newsom, erwägt, sich für den Posten des Gouverneurs zu bewerben.
Nancy Pelosi, demokratische Abgeordnete aus San Francisco, ist als Präsidentin der Abgeordnetenkammer die dritte Person im Staat.
Die demokratischen Vorwahlen in Kalifornien wurden von Hillary Clinton mit 51,47% gewonnen, vor Barack Obama mit 43,16%
John McCain gewann die republikanischen Vorwahlen mit 42,25% der Stimmen vor Mitt Romney mit 34,56%.
(Quelle: Staatsekretariat von Kalifornien)
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