Amnestie für Spanienkämpfer nach 70 Jahren in Sicht
Rund 800 Schweizer Freiwillige kämpften im Spanischen Bürgerkrieg für die Demokratie und gegen die Faschisten. Wieder in der Heimat, wurden sie verurteilt und ins Gefängnis gesteckt. Nach 70 Jahren ist ihre Rehabilitierung in Sicht.
«Es wäre eine Amnestie zum letztmöglichen Zeitpunkt», sagt der Historiker Ralph Hug. Der Buchautor und Leiter der Interessengemeinschaft Spanienfreiwillige verweist darauf, dass nur noch fünf Schweizer Spanienkämpfer am Leben sind, vier von ihnen bei schlechter Gesundheit.
Himmelfahrtskommando überlebt
Einer, der die Rehabilitierung nicht mehr erlebt, ist Walter Wagner. Der Leiter einer Sturmkompanie der Internationalen Brigaden hatte 1938 bei der vergeblichen Schlussoffensive am Ebro wohl eine ganze Schar von Schutzengeln zur Seite. Von seinen über 140 Kameraden überlebten nur 27 diese letzte, hoffnungslose Attacke.
Im Oktober 1938 kehrte Wagner zurück in der Schweiz. «Er war vom Krieg traumatisiert, er hatte viele Kameraden verloren oder sterben sehen», schildert Blanca Zogg, Wagners 1944 geborene Tochter. Sie hörte noch viele Jahre, wie das Grauen ihren Vater nachts in Träumen heimsuchte. Lange plagte ihn auch die Malaria, die er im feuchten Ebro-Delta aufgelesen hatte.
Stempel bis ans Lebensende
Erst Ende der 1950er-Jahre klangen Alpträume wie Fieberschübe ab. Was Walter Wagner aber bis zu seinem Tod 2006 im hohen Alter von 94 Jahren nicht los wurde, war seine Verurteilung zu vier Monaten Gefängnis.
«Mein Vater war enttäuscht über die Strafe, er empfand sie als ungerecht, demütigend und spiesserhaft», erzählt Blanca Zogg. Aber nicht so sehr die Haft habe ihn gestört, als vielmehr der Verlust der bürgerlichen Rechte (Stimm- und Wahlrecht) während eines Jahres. «Das haben wir nicht verdient», sei Vaters Meinung gewesen.
Schweizer Freiheitskämpfer
Es waren ihrer 800, die zwischen 1936 und 1938 ins fremde Spanien zogen, um die dortige junge Republik gegen die faschistischen Truppen des Putschgenerals Franco zu verteidigen.
Die meisten Freiwilligen waren überzeugte Linke. Alle teilten sie die Überzeugung von Freiheit und Demokratie. Und sie ahnten, dass der Faschismus, würde er im Brandherd Spanien nicht gelöscht, sich zur grossen Gefahr für Europa und die Welt ausbreitete.
180 fielen im Feld. 420 wurden bei ihrer Rückkehr in die Schweiz sofort von der Militärjustiz abgeurteilt. Die Gefängnisstrafen betrugen im Schnitt vier Monate. Ein Rückkehrer fasste gar vier Jahre.
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Schwieriges Fuss fassen
Nach dem Aktivdienst in der Schweizer Armee habe Wagner zunächst als Brauereiarbeiter «Boden gefunden», sagt Tochter Blanca Zogg.
Nach mehreren Funktionen in der Transport-Gewerkschaft wechselte er, der aus ärmsten Verhältnissen stammte und keine Ausbildung hatte machen können, in die Privatwirtschaft. Bei mehreren Transportunternehmen bekleidete er bis zur Pensionierung 1982 gute Posten.
Am Rande der Gesellschaft
«Er musste hart strampeln, bis er sich hochgearbeitet hatte», sagt Blanca Zogg.
«Er fühlte sich nie als Held, aber er war immer überzeugt, dass er richtig gehandelt hatte.»
Ein ähnlicher Werdegang war aber nur wenigen Spanienkämpfern gegönnt. «Viele fanden keine Stelle und damit den ‹Rank› im Leben nicht mehr», sagt Ralph Hug.
Er hat nicht nur ein Buch über das Leben Walter Wagners verfasst, sondern ist auch Mitautor eines biographischen Lexikons, in dem sämtliche Schweizer Spanienkämpfer erfasst sind und das 2009 zur Rehabilitierung erscheint.
Zu den Kriegstraumen kam laut Hug die soziale Diskriminierung. In der antikommunistisch geprägte Schweiz galten die Spanienkämpfer als Kommunisten, die in Diensten Moskaus spanische Klöster angezündet hätten.
Den Meisten blieb zeitlebens nur eine Existenz am Rand der Gesellschaft, vorzugsweise als Selbstständige in Nischen, etwa als Altmetallhändler oder Buchhändler. Hug weiss auch von einem Rückkehrer, der als letzten Ausweg Suizid beging.
Symbolischer Akt
Auch wenn die Rehabilitierung für die Betroffenen selber zu spät komme, habe sie für die Familienmitglieder grosse Bedeutung, denn diese hätten auch unter den Nachteilen wie gesellschaftliche Ächtung oder häufige Wohnortwechsel gelitten, sagt Hug.
Die Aufhebung der Militärurteile, mit der keine Geldzahlungen verbunden sind, habe zudem grosse symbolische Bedeutung. «Der Staat als damaliger Täter ist die Instanz, welche die Spanienkämpfer heute freisprechen muss», streicht der Historiker heraus.
Ausgehend vom symbolischen Akt der Amnestie erhofft sich Hug eine kritische Neubewertung der Spanienkämpfer. Mit dem Resultat, dass diese nicht mehr als Kommunisten abgestempelt, sondern als Schweizer Kämpfer für Demokratie und Freiheit anerkannt werden. In neuem Licht müsse auch die Epoche der 1930er-Jahre in der Schweiz betrachtet werden.
Wehmut der Tochter
Die Amnestie ist laut Hug aber nicht nur für die Hinterbliebenen und das kollektive Geschichtsbewusstsein des Landes wichtig. Er verknüpft damit auch Hoffnungen für die Unterstützung weiterer Forschungsprojekte über die Spanienkämpfer. Dabei denkt er insbesondere an die Kantone, denn die Freiwilligen stammten aus praktisch allen Ständen.
Blanca Zogg sieht der Rehabilitierung ihres Vaters Walter Wagner und seiner Kameraden mit Freude und Stolz entgegen. Aber auch mit Wehmut. Ihr wäre lieber, wenn ihr Vater die Freisprechung noch selbst hätte erleben können.
«Ich bin gerne Schweizerin, aber ich kann nicht begreifen, dass man den Spanienkämpfern ihre Ehre nicht früher zurück gegeben hat», sagt sie. In der Tat, 70 Jahre sind eine lange Zeit. 2009, wenn die Spanienkämpfer freigesprochen werden, kann Blanca Zogg ihren 65. Geburtstag feiern.
swissinfo, Renat Künzi
Der Nationalrat hat am Dienstag der Initiative des Sozialdemokraten Paul Rechsteiner für eine Amnestie mit 130 gegen 32 Stimmen zugestimmt.
Im Frühjahr 2009 entscheidet der Ständerat.
Sagt er ebenfalls Ja, tritt die Amnestie auf 1. Juli 2009 in Kraft.
Die Schweiz ist eines der letzten Länder, das die Urteile gegen seine Spanienkämpfer bisher nicht aufgehoben hat.
Bis 2006 blieben zahlreiche Vorstösse erfolglos.
1973 holte der Filmautor Richard Dindo mit seinem Werk «Schweizer im Spanischen Bürgerkrieg» die Freiwilligen ein erstes Mal aus der Vergessenheit.
1986 sagte SP-Bundesrat Otto Stich an einer Feier, dass die Geschichte den Spanienkämpfern Recht gegeben habe.
1994 erklärte Bundesrätin Ruth Dreifuss die Spanienkämpfer für «politisch und moralisch vollständig rehabilitiert».
Herbst 2006: Parlamentarische Initiative Paul Rechsteiner für eine Amnestie.
November 2007: Gründung der IG Spanienfreiwillige.
1913 in ärmsten Verhältnissen geboren.
Mit 15 Jahren in der Sozialistischen Jugend.
1933/35 an der Leninschule Moskau.
1935 im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Schweiz.
Zieht 1937 als Kämpfer gegen den Faschismus in den Spanischen Bürgerkrieg.
Überlebt die «Hölle» am Ebro. Kehrt im Oktober 1938 krank und verletzt in die Schweiz zurück.
Anfang 1939 zu vier Monaten Gefängnis und einem Jahr Verlust der bürgerlichen Rechte verurteilt.
Im Aktivdienst floss seine Kriegserfahrung in eine wegweisende Armeeschrift über Nahkampf ein.
Danach Gewerkschafter und SP-Politiker. Heirat, drei Kinder.
1963 bis 1982 in privaten Transportunternehmen tätig. Wurde von der politischen Polizei jahrzehntelang bespitzelt.
Er starb 2006 im 94. Altersjahr.
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