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Analphabetismus behindert Ägyptens Entwicklung

Grosses Interesse der ägyptischen Medien: Doris Leuthard bei einem Interview im Wirtschaftsministerium. swissinfo.ch

Ägypten ist dank geographischer Lage, relativ intakten Infrastrukturen und dem Willen zu Reformen auch für Schweizer Investoren attraktiv. Mangelnde Ausbildung und Korruption sind Hindernisse. – Dieses Fazit zieht Volkswirtschaftsministerin Doris Leuthard nach einer Wirtschaftsreise

«Das Gespräch mit Premierminister Ahmed Nazif hat mir geholfen zu verstehen, in welch schwieriger Situation die Ägypter im Gaza-Konflikt stecken. Nazif erzählte, er müsse jeden Tag Dutzende von Rechnungen unterschreiben für verwundete Palästinenser, die hier in den Spitälern Schutz finden», sagt Doris Leuthard gegenüber swissinfo.

«Es sind Summen, die für das Land eine grosse Belastung darstellen. Wir nehmen das als selbstverständlich hin. Er hat mich nicht um finanzielle Unterstützung gebeten, aber an der Gaza-Konferenz in Kairo im März wird das sicher ein Thema sein.»

Positiv überrascht zeigt sich Leuthard von der relativ gut ausgebauten Strom- und Wasserversorgung und vom Strassennetz in den Ballungsgebieten um die Grosstädte Kairo und Alexandria. «Da ist Ägypten im Vergleich mit Indien einen grossen Schritt voraus.»

40% der Bevölkerung, 60% der Frauen sind Analphabeten. «Die oberste Schicht ist bestens ausgebildet. Eine Mittelschicht fehlt völlig. Die meisten Menschen sind wenig bis gar nicht ausgebildet und können sich nicht aus der Armut befreien. Der Zugang aller zu einer Basisbildung, das ist die grosse Herausforderung für Ägypten.»

Die Gespräche mit sechs Regierungs-Mitgliedern und dem Ministerpräsidenten haben bei der Volkswirtschaftsministerin den Eindruck hinterlassen, dass «sie das Problem zwar sehen, aber eher in den universitären Bereich investieren».

Auf dem Weg zu internationalen Standards

Leuthard erzählt vom Landwirtschaftsminister, dem 640’000 Angestellte unterstellt sind: «Das ist das Erbe der Ära Nasser, der damals versprochen hatte, dass alle, die keine Arbeit hatten zum Staat gehen können. Heute noch fordern die Parlamentarier den Minister auf, Leute anzustellen. Er kann praktisch nicht anders, als sie anzustellen, aber niemand weiss, was diese Leute tun. Das führt dazu, dass viele darauf vertrauen, dass ihnen der Staat irgendwie hilft, wenn auch mit wenig Geld.»

Ein Beispiel für die Modernisierung ist die neue Zollakademie in Alexandria. Sie wurde am dritten Tag der Reise offiziell eröffnet. «Da haben die Redner immer wieder den Paradigmenwechsel betont und gesagt, man müsse sich selber trainieren, Ägypten wolle internationale Standards erreichen und müsse das selber tun», stellt Leuthard fest.

Die Akademie wurde im Wesentlichen von den USA und der EU finanziert. Auch die Schweiz beteiligte sich mit Wissenstransfer am Aufbau, mit einem auf die lokalen Bedürfnisse zugeschnittenen Ausbildungsmodell der eidgenössischen Zollverwaltung.

Chancen für Schweizer Wirtschaft

Die Regierung, die seit 2004 im Amt ist, hat Wirtschafts-Reformen durchgeführt und in Angriff genommen. Sie hat Unternehmenssteuern gesenkt, Industriezonen geschaffen und die Verfahren für die Ansiedlung von Unternehmen stark vereinfacht. Noch dieses Jahr soll zudem das aktualisierte Investitionsschutz-Abkommen mit der Schweiz unterzeichnet werden.

«Die Regierung steht nicht zuletzt wegen der politischen und sozialen Stabilität unter starkem Druck, Wachstum zu erzeugen. Daraus leite ich ab, dass die Schweizer Wirtschaft mittel- und langfristig durchaus Chancen hat, hier mehr zu investieren, als bisher», bilanziert Gerold Bührer, Präsident des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse.

Bührer, der Leuthard zusammen mit einer Wirtschaftsdelegation auf ihrer Reise begleitet hat, lobt die «für ein Schwellenland gut funktionierenden Infrastrukturen», die «steuerliche Behandlung und die investitionsfördernden Elemente» und bezeichnet den Ausbildungsstandard «als wunden Punkt».

«Korruption ist vielen Leuten peinlich»

«Deshalb braucht die Schweizer Wirtschaft flexible Bedingungen beim Personal. In der Startphase müssen wir zur Qualitätssicherung Arbeitskräfte hierher bringen können. Das ist noch ein Problem, das man, – so glaube ich- jetzt erkannt hat», so Bührer.

Ägypten leidet unter der globalen Wirtschaftskrise und die Korruption bleibt ein Problem. Das sei ein «erschwerender Aspekt», räumt Bührer ein. Bei grossen Investitionsentscheiden sei Vorsicht am Platz.

Auf die Korruption angesprochen, sagt Leuthard, es sei ihr aufgefallen, dass «man da wahrscheinlich versucht, etwas zu verstecken, das hier jeder weiss. Ich glaube, es ist vielen Leuten auch etwas peinlich, dass die Korruption immer noch so gross ist».

swissinfo, Andreas Keiser, Kairo

Bundesrätin Doris Leuthard bereiste vom 2. bis 6. Februar in Begleitung einer Wirtschaftsdelegation Ägypten.

Themen waren die Auswirkungen des im August 2007 in Kraft getretenen Freihandelsabkommens zwischen der Efta und Ägypten und die Marktchancen für Schweizer Unternehmer.

Leuthard trieb auch die Verhandlungen zur Aufwertung des Investitionsschutz-Abkommens aus dem Jahr 1973 voran.

In Kairo traf sich die Volkswirtschaftsministerin mit mehreren ägyptischen Ministern und dem ägyptischen Ministerpräsidenten.

In Alexandria eröffnete Leuthard das vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) unterstützte «National Customs Training Center».

Das Schweizer Parlament hat im Dezember 2008 Ägypten als Schwerpunktland der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit bestätigt.

Die Schweiz exportiert insbesondere pharmazeutische Erzeugnisse, Maschinen, chemische Grundprodukte, Uhrmacherwaren sowie optische und medizinische Instrumente nach Ägypten.

In den ersten elf Monaten 2008 beliefen sich die Ausfuhren auf 577 Millionen Franken, die Importe auf rund 25 Mio. Fr.

Die wichtigsten Exportprodukte Ägyptens sind: Öl- und Gasprodukte, Rohöl, Baumwolle, Textilien, Aluminium, Eisen- und Stahlprodukte sowie der Tourismus.

In der Schweiz leben 1600 Ägypter.

In Ägypten leben 1400 Schweizer.

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