Anti-Minarett-Abstimmung: «Lektion in Bürgerpflicht»
Nach dem vom Volk angenommenen Minarettverbot interpretiert SVP-Nationalrat Oskar Freysinger die Ereignisse. Vehement weist er die These zurück, dass aus Angst oder Ignoranz Ja gestimmt wurde, und er beklagt die Angriffe auf die direkte Demokratie.
Als Wortführer der Minarettgegner in der französischsprachigen Schweiz ist Oskar Freysinger ein gefragter Mann.
Er war es denn auch – und nicht einer der Bundesräte – der kürzlich in einer polemischen Debatte auf dem arabischen Sender Al-Jazeera das Verdikt des Volkes verteidigte, das am 29. November mit 57% gegen den Bau von Minaretten gestimmt hatte.
swissinfo.ch: Das Abstimmungsresultat der Anti-Minarett-Initiative wurde in der Schweiz und im Ausland des Langen und Breiten diskutiert und kommentiert. Was ist ihnen davon haften geblieben?
Oskar Freysinger: Mir ist aufgefallen, dass das Thema der Minarette ganz rasch dem Thema direkte Demokratie weichen musste. Zwei Lager stehen sich gegenüber: einerseits die Elite, die sagt, dass die direkte Demokratie antidemokratisch sei und den Menschenrechten widerspreche – ein totales Paradox. Andererseits die Verfechter der Volksrechte, die durchaus die Mängel des Systems anerkennen, jedoch überzeugt sind, dass es das bestmögliche ist, denn es nimmt die Menschen ernst und bietet ihnen eine Ausdrucksmöglichkeit für ihre Gefühle.
In Europa beneidet man uns darum. Ich habe enorm viele E-mails aus Frankreich und anderswo erhalten. Die Menschen bedauern es, dass sie keine Instrumente haben, um ihren Willen auszudrücken. Die Schweiz im Herzen von Europa hat eine unglaubliche Lektion an Bürgerpflicht erteilt, und dies gegen die «Political Correctness», gegen die Elite, gegen die Medien und gegen den enormen Druck der Meinungsgleichmacherei. Das könnte die uns umgebenden Völker inspirieren, und das ist es, was die europäische Intelligenzia so sehr fürchtet.
swissinfo.ch: Aber hat das Volk wirklich immer Recht? Kann es sich nicht auch irren?
O. F.: Sagen wir, es ist etwa so, wie mit dem Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes: der Papst hat in Glaubensfragen immer Recht, aber nicht im Absoluten. Das Volk hat immer Recht, weil das System ihm Recht gibt. Zu bestimmen, wer Recht oder Unrecht hat, ist immer komplex. Als Politiker habe ich vor dem Volk viele Abstimmungen verloren. Man muss es zur Kenntnis nehmen und mit der Situation umgehen können, auch wenn es sehr schwierig ist, wie heute mit dem freien Personenverkehr.
swissinfo.ch: Man hat viel über eine Abstimmung der Angst gesprochen. Wie sehen Sie das?
O. F.: Aus den Tausenden von E-Mails und Reaktionen, die ich erhielt, kann ich eine gewisse Tendenz erkennen. Während der ganzen Kampagne dominierte nicht die Angst, sondern eine nüchterne Betrachtungsweise, klar und sachlich im Ton, was den Islam und die Unvereinbarkeit seiner fundamentalistischen Tendenzen mit unserem Rechtsstaat anbelangt. Dabei kam ich sogar an gewisse Informationen heran, die mir in den Debatten sehr nützlich waren. Der Volksentscheid beruhte demnach nicht auf Irrationalität und Ignoranz, wie oft gesagt wurde.
Das «Ja» kommt von den « Souveränisten », die unsere Identität schützen wollen, gerade heute, wo die Grenzen offen sind und es unmöglich ist, den Zustrom der Migranten zu regulieren. Es gab aber auch ein Ja von Seiten der Katholiken, die nicht ihrer Elite gefolgt sind und das Ja der Frauen. Viele unter ihnen sagten mir, dass sie nie SVP wählen würden, doch bei diesem Thema spürten sie die Bedrohung einer besonders patriarchalischen Religion.
swissinfo.ch: Es gab verschiedene Vorschläge, um dieses Abstimmungsergebnis noch zu korrigieren (die Schaffung eines Verfassungsgerichts, ein neuer Toleranzartikel ). Was sagen Sie dazu?
O. F.: Der Volksentscheid ist rechtsgültig. Wenn man den Artikel in einigen Jahren abändern möchte, weil der Islam kein Problem mehr darstellt, wäre einzig das Volk dazu berufen. Das Ergebnis durch einen Allerweltsartikel zu ersetzen, der den Nachteil hätte, alle Religionen zu bestrafen, wäre offene Türen einrennen, denn der Toleranzartikel ist bereits in der Bundesverfassung und den Schweizer Gesetzen verankert.
Ein Verfassungsgericht ist in Ländern nicht vorstellbar, in denen einzig das Parlament die Gesetze bestimmt. In der Schweiz ist das Volk der Souverän. Ein solches System einzuführen, käme einem Maulkorb gleich. Und worin wären die Juristen geeigneter als die Bürger, das Gute vom Bösen zu unterscheiden?
swissinfo.ch: Was antworten Sie jenen, die Ihnen vorwerfen, Sie hätten mit dieser Initiative das Risiko auf sich genommen, die stille Integration der Muslime in der Schweiz, von denen die Mehrheit nicht praktizierend ist, zu gefährden und sie möglicherweise in eine Abschottung zu treiben?
O. F. : Dieser Vorwurf ist nicht stichhaltig. Ich unterscheide zwischen drei Kategorien von Muslimen. Die Nicht-Praktizierenden, per Definition haben sie sich von der Religion befreit und stehen der Präsenz von Minaretten oder sogar Moscheen gleichgültig gegenüber. Dann gibt es jene, die die Religion praktizieren und als individuelle Entscheidung und Privatsache betrachten. Diese Gruppe zahlt heute für das zerschlagene Geschirr der dritten Kategorie, das heisst jene, die nicht akzeptiert, dass das zivile Recht über dem religiösen Dogma steht. Diese Randgruppe, finanziert von Saudi-Arabien oder der Türkei, trägt eine Mitverantwortung am Resultat des Volksentscheides.
swissinfo.ch: Nach der Annahme des Minarett-Verbots haben mehrere rechtsextreme Parteien in Europa ihre Initiative begrüsst… Wo sehen Sie ihre ideologischen Affinitäten oder auch ihre Differenzen mit diesen Bewegungen?
O. F.: Seit langem herrscht Verwirrung, was die extreme Rechte und die Faschisten angeht. Bloss, die Unterschiede zu uns sind gross. Erstens verteidigt die SVP die Demokratie und den Rechtsstaat ohne Wenn und Aber. Der zweite Unterschied besteht darin, dass wir nicht einfach den Anderen zurückweisen, weil er anders ist – das wäre Rassismus und Ausländerfeindlichkeit.
Jedoch nicht jede Person, die in die Schweiz kommt, ist harmlos. Wir kämpfen gegen unangemessenes Verhalten, das die Immigration mit sich bringt. Deswegen werden wir des Rassismus bezichtigt. Doch es ist das Verhalten, das wir geisseln und nicht die Hautfarbe oder die Herkunft der Menschen.
Carole Wälti, swissinfo.ch
(Aus dem Französischen übertragen von Christine Fuhrer)
Oskar Freysinger wurde 2003 in den Nationalrat gewählt.
Er lebt im Wallis und hat 1999 die Walliser Sektion der SVP (rechts-konservative Partei) gegründet.
Seine politischen Prioritäten sind die Verteidigung der Volksrechte, die Einbürgerung durch das Volk, die Gewährleistung der Sicherheit durch die Ausschaffung von kriminellen Ausländern, der Kampf gegen die Legalisierung von Drogen, die Aufhebung der Anti-Rassismus-Strafnorm.
Oskar Freysinger ist Gymnasiallehrer.
Am 29. November nahmen das Stimmvolk und die Kantone die Volksinitiative gegen den Bau von neuen Minaretten an.
Die Initiative wurde von den Bürgerinnen und Bürgern mit 57,5% angenommen. Auf Kantonsebene haben nur Basel-Stadt, Genf, Waadt und Neuenburg die Initiative abgelehnt.
Diese wurde von einem Komitee, bestehend aus Mitgliedern der Eidgenössischen Demokratischen Union (EDU/christliche Rechte) und der Schweizerischen Volkspartei (SVP /konservative Rechte) lanciert.
Die Regierung, die Mehrheit des Parlaments und die Kirchen empfahlen die Initiative zur Ablehnung.
In der Schweiz haben vier Moscheen ein Minarett (Genf, Zürich, Wangen und Winterthur). Eine fünfte hat die Bewilligung für ein Minarett erhalten (Langenthal, Kanton Bern), doch nach dem Verdikt vom 29. November ist der Bau ungewiss.
Die Islamische Gemeinschaft in der Schweiz ist nicht homogen. In den 1970er-Jahren bestand sie vor allem aus Türken, seit 2000 setzt sich die Mehrheit der Gemeinschaft aus Menschen aus Ex-Jugoslawien zusammen. Im Ganzen sind rund hundert verschiedene Nationalitäten vertreten.
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