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Arabische Revolutionen: Schweiz begrenzt engagiert

Demonstranten fordern in Tunesien einen Prozess gegen jene Personen, die während der Revolution im Land Menschen getötet haben. Keystone

Am Sonntag eröffnet Aussenministerin Micheline Calmy-Rey in Tunesien eine Konferenz der Schweizer Botschafter in der Region. Bern will seine Aussenpolitik an die demokratische Entwicklung im arabischen Raum anpassen, die auf immer härtere Repression stösst.

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) wird vom 1. bis 3. Mai im gediegenen Rahmen eines Hotels in einem schicken Vorort in Tunis seine «globale Strategie zur Unterstützung des demokratischen Übergangs» ausarbeiten.

Ein Ziel, das der Bundesrat, die Schweizer Regierung, am 11. März dieses Jahres gutgeheissen hat.

Ein solcher Schritt sei mehr als nötig, sagt Hasni Abidi, Direktor des Centre d’études et de recherche sur le monde arabe et méditerranéen (Cermam) in Genf gegenüber swissinfo.ch.

«Die westlichen Demokratien müssen unbedingt ihre Strategie gegenüber den südlichen Mittelmeerländern überdenken. Wie ihre Nachbarn hat die Schweiz die meisten autoritären Regimes in der Region unterstützt, im Namen der Bekämpfung des Terrorismus und der Eindämmung der Migrationswellen. Eine Position, die sich heute als weitegehend schwach, wenn nicht sogar kontraproduktiv erweist», so Abidi.

Auf entsprechende Fragen von swissinfo.ch präzisiert das EDA seinerseits: «Seit Beginn der Demonstrationen in Nordafrika und im Nahen Osten hat sich die Schweiz auf verschiedenen Ebenen engagiert.»

Globale Strategie

«An der regionalen Botschafterkonferenz in Tunis werden sich die Schweizer Botschafter und die Leiter unserer Koordinationsbüros in Nordafrika und im Nahen Osten mit den Verantwortlichen der entsprechenden politischen Abteilungen in Bern über die Möglichkeiten unterhalten, wie die globale Strategie zur Unterstützung des demokratischen Übergangs in der Region verwirklicht werden kann. Diese Strategie umfasst die humanitäre Hilfe, die Migration, die strukturellen Reformen, die wirtschaftliche Entwicklung und die Bekämpfung der Armut», heisst es beim EDA.

Was aber mit den Regimes, die den Freiheitsdrang ihrer Bevölkerung mit Repression bekämpfen, wie zum Beispiel in Syrien, das die Demonstrationen gegen das Assad-Regime militärisch und mit zunehmender Brutalität unterdrückt?

Letzten Dienstag veröffentlichte das EDA sein erstes Communiqué zu den seit Wochen dauernden blutigen Ereignissen in Syrien. Darin drückt die Schweiz «ihre grosse Beunruhigung über die Ereignisse aus, die sich in Syrien abspielen». Die Schweiz unterstütze auch die Sondersession zu Syrien des Genfer UNO-Menschenrechtsrates vom Freitag, heisst es.

In der schriftlichen Antwort auf die Fragen von swissinfo.ch präzisiert das EDA, dass «der Beitrag der Schweiz zur Milderung der Konsequenzen aus den Krisen und Konflikten für die Bevölkerungen sowie die Schaffung von sozialen und wirtschaftlichen Gelegenheiten sich in eine globale Förderung der Stabilität in der ganzen Region reiht».

Und die Menschenrechte?

Im Verlauf der 2000er-Jahre hatte sich die Schweiz einen Namen gemacht im Bereich der Verteidigung von Menschenrechten und der Verurteilung von Gewalt in der ganzen Welt.

2005, am WeltInformations-Gipfel in Tunis, war der damalige Schweizer Bundespräsident Samuel Schmid der einzige Staatschef, der in Anwesenheit von Präsident Ben Ali die Respektierung der Meinungsfreiheit in Tunesien forderte – er wurde prompt vom dortigen Regime zensuriert.

«Von 2003 bis 2006, also bis zur Installierung des UNO-Menschenrechtsrates in Genf, galt die Priorität, die in der Schweizer Aussenpolitik den Menschenrechten gegeben wurde, als eigentliches Ziel. Heute ist das in der Aussenpolitik nicht mehr das Wesentlichste», sagt der aussenpolitische Berater und ehemalige Botschafter François Nordmann gegenüber swissinfo.ch.

Nach Ansicht von Hasni Abidi hat die Schweiz die Einfrierung der Gelder der Clans von Ben Ali, Mubarak und Gaddafi zwar schnell angekündigt, jedoch nicht gesagt, was für Folgen daraus entstehen.

«Die Ägypter fühlen sich wie vor einer unüberwindbaren bürokratischen Mauer. Die Schweiz verlangt unmögliche Dokumente, um mit der Prozedur der Freigabe der Gelder zu beginnen. Die Tunesier stossen auf die gleichen Schwierigkeiten. Das politisch Ideale stösst auf die politische Realität, gewollt von den Finanzkreisen.»

Abidi fragt sich, wie die Haltung der Schweiz sein wird, wenn es in Algerien losgehen sollte. «Wird sie die Gelder des Regimes blockieren, als Land, dessen Ölabhängigkeit von Algerien sehr gross geworden ist?»

Er räumt ein, dass die Schweiz kaum über das Gewicht und die Mittel verfügt, um allein zu handeln: «Sie verfolgt die allgemeine europäische Linie. Die Schweiz kann deshalb nicht vorgreifen.»

Dringlichkeit eines Marshall-Plans

Hasni Abidi hofft auf jeden Fall, dass die Schweiz die vom spanischen Premierminister Zapatero lancierte Idee eines Marshall-Plans für die sich im Wandel befindenden arabischen Länder auf die eine oder andere Weise unterstützt. Die Idee wurde diese Woche vom französischen Präsidenten Sarkozy und Italiens Premierminister Berlusconi befürwortet.

«Damit ein demokratischer Übergang gelingt, müssen drei Bedingungen erfüllt sein: die Schaffung von demokratischen Institutionen, ein politischer Pluralismus und das, was man den Umgang mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten nennt. Falls sich die wirtschaftliche Situation nicht verbessert, besteht das Risiko, dass sich die Bevölkerung gegen die Revolution stellt», sagt Abidi.

Und er ergänzt: «Es sind Ägypten und Tunesien, welche die meisten Migranten und Flüchtlinge aufnehmen und die den erheblichen Einkommensverlust jener Landsleute tragen müssen, die in Libyen gearbeitet haben.»

Der Berater François Nordmann seinerseits schätzt, dass eine Beteiligung der Schweiz an einem solchen Plan in der Logik ihrer Aussenpolitik stehen würde und dass sie bestimmte Karten zu spielen habe: «Ein Marshall-Plan ist die Bereitstellung von Mitteln, um eine Volkswirtschaft wieder aufbauen zu können, aber es ist auch eine Zusammenarbeit im institutionellen Bereich, um diese Mittel zu erarbeiten und das Land selber zu bewirtschaften.» Das seien Bereiche, in denen die Schweiz anerkanntermassen über viel Erfahrung verfüge.

Die Schweiz arbeitet seit mehreren Jahren mit verschiedenen Partnern in den arabischen Ländern, darunter auch lokale Nichtregierungs-Organisationen (NGO).

Die Wahl dieser Partner unterliegt strikten und transparenten Kriterien und hängt von den Zielen der Schweiz in den unterschiedlichen Ländern ab.

Die Schweiz arbeitet daher mit humanitären und Entwicklungs-NGO zusammen, die auf verschiedenen Gebieten spezialisiert sind, wie beispielsweise Unterstützung und Schutz von Flüchtlingen und Migranten, wirtschaftliche Entwicklung und Berufsbildung, Förderung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit oder Reduktion von Naturgefahren.

(Quelle: EDA)

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hat in einer ersten Tranche 12 Mio. Fr. seines Budgets für Projekte und Massnahmen gesprochen in den Bereichen humanitäre Hilfe, Migration, strukturelle Reformen, wirtschaftliche Entwicklung und Kampf gegen die Armut.

Das Budget für die Entwicklungszusammenarbeit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) beträgt 2011 und 2012 für diesen Bereich des Mittelmeerraums zwischen 20 und 30 Mio. Fr.

(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)

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