Arme brauchen mehr als warme Luft aus Kopenhagen
Bangladesch und seine 160 Millionen Menschen sind stark vom Klimawandel betroffen. Sie, die nur für einen sehr kleinen Anteil der weltweit produzierten Kohlenstoff-Emissionen verantwortlich sind, erwarten wenig von der UNO-Klimakonferenz.
Schwellenländer wie Indien oder China verlangen für die Reduzierung ihrer Treibhausgase Milliardensummen von den Industrieländern. Europa und auch die Schweiz schlagen vor, ihre Emissionen um 20% gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken.
Im Bangladesch werden 0,3 Tonnen Kohlendioxid pro Kopf ausgestossen. In den USA sind es 22 und in der Schweiz etwa 6 Tonnen.
Kurz vor Eröffnung der Kopenhagener Gesprächsrunde haben China und andere grosse Schwellenländer die Kernziele abgelehnt, den weltweiten Ausstoss von Treibhausgasen bis 2050 zu halbieren. Und Indien hat sich geweigert, verbindliche Schritte zur Senkung seiner Emissionen zu ergreifen.
Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass Bangladesch bei einem Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter um bis zu 17% der Küstenregionen verlieren würde. Aber das Land, das moralischen Anspruch darauf hätte, dass die Emissionen gesenkt würden, hat kaum Möglichkeiten, darauf einzuwirken.
Bangladesch habe seine Ansichten zwar gut eingebracht, sagt Urs Herren, der Schweizer Botschafter in Dhaka, Aber es sei schwierig, damit durchzudringen.
«Bangladesch hat in der Gruppe der am schwächsten entwickelten Länder eine sehr aktive Rolle gespielt, um zusätzliche Mittel und eine angemessene internationale Anerkennung seiner Anliegen zu bekommen», sagt Herren gegenüber swissinfo. «Aber Bangladeschs Möglichkeit als Hebel zu wirken, ist ziemlich begrenzt. Und sein Einfluss auf die Finanzierung und auf die CO2-Reduktionsziele ist sehr eingeschränkt.»
Bangladesch ist zusammen mit den Malediven und einer Handvoll kleiner Pazifik-Inselstaaten ein Paradebeispiel für die Auswirkungen des Klimawandels.
Unterschiede
«Wir scheinen als seriöser Akteur in diesem breiten globalen Forum angesehen zu sein», sagt Niaz Ahmed Kahn, Professor an der Universität von Dhaka und Länderrepräsentant für die Nichtregierungs-Organisation International Union for Conservation of Nature (IUCN).
«Ich glaube, die Leute nehmen Bangladesch nun ernst. Wir haben eine Stimme, wir haben eine relativ reife Zivilgesellschaftsgruppe.»
Experten weisen aber auch auf den massiven Unterschied zwischen der politischen Elite und den Armen in Bangladesch hin. Das Land hat 86 Personen nach Kopenhagen geschickt. Darunter befinden sich weder Bauern noch Fischer.
«Die einfachen Leute wissen wenig über die Bedeutung von Kopenhagen. Sie tappen völlig im Dunkeln», sagt Aminul Islam, stellvertretender Direktor und Chef Katastrophenmanagement beim Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP). «Sie sagen, es sei ein Fluch der Götter. Sie seien selbst für ihr Schicksal verantwortlich.»
Laut Shantana Halder, Spezialistin bei einem anderen UNDP-Büro, könnte der Klimawandel zusätzlich sechs bis acht Millionen Menschen zwingen, in die Städte abzuwandern. Dhakas Bevölkerung von 12 Millionen steige jeden Tag um rund 5000 Personen an.
Kahn wirft der internationalen Gemeinschaft vor, grosse internationale Konferenzen ohne die erforderliche Grundlagenarbeit zu organisieren. Gerade Arme und lokale Wissenschafter würden nicht oder zu wenig angehört.
Er sieht zwar ein, dass sich Staatsführer treffen müssen, «aber erst dann, nachdem wir im Hintergrund gearbeitet haben. Man sollte in den Ergebnissen unsere regelmässigen, umfangreichen Vorarbeiten auf diesem Gebiet erkennen.»
Kopenhagener Fragen
In Kopenhagen werden rund 100 WStaats- und Regierungschefs erwartet. UNO-Klimasekretär Ivo de Boer hat gesagt, dass die reichen Länder «mindestens 10 Milliarden Dollar pro Jahr als Hilfe auf den Tisch legen müssen.»
Für die Japaner braucht es eine «Grüne Steuer» auf fossile Brennstoffe^, um die globale Erwärmung zu bekämpfen. In Australien will das Parlament die globale Erwärmung mit einem Gesetz stoppen. Und Prinz Charles will vor der Konferenz sprechen und Bertrand Piccard besuchen, den Schweizer Ballonweltumfahrer, der den Planeten nun mit einem Solarflugzeug umfliegen will.
Aber ohne im Vorfeld ausgehandelte Abkommen wird die Konferenz von Kopenhagen durch einen Mangel an Klarheit, was tatsächlich zu erreichen ist, abgewertet.
«Ich glaube, wir dramatisieren Kopenhagen ziemlich», sagt Kahn zur 15. grossen UNO-Konferenz zur globalen Erwärmung. «Wir äussern grosse Erwartungen aber ich bezweifle sehr, dass diese erfüllt werden. Ich glaube nicht, dass wir genug getan haben, um diesen Pomp und diese Pracht zu rechtfertigen.»
Während der Rest der Welt noch palavert, baut Bangladesch weiter Dämme zum Schutz vor Überschwemmungen, gewinnt seine Mangrovenwälder zurück und pflanzt mehr windbrechende Bäume – als Teil seines eigenen Kampfes gegen den Klimawandel.
Halder hat Mühe, ihre Betroffenheit zu kaschieren. «Sie sind die Verursacher» sagt sie über die entwickelten Länder. «Wir sind die Opfer. Und weil wir so schwach sind, hört uns niemand zu.»
Justine Häne in Dhaka, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander P. Kuenzle und Etienne Strebel)
Die 1. UNO Klimakonferenz fand 1992 in Rio de Janeiro statt.
Die als «Erdgipfel» bekannte Konferenz gilt als Meilenstein für die Integration von Umwelt- und Entwicklungs-Bestrebungen.
1997 folgte in Kyoto, Japan, eine weitere Klimakonferenz, die zum «Kyoto-Protokoll» führte.
Dieses umfasste bindende Zusagen der Industrie-Länder, ihren CO2-Ausstoss zu reduzieren.
Bis 2010 sollten die Emissionen durchschnittlich auf 5% unter das Niveau von 1990 gesenkt werden – auch mit Mithilfe von handelbaren Emissions-Wertpapieren.
Für Kopenhagen wird nun eine Nach-Kyoto-Klimavereinbarung erwartet. Es geht um die Reduktion der von Menschen verursachten Veränderungen des Klimas, und um die Bedürfnisse der Entwicklungsländer.
Das Kyoto-Protokoll läuft 2012 aus. Die neue Vereinbarung soll umfassender und detaillierter ausgearbeitet werden.
Im vergangenen Juni sind die G 8- und Schwellenländer übereingekommen, dass der Temperaturanstieg, gerechnet seit der vorindustriellen Zeit, auf 2 Grad Celsius limitiert werden soll.
Bangladesch wird zum grössten Teil von Indien umschlossen, im Südosten stösst es an Myanmar-Burma, im Süden an den Golf von Bengalen. Mit einer Bevölkerung von 162 Millionen gehört es zu den am dichtesten besiedelten Ländern der Welt.
Das Bruttoinlandprodukt pro Kopf liegt bei 520 Dollar, Tendenz steigend. Im letzten Jahrzehnt ist die Armut deutlich gesunken.
Es gilt als eines der Länder, die vom Klimawandel am stärksten bedroht sind.
Die Niederfälle der Monsunsaison setzen jeweils grosse Teile des Landes unter Wasser; im Süden verschwindet immer mehr Land im Golf von Bengalen.
Im November 2007 verursachte der Wirbelsturm Sidr mit Flutwellen von bis zu drei Metern Höhe schwere Schäden. Rund 10’000 Menschen kamen ums Leben.
Im Mai 2009 traf der Wirbelsturm Aila vor allem die Südküste und überschwemmte auch die Sundarbans, die Mangrovenwälder, in denen auch 265 der bedrohten Bengalischen Tiger leben.
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