Armee leidet unter Orientierungslosigkeit
Ist die Schweizer Armee ein "Trümmerfeld"? Braucht das Land künftig eine schlagkräftige, mannstarke Milizarmee oder eine verkleinerte, professionalisierte und international ausgerichtete Armee? - Die Politik ist sich in dieser Frage uneinig.
Die «beste Armee» der Welt wolle er aus der Schweizer Armee machen, sagte Verteidigungsminister Ueli Maurer im Frühjahr 2009. Die Realität hat ihn schnell eingeholt: Der Entscheid über eine Beschaffung neuer Kampfflugzeuge ist auf die Zeit nach 2015 verschoben, obgleich die Luftwaffe zuvor eindringlich davor warnte, ohne neue Kampfjets sei die Hoheit über den Luftraum nicht mehr garantiert.
Den kürzlich veröffentlichten Armeebericht – eine Auslegeordnung über die Bedrohungen und die sich daraus ergebende Ausrichtung der Armee – muss Maurer nachbessern. Die zuständige Parlamentskommission bemängelt, der Bericht priorisiere mögliche Risiken und Bedrohungen zu wenig.
Der Armeebericht äussere sich nicht zur Frage, ob die Schweiz die europäische Sicherheitspolitik lediglich «konsumieren oder mitgestalten» wolle, kritisiert der Christdemokrat Bruno Frick, der Präsident der Sicherheitskommission des Ständerats. Fast «mantrahaft» werde die Neutralität beschworen, ohne die Frage nach der Weiterentwicklung aufzuwerfen.
Schweiz in der Selbstblockade
Nun muss Maurer verschiedene Varianten bezüglich Mannstärke und Ausrichtung der Armee ausarbeiten und sich mit der Frage auseinander setzen, wie sich die Schweiz in eine internationale Sicherheitsarchitektur einbringen will.
Die Schweiz sei seit Jahren «in einer Selbstblockade zwischen zwei sicherheitspolitischen Positionen gefangen», sagt der Sicherheitsexperte Kurt R. Spillmann gegenüber swissinfo.ch. «Eine Seite will den Anschluss an die europäische Sicherheitsgemeinschaft, ob im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) oder durch eine Zusammenarbeit mit der Nato. Die andere Variante wäre, eine echte autonome Verteidigungsfähigkeit anzustreben, von der immer gesprochen wird und die aber mindestens doppelt so viel kosten würde wie die gegenwärtige Armee und deren Erfolg bezüglich Schutz von Land und Leuten in einem künftigen Krieg immer noch äusserst fraglich wäre.»
Praktisch schreibe die Politik jedoch das «traditionelle Konzept» weiter und verzichte auf eine «Analyse der Folgen des Ende des Kalten Krieges und sich daraus abzuleitenden politischen und militärstrategischen Konsequenzen», so Spillmann.
Spürbare Orientierungslosigkeit
Die unklare Zukunft der Armee wirft in diesen Tagen auch ihre Schatten auf die Parlamentsdebatte zum grundsätzlich kaum umstrittenen Rüstungsprogramm 2010, das im Kern eine Teil-Erneuerung der betagten Fahrzeugflotte vorsieht.
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«Heute kann kein richtiges Rüstungsprogramm beschlossen werden, weil wir die Bedrohungssituation nicht kennen», sagte die Freisinnige Nationalrätin Corina Eichenberger-Walther. Ursula Haller von der Bürgerlich-Demokratischen Partei stellte fest, es sei «eine Orientierungslosigkeit spürbar».
Der Ständerat will im Gegensatz zum Nationalrat bessere Strukturen für die Helikopter-Schulung und im Gegenzug weniger neue Lastwagen. Auch nach ausführlichen Debatten haben sich die beiden Räte bislang nicht auf eine Lösung einigen können, obschon die Kosten der beiden Varianten lediglich 64 Millionen Franken auseinanderliegen.
Ruf nach starker Milizarmee
Währenddem bürgerliche Politiker und gemässigte Sozialdemokarten grundsätzlich die Armee verkleinern, reformieren und internationaler ausrichten wollen, möchten radikale Sozialdemokraten, Grüne und Pazifisten die Armee gänzlich abschaffen. Rechtskonservative Kreise kritisieren, die Armee werde schrittweise geschwächt und internationalisiert. Sie rufen nach einer starken Milizarmee.
Ranghohe Militärs und rechtsbürgerliche Politiker verlangen ein umfangreicheres Militärbudget. Die Armee 2010 stehe «nicht am Abgrund», sondern sei «bereits ein Trümmerfeld», schreibt die Gruppe «Giardino», welche die Lancierung einer Volksinitiative plant, wonach ein fixer Prozentsatz des Bruttoinlandproduktes für die Landesverteidigung aufgewendet werden muss.
«Auf die bisherige Ausrichtung der Armee in Richtung internationale Kooperation (NATO und EU), wie sie in den letzten 15 Jahren schrittweise erfolgte, ist in Zukunft zu verzichten», fordert die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei, SVP. Sie stehe «zu einer glaubwürdigen Landesverteidigung und zu einer schlagkräftigen Armee, welche die Souveränität und Neutralität der Schweiz sicherstelle“, schreibt die Partei in einem Positionspapier.
Der fehlende Feind
«Im Grunde genommen ist die politische Überzeugung der grossen Mehrheit immer noch dieselbe wie in Zeiten des Kalten Krieges, um nicht zu sagen des Zweiten Weltkrieges. Das Reduit ist immer noch in den Köpfen drin“, sagt Spillmann.
«Es gibt keinen Feind, das sollte man endlich zur Kenntnis nehmen. Der Bundesrat hat diese Tatsache im Sicherheits- und im Armeebericht bereits gewürdigt, aber das Parlament ist noch nicht bereit, die politischen Konsequenzen zu ziehen.»
Kurt R. Spillmann war bis zu seiner Emeritierung 2002 Professor für Sicherheitspolitik und Konfliktforschung an der ETH Zürich.
1987–1995: Vorsteher der Abteilung für Militärwissenschaften. Er gründete 1987 die Forschungsstelle für Sicherheitspolitik an der ETH (heute Center for Security Studies).
Die Neutralität ist nicht nur ein wichtiges Identifikationsmerkmal der Schweiz.
Sie geniesst noch immer grossen Rückhalt in der Bevölkerung und hat über Jahrhunderte zum Zusammenhalt der Eidgenossenschaft beigetragen.
Neutralität bedeutet im Bereich der Staatenwelt vor allem die Nichtbeteiligung an einem bewaffneten Konflikt zwischen anderen Staaten. Heute prägen drei Merkmale die Neutralität der Schweiz: sie ist selbst gewählt, dauernd (nicht mehr wie früher immerwährend) und bewaffnet.
Das erklärt auch, wieso sich das Land immer bemüht hat, seine Streitkräfte auf einem respektablen Niveau zu halten, und wieso der Militärdienst für Schweizer Männer obligatorisch ist, was in der Verfassung festgeschrieben steht.
Die Schweizer Streitkräfte dürfen grundsätzlich nur zur Selbstverteidigung und zum Schutz nach innen genutzt werden. Bei internationalen Konflikten darf die Schweiz nicht Partei ergreifen und fremden Truppen kein Transitrecht gewähren.
Die Neutralität ist ein Instrument der Aussen- und Sicherheitspolitik des Landes. Das Völkerrecht setzt der Neutralitätspolitik klare Grenzen. So darf das Land keiner militärischen Allianz wie zum Beispiel der NATO beitreten, eine Zusammenarbeit im Rahmen der NATO-Partnerschaft für Frieden ist jedoch möglich.
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