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Armee zwischen Sinnkrise, Nostalgie und Wandel

Keystone

Unfälle, Führungsvakuum, Verunsicherung, umstrittene Auslandeinsätze und Rüstungs-Programme, schwindender Rückhalt in der Bevölkerung: Die Schweizer Armee kämpft wie nie zuvor gegen Widerstände. In den kommenden Wochen soll das Parlament Weichen für die Zukunft stellen.

Eigentlich hatte die Armeespitze von der Euro 2008 einen kräftigen Imagegewinn erwartet. Doch es kam anders. Der Boots-Unfall auf der Kander mit fünf toten Soldaten offenbarte statt Sicherheits-Kompetenz eine Sinnkrise.

Der River Rafting-Event für Soldaten der Luftwaffe diente nicht der militärischen Ertüchtigung, sondern sollte helfen, Unterbeschäftigung und Langeweile zu vertreiben.

Kurz darauf musste Luftwaffenchef Walter Knutti zurücktreten. Er wolle Ordnung in der Armee, begründete deren Chef Roland Nef die Absetzung.

Wochen später kam Nef selber mit der Ordnung in Konflikt, weil er seine Ex-Partnerin belästigt, in ihrem Namen Sexinserate beantwortet und sie damit der Belästigung ausgesetzt hatte.

Verteidigungsminister Samuel Schmid stellte sich zuerst hinter Nef, musste sich dann aber doch von ihm trennen, weil der Druck zu gross geworden war. Häppchenweise berichten die Medien seither über prozessuale Fehler und Unterlassungen, die trotz einem laufenden Strafverfahren zur Anstellung Nefs geführt hatten.

Schmid kommuniziert defensiv, spielt die charakterlichen Schwächen Nefs herunter und beruft sich auf seine lückenhaften Erinnerungen. Breite Kreise der Politlandschaft haben Schmid inzwischen das Vertrauen entzogen.

Auch Reformdruck sorgt für Spannungen

Zur personellen Krise kommt der Reformdruck, der innerhalb der Armee für Spannungen sorgt. «Ein Drittel der Mitarbeiter hängt der nostalgischen Verteidigungsarmee nach», schätzt der ehemalige Armeechef Christophe Keckeis. «Und diese Leute sind nach all den Reformen heute sehr frustriert.»

Die Nostalgiker sitzen am kürzeren Hebel. Territoriale Bedrohungen sind Geschichte. Laut dem Präsidenten der armeefreundlichen Christlichdemokratischen Volkspartei, Christophe Darbellay, ist ein höheres Armeebudget eine «Illusion».

Wehrpflicht unter Beschuss

Die Armee sei zu gross, sie habe zuviele Aufgaben und zuwenig Geld. – Zu diesem Schluss kommt der Planungsstab der Armee. Deshalb denkt die Spitze mittlerweile laut darüber nach, statt 33 neue Kampflugzeuge lediglich deren 22 zu kaufen.

Selbst wenn der Kauf alle politischen Hürden nähme, würden 33 neue Kampfjets keinen Sinn machen, da die Mittel für den Betrieb fehlten. «Zu lösen sind etwa Probleme von Betriebskosten und Pilotennachwuchs», so der Verteidigungsminister.

Die in der Verfassung verankerte allgemeine Wehrpflicht ist von verschiedenen Seiten unter Beschuss geraten. Laut einer Umfrage des SonntagsBlicks wollen nur noch 40% der Bevölkerung an der allgemeinen Wehrplicht festhalten.

Hohe Militärs und Experten plädieren für einen stark verringerten Bestand und damit für eine Annäherung an andere europäische Armeen. Sie versprechen sich mehr Effizienz und Einsparungen, wenn der Bestand den Aufgaben angepasst würde, statt sich nach der Anzahl der gesunden Männer im Aushebungsalter zu richten.

Hans-Ulrich Ernst, der langjährige ehemalige Generalsekretär des Militärdepartements, bezeichnet die Wehrplicht als «nicht kompatibel mit dem wirtschaftlichen Prinzip, nur soviel Personal anzustellen, wie man zur Lösung einer Aufgabe braucht».

Unheilige Allianz

Neue Kampfjets und die künftige Ausrichtung der Armee stehen erst nächstes Jahr auf der politischen Agenda. In der Herbstsession des Parlaments stehen die Auslandeinsätze und das Rüstungsprogramm 2008 zur Debatte.

In der Sommersession hat sich der Nationalrat gegen Auslandeinsätze und gegen Bewachungsaufgaben ausgesprochen. Demnach müssten die Swisscoy-Truppen aus Kosovo abgezogen werden. Die Sicherheit am WEF Davos wäre alleinige Sache der Polizei. Die Vorlage kommt nun in den Ständerat, der sich wahrscheinlich für die Beibehaltung der Ausland- und Sicherungseinsätze aussprechen wird.

Umstritten ist auch das Rüstungsprogramm 2008. Dagegen wehren sich die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) und die armeekritischen Grünen. Die beiden Parteien wollen das Programm zurückweisen.

Dabei zielt Samuel Schmids ehemalige Partei – die SVP – zwar auf den Mann, trifft jedoch die Armee. So lange Schmid im Amt ist, will die Partei das Rüstungsprogramm nicht unterstützen.

Die beiden Mitteparteien FDP und CVP stehen hinter dem Rüstungsprogramm. Die Sozialdemokarten wollen mit Abstrichen zustimmen. Im Gegenzug soll die Armee auf neue Kampfflugzeuge verzichten.

swissinfo, Andreas Keiser

Die Einkaufsliste der Armee für das kommende Jahr umfasst Beschaffungen und Nachrüstungen im Rahmen von insgesamt 917 Millionen Franken.

So sollen die F/A-18-Kampfflugzeuge zwischen 2009 und 2015 an die neuen technologischen Standards angepasst werden. Das Vorhaben ist mit 404 Mio. Franken budgetiert.

Für 396 Millionen will die Armee 220 «Geschützte Mannschafts-Transportfahrzeuge» für die Infanterie anschaffen. Der Einsatz der Fahrzeuge ist als Ergänzung zu den Radschützenpanzern vorgesehen.

Zwei weitere Vorhaben im Umfang von 117 Mio. Franken sind für Aufklärungs- und Nachweisfahrzeuge für die ABC-Abwehr vorgesehen.

Der Nationalrat wird sich am 25. September mit dem Rüstungsprogramm 08 befassen. Der Ständerat hat die geplanten Projekte bereits in der Sommersession genehmigt.

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