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Artenvielfalt – eine Herausforderung für die Bauern

Früher weit verbreitet, heute ein seltener Gast: der Wachtelkönig. Wildlife

Bär und Wolf sind wieder da. Bartgeier und Biber erobern sich ihre Reviere zurück. Dennoch sind 40% der Tier- und über 33% der Pflanzenarten der Schweiz bedroht. Daran ändern auch die millionenschweren Agrar-Subventionen für Öko-Ausgleichsflächen nichts.

Hecken, extensiv genutzte Wiesen, Hochstamm-Obstbäume, Buntbrachen sind für Landwirte weit weniger ertragreich als Vieh- und Milchwirtschaft oder intensiver Ackerbau.

Deshalb subventioniert der Bund seit mehr als zehn Jahren die sogenannten ökologischen Ausgleichsflächen mit rund 130 Millionen Franken jährlich.

Ausgleichsflächen sollten als Lebensräume für die einheimische Fauna und Flora Naturschutzgebiete ergänzen, so die Begründung für die Zahlungen. Dennoch ging der Artenschwund in den vergangenen Jahren ungebremst weiter.

Der schweizerische Bauernverband will die vorgeschriebene Minimalfläche pro Betrieb von 7% auf 5% reduzieren. Natur- und Umweltschutz-Organisationen fordern hingegen eine flächenmässige Ausdehnung auf 15% und eine qualitative Verbesserung der vielfach lediglich kurzfristig angelegten Flächen.

Otto Schmid ist Ingenieur-Agronom und beschäftigt sich am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in Frick auch mit Landwirtschaftspolitik.

swissinfo: Inwiefern profitieren die Landwirte überhaupt von der Biodiversität?

Otto Schmid: Unsere Versuche am FiBL haben gezeigt, dass die Artenvielfalt den Nützlingen viel mehr zugute kommt als den Schädlingen. Auch in angrenzenden Flächen treten weniger Schädlinge auf. Die funktionelle Biodiversität ist ein wichtiger Nebeneffekt.

Zudem gibt es viele Betriebe, die sich auf Ökoflächen spezialisiert haben. Das kann ein wichtiger Einkommensbeitrag sein.

swissinfo: Die öffentliche Hand wendet jährlich rund 130 Millionen Franken auf für diese Ökoflächen. Der Artenschwund geht jedoch weiter. Was läuft falsch?

O.S.: Meiner Ansicht nach sind die Direktzahlungen zu wenig auf Qualität ausgerichtet und werden oft zu pauschal ausbezahlt. Es gibt zu wenig ergänzende Massnahmen.

Im Berggebiet sind ein Grossteil der Direktzahlungen Tierhalterbeiträge. Die sind hoch, das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag stimmt. Das führt aber dazu, dass es eigentlich zu viel Geld gibt für die Tiere und zu wenig für die Ökoflächen. Dieses Verhältnis stimmt nicht.

swissinfo: Was braucht es für Auflagen, damit die Ökoflächen effektiv ihre Funktion erfüllen können?

O.S.: Eigentlich muss man besser von Anreizen reden, nicht von Auflagen. Im Berggebiet müssen die Beiträge erhöht werden. Sie sind dort niedriger als im Mittelland.

Bei blumenreichen Wiesen ist die Mähtechnik ausschlaggebend. Da wäre es wichtig, Betriebe, die noch traditionell mähen, mit Anreizbeiträgen zu unterstützen.

Oder nehmen Sie die Pflege der Hecken. Sie ist arbeitsintensiv. Es wäre sinnvoll, diese Arbeit mit einem Erschwernisbeitrag anzureizen.

swissinfo: Teilen Sie den Vorwurf, dass die Bauern das System der Öko-Beiträge zuweilen ausnützen, um relativ einfach an Geld zu kommen?

O.S.: Nein, den teile ich nicht. Es ist primär eine ökonomische Frage. Ein Bauer ist heute wirtschaftlich so stark unter Druck, dass er versucht, das Optimum rauszuholen. Das ist ihm eigentlich nicht zu verübeln.

Wenn die Bauern mehr Geld kriegen für die Tierhaltung als für Ökoflächen, dann gehen sie halt in diese Richtung und intensivieren den Anbau wieder.

Die Betreuung von Ökoflächen sollte viel mehr als Leistung angesehen und gewürdigt werden. Als guter Bauer gilt immer noch der, der viele Tiere mit einer möglichst hohen Milchleistung hat.

Auch in der Ausbildung und Beratung ist nicht alles optimal. Viele Projekte wurden zu stark von oben herab initiiert. Da fehlt dann die Motivation. Die Bauern müssen darum von Anfang an in die Projekte miteinbezogen werden.

swissinfo: Ausgleichsflächen sind also nicht einfach brachliegende Flächen?

O.S.: Nein, sie sind eine Kulturleistung der Landwirtschaft. Je höher die Qualität der Flächen, desto höher sollte die Abgeltung sein.

Es ist auch zu überlegen, ob Flächen mit einer besonders hohen Artenvielfalt höher abgegolten werden sollen. Hier hat der Bund die Aufgabe, die Rahmenbedingungen zu verbessern und leistungsorientierter zu gestalten.

swissinfo-Interview: Andreas Keiser

Die 9. UNO-Biodiversitäts-Konferenz findet vom 19. bis 30. Mai in Bonn statt.

Am 22. Mai geht auch der Internationale Tag für Biodiversität über die Bühne.

Die CBD ist eines der drei Abkommen, die am UNO-Umweltgipfel 1992 in Rio de Janeiro verabschiedet wurden.

Weltweit verschwinden täglich rund 100 Arten von der Erde.

In der Schweiz gelten 237 Arten als verschollen oder ausgestorben.

Derzeit kommen mindestens 60 als weltweit bedroht eingestufte Arten in der Schweiz vor.

Ein Drittel (31%) der Blütenpflanzen und Farne sind bedroht oder verschwunden.

Über ein Drittel (38%) der Moose und Flechten sind bereits gefährdet oder ausgestorben.

Bei den Tieren stehen heute fast die Hälfte (40%) der untersuchten Tierarten auf Roten Listen.

Am stärksten gefährdet sind in der Schweiz Reptilien sowie Amphibien (so der Laubfrosch), da ihnen die geeigneten Lebensräume fehlen.

Auch die Lebensbedingungen für Vögel haben sich in letzter Zeit im Kulturland und in den Feuchtgebieten weiter verschlechtert.

3,5% der Schweizer Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft.

Der Anteil dieses Wirtschaftszweigs am Bruttoinlandprodukt beträgt 0,5%.

Der Bund gibt jährlich rund 4 Mrd. Franken für die Landwirtschaft aus. Das sind 8% des Bundeshaushalts.

Die Agrarpolitik gehört in der Schweiz zu den meistdiskutierten politischen Themen.

40% der in der Schweiz konsumierten Lebensmittel sind importiert.

Nicht quantifizierbar ist der Anteil der Landwirtschaft an der Marke «Schweiz» und damit der wirtschaftliche Nutzen für den Tourismus.

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