Asylgesuche steigen auch in der Schweiz stark an
Seit zwei Monaten nimmt die Zahl der Asylbewerber massiv zu. Die meisten stammen aus Subsahara-Ländern und kommen über die Mittelmeerinsel Lampedusa. In verschiedenen Kantonen sind die Asylzentren besetzt. Deshalb will der Bund nun Notunterkünfte bereit stellen.
«Wir haben ein grosses Problem», klagt Raymond Caduff, der Asylkoordinator des Kantons Luzern. «Wir sind kapazitätsmässig am Limit. Der Bund hat uns im letzten Jahr dazu angehalten, unsere Reserve-Wohnungen in den Gemeinden aufzugeben. Jetzt fehlen uns bereits 100 Plätze.»
Ähnlich tönt es im Kanton Zürich: «Wir müssen Notunterkünfte suchen», sagt Ruedi Hofstetter vom Kantonalen Sozialamt. Auch die Kantone Bern und Aaargau haben laut den Verantwortlichen für die Unterbringung der Asylbewerber ihre Kapazitätsgrenzen erreicht.
Der Kanton Thurgau hat beim Bund bereits einen Zuweisungsstopp beantragt. «Wir hatten in den letzten Jahren jeweils 30 bis 50 Asylbewerber, doch nun haben wir bereits im ersten Halbjahr 117 zugeteilt erhalten», sagt Rolf Bruderer, Ressortleiter Asyl bei der Thurgauer Kantonsverwaltung.
Die Zuspitzung der Situation hat zwei Ursachen: Seit einigen Monaten versuchen immer mehr Menschen aus Afrika über Süditalien und Griechenland nach Europa zu gelangen. Zudem hat der Bund seine Beiträge an die Kantone gekürzt.
Blochers Erbe
Seit dem 1. Januar 2008 nämlich erhalten die Kantone keine Beiträge an Betreungsreserven mehr, eine Konsequenz aus der strengen Sparpolitik von Ex-Justizminister Christoph Blocher. In früheren Jahren konnten die Kantone dank diesen Beiträgen massiv steigende Asylzahlen auffangen. Der Wegfall dieser Beiträge hat zur Folge, dass die Kapazitäten der Asylzentren und die Anzahl Betreuer in den vergangenen Monaten abgebaut wurden.
Im Gegenzug sicherte das Bundesamt für Migration den Kantonen zu, der Bund werde bei Engpässen die Asylsuchenden während eines halben Jahres selber unterbringen. Konkret soll das dann der Fall sein, wenn die Zahl der Asylsuchenden auf über 12’000 steigt.
Eduard Gnesa, Direktor des Bundesamts für Migration, bestätigt, dass verschiedene Kantone Probleme mit der Unterbringung hätten. Dennoch gäbe es «keine Krisensituation». Der Bund wolle nun Notschlafstellen eröffnen und so «den Kantonen den Druck wegnehmen», sagte Gnesa in einer Sendung von Schweizer Radio DRS.
Verdoppelung im August
Im ersten Halbjahr 2008 haben 5945 Menschen in der Schweiz um Asyl ersucht. Das sind 6,3% mehr als im Vorjahr. Seit Juli hat die Zahl der Gesuche massiv zugenommen. Allein im August haben 1600 Flüchtlinge in der Schweiz um Asyl nachgefragt. In den Vorjahren betrug die Zahl der Asylanträge im August jeweils zwischen 800 und 1000.
Bis Ende Jahr rechnet der Bund mit 13’000 Asylgesuchen. Das sind 3000 mehr als 2007, aber weniger als in andern Jahren. So lag der Schnitt in den vergangenen acht Jahren bei 17’500 Gesuchen.
Die meisten Asylbewerber stammen aus Sri Lanka. Somalia, Nigeria, Eritrea und dem Irak. «Fast die Hälfte aller Asylsuchenden kommen aus den Subsahara-Ländern» so Gnesa. «Es ist ganz klar, dass der Anstieg der Zahl von Eritreern, Somaliern und Nigerianern seit Juni auf die Migrationsströme von Lampedusa zurückzuführen sind.»
EU hat dasselbe Problem
Auf der kleinen italienischen Insel sei die Situation zurzeit «dramatisch». Täglich kommen bis zu 1000 Bootsflüchtlinge dort an. Das Zentrum in Lampedusa hat jedoch lediglich für 1000 Menschen Platz. Die Flüchtlinge werden nach ihrer Ankunft umgehend auf das Festland gebracht.
Über Lampedusa, Malta und Griechenland kommt ein Teil in die Schweiz. «Wir gehen davon aus, dass rund 45% über die Südgrenze illiegal in die Schweiz kommen», so Gnesa. «Auch in den meisten EU-Ländern haben die Asylbewerberzahlen in den vergangenen zwei Monaten zugenommen, teilweise sogar um bis zu 80%.»
swissinfo, Andreas Keiser
Die Schweiz steht punkto Migration vor ähnlichen Herausforderungen wie andere Länder in Europa. In den letzten Jahren wurde eine grosse Anzahl von Asylbewerbern registriert, von denen die meisten keinen Anspruch auf den Flüchtlingsstatus oder einen Aufenthalt in der Schweiz hatten.
Im September 2006 wurde das neue Einwanderungs- und Asylgesetz von über zwei Dritteln der Stimmbevölkerung angenommen.
Danach werden Asylbewerber ohne gültige Ausweispapiere, die für das Fehlen keine glaubwürdige Erklärung liefern können, innerhalb 48 Stunden des Landes verwiesen.
Abgewiesene Asylsuchende, deren Rekursmöglichkeiten ausgeschöpft sind, werden von den Sozialhilfeleistungen ausgeschlossen und erhalten nur Nothilfe.
Abgewiesene Asylsuchende, welche das Land nicht verlassen, können mit bis zu 2 Jahren Haft bestraft werden.
2007 wurden in der Schweiz von den insgesamt 10’390 Anträgen 1561 positiv beantwortet.
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