Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Asylpolitik zwischen Schengen und Menschenrecht

Protestierende Flüchtlinge vor dem griechischen Parlament im Januar 2011. Keystone

Die Asylpolitik innerhalb des Schengenraums ist wegen eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unter Beschuss geraten. Weil die Schweiz Teil des Schengenraums ist, dürfte dieser Strassburger Entscheid auch sie betreffen.

Staaten am Rand des Schengen/Dublinraums sind dem Migrationsdruck aufgrund ihrer geografischen Lage stärker ausgesetzt als jene, die keine Aussengrenzen haben. Länder wie Spanien, Italien und Griechenland bilden naturgemäss die eigentlichen Eingangstore für Migrationsströme.

Grund: Es ist einfacher, aus der Türkei oder aus Nordafrika übers Meer unkontrolliert in diese Länder einzureisen oder eingeschleust zu werden, als in ein zentraler gelegenes Land Europas. Griechenland ist in den letzten Jahren zu einem eigentlichen Trichter geworden, durch den zehntausende Migranten in den Schengen/Dublinraum strömten. Menschenrechtsorganisation kritisieren seitdem regelmässig die prekären Zustände des griechischen Asylwesens. 

Dublin II

Die Dublin-II-Verordnung sieht vor, dass Asylanträge im Grundsatz dort bearbeitet werden, wo Migranten zum ersten Mal das Territorium des Schengen/Dublin-Raums betreten. Reisen die Migranten in andere Mitgliedstaaten weiter, so hatten diese das Recht, die Migranten in das so genannte Erstantragsland rückzuführen.

Damit sollte nach Jahren entsprechender Erfahrungen künftig vermieden werden, dass Asylsuchende, die in einem Land abgewiesen wurden, einfach ins nächste fahren, und dort die Asyl-Prozedur von neuem beginnt («Asyl Shopping»).

Denn das Reisen innerhalb Europas hat sich sehr vereinfacht, seit mit der Einführung der Personenfreizügigkeit die Personenkontrollen innerhalb des Schengen/Dublinraums weggefallen sind. Die Dublin-II-Verordnung hat die prekäre Asylsituation in den exponierten Ländern aber noch verstärkt.   

Belgien und Griechenland gebüsst

Die im Rahmen des Europarats ausgearbeitete Europäischen Menschenrechts-Konvention verbietet menschenunwürdige Behandlungen.

Gemäss Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg haben Griechenland und Belgien gegen dieses Verbot verstossen. Belgien hatte einen Mann nach Griechenland zurückgeschickt, obwohl bekannt gewesen sei, welche katastrophalen Zustände dort in den Auffanglagern herrschten.

Belgien und Griechenland sind nun vom EGMR scharf kritisiert worden und müssen Schadenersatz zahlen. Berufung können sie keine mehr einlegen, die Urteile aus Strassburg sind bindend.

Aus humanitären Gründen haben nun Deutschland, Finnland und eine Reihe anderer Länder die Rückführung nach Griechenland gestoppt – vorübergehend. Besonders Griechenland sei am Rand der Überforderung, sagte dazu zum Beispiel der deutsche Innenminister Thomas de Maizière.

Schweizer Praxis

Belgien ist verurteilt worden, weil dort die Klage eingereicht worden war. Das Verbot hätte auch andere Länder in Europa treffen können, die Asylsuchende nach Griechenland zurückschickten.

  

Weil der Entscheid des Strassburger Gerichtshofs Belgien betreffe, sei er für die Schweiz aber nicht bindend, sagt Marie Avet vom Bundesamt für Migration (BfM) gegenüber swissinfo.ch. «Juristisch sind wir also nicht gezwungen, den Entscheid aus Strassburg umzusetzen.» Der Entscheid werde aber in die interne Überprüfung der Überstellungen nach Griechenland einfliessen. Ein Resultat dieser Prüfung werde im Februar erwartet.

Welche Rückführungspraxis besteht in der Schweiz? «Nicht nach Griechenland überstellt werden verletzliche Personen, Familien, unbegleitete Minderjährige, Ältere oder Kranke», so Avet. Was die Überstellung in andere Dublin-Länder betreffe, gebe es aber keine Einschränkungen.

Frontex als Unterstützung

Um der Überforderung von Ländern wie Griechenland entgegen zu treten, stehe die Schweiz im Rahmen der Frontex-Massnahmen europäischen Ländern an den Schengen-Aussengrenzen bei, sagt Avet, und verweist auf das Grenzwachtkorps, das der Eidgenössischen Zollverwaltung untersteht.

Die Frontex ist eine Europäische Agentur, welche die operative Zusammenarbeit der Länder an den Aussengrenzen koordiniert, zum Beispiel bei der Ausbildung von nationalen Grenzschutzbeamten, bei der Kontrolle und Überwachung oder bei technischer Unterstützung.

Schweizer Grenzwächter für solche Einsätze an die Schengen-Aussengrenze zu schicken, war eine Bedingung, um beim Schengenraum mitmachen zu können. Der Bundesrat beschloss dies im Februar 2008, bevor die Schweiz Ende 2008 dem Schengenraum beitrat.

Projekte zur Unterstützung der jeweiligen nationalen Grenzpolizei unterstützt die Schweiz ebenfalls, und zwar im Rahmen des Erweiterungsbeitrags für Infrastrukturprojekte in den zehn neuen EU-Ländern im Osten (sog. Kohäsionsmilliarde).

So ist zum Beispiel das Wohlstandsgefälle zwischen dem Südosten Polens und der Ukraine derart gross, dass Schmuggel inklusive Menschenhandel dort häufiger vorkommen als anderswo. Die Schweiz unterstützt deshalb dort die mobile Grenzpolizei.

Neuer Verteilungsschlüssel gefordert

Die Behörden nicht nur in Griechenland sind mit dem Ansturm von Asylbewerbern überfordert. Menschenrechts-Vereinigungen fordern ebenso wie Mittelmeer-Anrainerstaaten einen neuen europäischen Verteilungsschlüssel für Asylsuchende.

António Guterres, UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR), wünschte sich am 4. Asyl-Symposium in Bern am 20. Januar mehr Solidarität gegenüber Menschen, die im Erstantragsland keine Perspektive hätten. Er kritisierte, dass Europa immer noch kein gemeinsames Asylsystem habe. Als Beweis führte er die unterschiedliche Asylvergabe-Politik an Somalis innerhalb Europas an, die je nach Land von 4 bis 90% reiche.

Die Dublin-Verordnung hat zum Zweck, das Asylverfahren in den beteiligten Schengen-Staaten zu vereinfachen.

Die Schweiz ist seit dem 12. Dezember 2008 im Schengenraum.

Der jüngste Entscheid des Strassburger Gerichts könnte diese Verordnung in Frage stellen.

Dabei geht es um die sogenannte Rückübernahme-Klausel. Dabei können Asylsuchende in das «Erstland» zurückgeschickt werden (dort, wo sie ihren ersten Ayslantrag gestellt haben).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg ist eine Institution des Europarats, dem auch die Schweiz angehört.

Er schützt die Grundrechte der Europäischen Menschenrechts-Konvention von 1950. Für die 47 (Mitglieds-)Staaten des Europarats sind die Urteile verpflichtend.

Dieser Strassburger Gerichtshof hat nichts mit dem EU-Gericht zu tun, das in Luxemburg beheimatet und das oberste rechtssprechende Gericht der EU ist.

Die EU-Kommission ist daran, die Dublin-Verordnung und weitere Richtlinien im Rahmen eines gemeinsamen europäischen Asylsystems zu revidieren.

Eine Einigung unter den 27 EU-Staaten ist aber bisher nicht erreicht worden.

Wie viele EU-Länder will auch die Schweiz keine Ausnahmeregelung, wonach ein Land ausserordentliche Gründe geltend machen kann, um die Rückübernahme aussetzen zu können.

Meistgelesen
Swiss Abroad

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft