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Auf der Suche nach einem modernen Patriotismus

Das Ehepaar Baumann, Gastschreiber der deutschsprachigen Redaktion. zvg

Kürzlich ist uns in den französischen Medien eine bitterböse Karikatur über die Schweiz aufgefallen: Ein Franzose trägt einen offensichtlich prall gefüllten Geldkoffer über die Schweizer Grenze.

Plakatwände links und rechts der Strasse heissen den Gast willkommen: Bienvenue en Suisse! Ses chocolats! Ses banques! Son euthanasie cinq étoiles!

Dass die Schweiz vor allem als Steuerparadies für französische und andere Steuerflüchtlinge in Verbindung gebracht wird, ist uns nicht neu.

Die Karikatur zeichnet aber schärfer denn je, welches Bild die Schweiz im Ausland hinterlässt.Das der schamlosen Rosinenpickerin, der man jedes Geschäft zutraut. Auch das Geschäft mit der Not von Sterbewilligen aus Ländern, die eine restriktive Regelung der Sterbehilfe kennen.

Im französischen Wahlkampf wurde oft und viel über Konzepte und Regelungen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft anderer Staaten diskutiert und gestritten. In vielen Bereichen wurden die nordischen Länder als fortschrittlich, erfolgreich und damit beispielhaft gepriesen.

Nie, aber auch gar nie, weder von links noch von rechts wurde die Schweiz als Vorbild genannt.

Rütliwiese im Radio France Inter

Wir hörten erst wieder etwas von der Schweiz, als Radio France Inter meldete, dass die 1. Augustfeier auf der historischen Rütliwiese wegen den Drohungen von ein paar hundert Neonazis abgesagt werden müsse.

Das Rütli hat für uns nie eine grosse Bedeutung gehabt. Unser Heimatgefühl brauchte keinen Mythos und keine Rückschau auf eine glorifizierte Vergangenheit. Und trotzdem wäre es für uns eine herbe Enttäuschung, wenn dieses Feld den Neonazis überlassen würde, um dort ihrem aggressiven Nationalstolz zu frönen.

Ausgerechnet jetzt, wo sich die Rütliwiese langsam von einer Gedenkstätte zu einem Diskussionsplatz und vielleicht sogar zur Wiege für ein neues Heimatgefühl entwickeln könnte, darf sich die andere, die weltoffene Schweiz nicht zurückziehen.

Schweiz hätte viel zu bieten

Wir würden uns freuen, endlich mal auch eine positive Meldung über die Schweiz zu hören. Sie hat doch mit ihrer Kulturenvielfalt, der direkten Demokratie, ihren Sozialversicherungen, ihrem funktionierenden öffentlichen Verkehr und Umweltschutz viel zu bieten.

Es ist jammerschade, dass davon nichts mehr gegen Aussen dringt. Und ganz schlimm wäre, wenn all diese Errungenschaften auf Druck des rechten Politspektrums demontiert und vergessen würden.

Als Auslandschweizerin und Auslandschweizer möchte man manchmal auch etwas stolz sein auf sein Heimatland. Wir meinen damit sicher nicht den historisch unseelig beladenen «Nationalstolz» im Sinn einer übersteigerten Vaterlandsliebe, welche die Vergangenheit und die eigene Stärke glorifiziert und nur das Ziel kennt, das Eigene zu bewahren und das Andere zu vernichten.

Dieser Patriotismus wurde in der Schweiz lange nur in einer kleinen, rechtsradikalen Szene zelebriert. Seit einigen Jahren wird er auch in ähnlicher Art und Weise von einer rechtspopulistischen Bundesratspartei erfolgreich propagiert.

Selbstkritischer Patriotismus

In Frankreich hat der Begriff «Nationalstolz» eine andere Geschichte und einen andern Inhalt. Er ist eine Synthese aus «Vive la République et vive la France», dem obligaten Schlusssatz des französischen Präsidenten bei jeder seiner Reden (ob Chirac, Sarkozy und wohl auch bei Royal wäre es so geblieben) und der manchmal sehr scharf formulierten, aber eben doch immer mit ein wenig patriotischem Stolz durchtränkten Kritik der Bürgerinnen und Bürger.

Ein schmunzelnder, selbstkritischer Patriotismus, den wir uns auch für die Schweiz wünschen würden.

Ruedi und Stephanie Baumann

Die Meinung des Autorenpaars muss nicht mit jener von swissinfo übereinstimmen.

Stephanie Baumann, Jahrgang 1951, war Berner Kantonsrätin und Nationalrätin für die Sozialdemokraten. Zudem amtete sie als Verwaltungsrats-Präsidentin des Berner Inselspitals.

Ruedi Baumann, Jahrgang 1947, ist gelernter Bauer und Agronom. Er war Gemeinderat, Kantonsrat, Nationalrat und Präsident der Grünen Partei Schweiz.

Stefanie und Ruedi Baumann haben zwei Söhne. Die Familie bewirtschaftete 28 Jahre lang einen Bauernbetrieb in Suberg, im Berner Seeland, bevor sie im Jahr 2003 nach Frankreich auswanderte.

Heute leben die Baumanns in der Gascogne, 100 km westlich von Toulouse, und sind als Biobauern auf ihrem eigenen Hof tätig.

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